Die Juden, die jetzt in das Gelobte Land kamen, gehorten einer neuen Generation an. Sie waren nicht geflohen wie die beiden Bruder Rabinski, und sie hatten auch nicht die Absicht, hier Handel zu treiben. Es waren junge Leute, geschult im Geist des Zionismus, voller Idealismus und fest entschlossen, das Land zu erschlie?en.

Das Jahr 1905 brachte die zweite Aliyah-Welle des Exodus.

VIII.

Den Idealismus, der bisher in Palastina gefehlt hatte, brachte die zweite Aliyah-Welle. Die neuen Einwanderer waren nicht damit zufrieden, Kaufleute in Jaffa zu sein, und sie hatten auch nicht die Absicht, von milden Gaben ihrer Glaubensgenossen zu leben. Sie waren erfullt von der Mission, das Land zuruckzugewinnen.

Sie machten sich in Gruppen zu dem Land auf, das die Effendis verkauft hatten, und versuchten, die sumpfigen Boden zu entwassern. Es war eine harte Arbeit. Fur viele von der alten Garde war es einfach unvorstellbar, da? Juden wie die Fellachen auf den Feldern arbeiten sollten. In Palastina hatten sie die Aufseher gespielt, und dort, wo sie hergekommen waren, hatten sie mit der Feldbestellung uberhaupt nichts zu tun gehabt. Von allem, was die zweite Aliyah-Welle brachte, war der wertvollste Beitrag die Entschlossenheit der Menschen, selbst Hand anzulegen und den Boden durch eigene Arbeit zu erobern. Durch ihren Wortfuhrer, A. D. Gordon, erhielt die Arbeit ihre Wurde. Gordon war ein alterer Mann und ein Wissenschaftler; doch er verzichtete auf seine Wissenschaft um der gro?eren Aufgabe willen, den Boden mit seinen eigenen Handen zu bearbeiten.

Jakob war begeistert. Er brach abermals auf, um auf einer Versuchsfarm in Galilaa mitzuarbeiten. Auf dieser Farm namens Chedera war des Staunens kein Ende, als sich die jungen Juden der zweiten Aliyah-Welle an die Arbeit machten. Eines Tages kam Jakob nach Jaffa, um mit Yossi zu sprechen. Er war voller Eifer fur eine neue Idee, und er sprach davon mit der leidenschaftlichen Begeisterung, die ihm eigen war.

»Dir ist ja bekannt«, sagte er, »da? sich die Beduinen der Erpressung bedienen, um unsere Siedler zu veranlassen, sie als Wachter zu engagieren — als Schutz gegen sie selbst. Nun, dasselbe versuchten sie auch in Chedera. Sie drohten, alles mogliche zu tun, falls wir sie nicht anstellten. Aber wir haben ihnen den Gefallen nicht getan und uns unserer Haut sehr gut gewehrt. Eine Zeitlang war die Lage fur uns ziemlich kritisch, doch dann lockten wir sie in eine Falle, erschlugen den Anfuhrer der Bande, und seitdem haben sie sich bei uns nicht mehr sehen lassen.«

»Wir haben die Sache durchgesprochen«, fuhr Jakob fort, »und wir sind zu folgender Uberzeugung gekommen: wenn wir imstande sind, eine unserer Siedlungen zu verteidigen, dann konnen wir alle verteidigen. Wir haben beschlossen, eine Wachmannschaft aufzustellen, die die ganze Gegend abpatrouilliert, und wir wollen, da? du die Leitung einer der Gruppen dieser Wachmannschaft ubernimmst.«

Eine judische Wachmannschaft! Was fur eine erstaunliche Idee! Yossi fand es sehr aufregend, doch er antwortete in seiner zuruckhaltenden Art: »Das mu? ich mir noch uberlegen.«

»Was gibt es dabei denn zu uberlegen?«

»So einfach ist die Sache nicht. Zunachst einmal werden die Beduinen auf diese wichtige Einnahmequelle nicht kampflos verzichten. Und au?erdem sind noch die Turken da. Sie werden es uns kaum erlauben, Waffen zu tragen.«

»Ich will ganz offen sein«, sagte Jakob. »Wir wollten dich gern dabeihaben, weil du das Land besser als irgendein anderer kennst, und weil niemand soviel Erfahrung im Umgang mit den Arabern und Turken hat wie du.«

»Sieh mal an«, sagte Yossi ironisch. »Auf einmal wird es meinem lieben Bruder klar, da? mein jahrelanger freundschaftlicher Umgang mit den Arabern doch keine reine Zeitverschwendung gewesen ist.«

»Nun sag schon, Yossi — was ist deine Antwort?«

»Ich sagte schon, da? ich es mir uberlegen mu?. Es durfte ziemlich viel Uberredungskraft erfordern, unsere Farmer dazu zu bewegen, da? sie sich von uns bewachen lassen. Und das eine dabei gefallt mir wirklich gar nicht: Wenn wir geladene Schu?waffen tragen, dann konnte man das so auslegen, als ob wir Streit suchten.«

Jakob warf die Hande in die Luft. »Wenn man seinen eigenen Grund und Boden verteidigen will, sucht man also Streit! Nach zwanzig Jahren in Palastina redest du noch immer wie ein GhettoJude.«

»Wir sind in friedlicher Absicht hierhergekommen«, sagte Yossi, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen. »Wir haben das Land rechtma?ig erworben. Wir haben unsere Siedlungen errichtet, ohne jemanden zu storen. Wenn wir jetzt anfangen, uns zu bewaffnen, ist das ein Bruch mit den friedlichen Zielen des Zionismus. Mach mir und dir bitte nicht vor, da? das etwa keine riskante Sache ware.«

»Du machst mich krank«, sagte Jakob heftig. »Also gut, Yossi, mach nur so weiter und erschlie?e das Land unter der gro?mutigen Protektion dieser Halsabschneider, der Beduinen. Bitte sehr. Ich werde unsern Leuten sagen, mein Bruder befande sich in tiefer Meditation. Jedenfalls, ob mit dir oder ohne dich, die Wachmannschaften werden aufgestellt. Der Trupp, den du ubernehmen solltest, begibt sich nachste Woche zu unserem Stutzpunkt.«

»Und wo ist der?«

»Auf dem Berge Kanaan.«

Yossi schlug das Herz. Auf dem Berge Kanaan! Seine Lippen zitterten, aber er versuchte, seine Erregung zu verbergen. »Ich werde es mir uberlegen«, sagte er.

Yossi uberlegte es sich. Er war es leid, Land fur die SchumannStiftung aufzukaufen und weitere Siedlungen zu errichten, die von Spenden leben mu?ten.

Ein Dutzend bewaffneter Juden, die ebensolche Hitzkopfe waren wie Jakob, konnten allerhand Arger und Schwierigkeiten machen. Fur eine bewaffnete Wachmannschaft benotigte man Klugheit und Zuruckhaltung. Doch der Gedanke, in der Umgebung des Berges Kanaan zu leben und die Moglichkeit zu haben, von Zeit zu Zeit in das Hule-Tal zu kommen, war allzu verlockend.

Yossi trennte sich von der Schumann-Stiftung und stie? zu der neuen Gruppe, als diese am Berge Kanaan anlangte. Sie nannten sich Haschomer: die Wachter.

Das Gebiet, das Yossi mit seinem Trupp zu sichern hatte, erstreckte sich vom Berg Kanaan in einem kreisformigen Bogen, der von Rosch Pina aus bis nach Safed und Meron fuhrte. Yossi war sich daruber klar, da? es uber kurz oder lang Arger geben mu?te. Die Beduinen wurden zweifellos zuruckschlagen, wenn sie erfuhren, da? sie ihren eintraglichen Posten verloren hatten.

Yossi ersann einen Plan, der die Absicht verfolgte, die zu erwartenden Schwierigkeiten zu verhuten. Der bedrohlichste der Beduinenstamme in diesem Gebiet wurde von einem alten Renegaten und Schmuggler namens Suleiman angefuhrt, der sein Lager meist in den Bergen oberhalb von Abu Yesha aufschlug. Suleiman erpre?te als Lohn fur seinen »Schutz« den vierten Teil dessen, was in Rosch Pina geerntet wurde. Am Tag nach seiner Ankunft, noch ehe die Araber etwas von der Anwesenheit der Wachmannschaften wu?ten, ritt Yossi allein und unbewaffnet los, um Suleimans Lager zu suchen.

Spat am Abend fand er es, jenseits von Abu Yesha, in der Nahe von Tel Chaj an der Grenze zum Libanon. Die mit Ziegenfell bespannten Zelte des Lagers standen unregelma?ig verstreut auf dem braunverwitterten Erdreich der Hugel. Diese ewigen Nomaden betrachteten sich als die reinsten und freiesten aller Araber und sahen mit Verachtung auf die armlichen Fellachen und auf die Bewohner der Stadte herab. Das Leben des Beduinen war hart, doch er war ein freier Mann. Er war ein Kampfer, der alle anderen Araber an Wildheit, und ein Handler, der alle anderen Araber an Gerissenheit ubertraf.

Das Erscheinen des riesenhaften Fremden mit dem roten Bart verursachte allgemeinen Alarm. Die Frauen, in den schwarzen Gewandern der Beduinen, die Gesichter verhangt durch Ketten aus Munzen, brachten sich eilig in Sicherheit, als Yossi herangeritten kam.

Als er in der Mitte des Lagers angekommen war, kam ein negroider Araber auf ihn zu, offensichtlich ein Mann aus dem Sudan. Der Sudanese stellte sich als Suleimans Leibsklave vor und fuhrte Yossi zu dem gro?ten der Zelte, in dessen Nahe eine gro?e Ziegenherde weidete.

Der alte Brigant kam aus seinem Zelt heraus. Er trug ein schwarzes Gewand und ein schwarzes Kopftuch. An seinem Gurtel hingen zwei reichverzierte silberne Dolche. Er war auf einem Auge blind, und sein Gesicht war von den Narben vieler Kampfe bedeckt, zerfetzt von den Krallen der Frauen und den Messern der Manner.

Suleiman und Yossi musterten einander mit raschen Blicken, und der Besucher wurde in das Zelt gefuhrt. Die Erde am Boden des Zeltes war mit Matten und Kissen bedeckt. Die beiden Manner lie?en sich nieder. Suleiman befahl seinem Sklaven, Obst und Kaffee fur den Gast zu bringen. Die beiden Manner rauchten gemeinsam aus einer langstieligen Wasserpfeife und tauschten eine halbe Stunde lang inhaltslose Hoflichkeiten aus. Der Sklave brachte Reis mit Lammfleisch, und als Nachtisch gab es Melonen, wahrend sie eine weitere Stunde lang Konversation

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