Das Parfum
Meine Familie ist gut parfumiert. Fast alle neuen Kosmetikprodukte, die auf den Markt kommen, landen uber kurz oder lang in unserem Badezimmer. Das hat seinen Grund. Die beste Freundin meiner Frau arbeitet in einem Parfumgeschaft, in einer Douglas-Filiale gleich um die Ecke. Sie hei?t wie meine Frau - Olga - und beschenkt uns kiloweise mit Proben von neuen Waren, liebevoll »Probchen« genannt. In ihrer Heimat, der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku, hatte Kosmetik-Olga eine Ausbildung als Ballerina gemacht, spater einen Deutschen geheiratet und war dann nach Berlin ubergesiedelt. Hier hatte sie Schwierigkeiten, sich beim Arbeitsamt als Ballerina anzumelden. Die meisten deutschen Arbeitslosen hatten bodenstandigere Berufe.
In der Sowjetunion wurden die Burger nicht nach Bedarf ausgebildet, sondern nach ideologischen Ma?gaben. Auf diese Weise entstanden zahlreiche vollig uberflussige Berufsgruppen, nur um dem Rest der Welt unsere geistige Uberlegenheit zu demonstrieren: Kosmonauten, Akrobaten, Politokonomen, Ballerinas. Meine Mutter studierte Festigkeitslehre, meine Frau Quantenchemie. Alles Berufe, die auf dem freien Markt sehr schlecht vermittelbar sind. Meine Frau hat dann in Berlin in einer Kneipe eine neue Karriere als Tresenkraft angefangen. Kosmetik-Olga bekam als Ballerina eine halbe befristete Stelle, als Schwangerschaftsvertretung bei Douglas angeboten. Dabei entdeckte sie zwar ihre Berufung, musste aber nach sechs Monaten wieder gehen. Nach einem Jahr riefen die Douglas-Kollegen sie jedoch an und fragten, ob sie nicht Lust auf eine volle Stelle hatte? Die Filiale wurde vergro?ert, neue Mitarbeiter wurden gesucht. Seitdem ist unsere Kosmetik-Olga vollig in der Welt der Dufte versunken. Die Douglas-Filiale ist ihr wahres Zuhause. Ich glaube, meine Frau hatte dort auch gerne eine Stelle, denn eigentlich machen die Mitarbeiterinnen von Parfumgeschaften nichts anderes als das, was die meisten Frauen in ihrer Freizeit ohnehin tun: Sie tauschen sich uber Parfum, Frisuren und Klamotten aus. Nur dass sich das in einem Parfumgeschaft »kompetente Beratung« nennt. Meine Frau konnte dort mit ihren Kenntnissen in Quantenchemie bestimmt punkten.
Die meisten Kunden, die unsere Olga in der Filiale besuchen, sind ihre Landsfrauen. Russinnen parfumieren sich unglaublich gerne. So hat sich uber Jahre ein besonderer Kundenstamm aufgebaut und bestimmte Produkte werden an mir ausprobiert. Anfangs wehrte ich mich dagegen, ich hasste Parfum und pochte auf meine inneren Werte, gab jedoch mit der Zeit meinen Widerstand auf. Die beiden Olgas wollen demnachst sogar ihren eigenen Duft herausbringen: ein »Russendisko-Parfum«. Ich bin gespannt.
Es lasst sich gut nachvollziehen, warum diese westliche Parfumwelt die Frauen aus dem Osten so stark anzieht. Unsere Heimat roch anders. Das sowjetische Parfumsortiment war karg, es bestand aus funf Hauptsorten. Sie hie?en
»
»Mein Lieblingsparfum«, nickte Sergej bescheiden.
»Sie haben einen ausgezeichneten Geschmack, junger Mann!«, sagte die Psychologin, »Ziehen Sie eine Karte.«
Sergej bekam eine Drei plus - dank
Im Alltag der Manner spielten Parfums abgesehen von wenigen Ausnahmen kaum eine Rolle. Frauen konnten sich mit der kargen Auswahl naturlich nicht zufriedengeben. Die Dufte des Westens zogen sie an. Westliches Parfum gab es bei uns zwar auch, aber nur an schwer erreichbaren Stellen: auf dem Schwarzmarkt, in den wenigen Dollarladen und im H/N, dem sogenannten »Haus fur Neuvermahlte«. Dort konnte jeder, der im Besitz eines Brautscheins war, einen einmaligen Einkauf tatigen - ein Flaschchen
Naturliche Bevolkerungsentwicklung
Wenn ich das Verhalten meiner russischen Nachbarn mit dem Verhalten der deutschen vergleiche, sehe ich deutliche Unterschiede. Besonders was die Lebensplanung betrifft. Russen planen ihr Leben sehr kurzfristig, Deutsche machen sich mehr Gedanken um die Zukunft, als um die Gegenwart. Das bremst sie in ihrer naturlichen Entwicklung. Langfristige Planung ist zwar unverzichtbar fur einen Schachspieler, der alle Zuge des Gegners vorausberechnen muss, um zu gewinnen. Im Leben geht eine solche Rechnung aber nicht auf. Jeder, der von sich behauptet, er wisse, was in zwanzig Jahren passiert, ist ein Lugner.
In Russland hat eine solche defensive Lebenshaltung kaum Anhanger. Die Menschen dort halten nicht viel von langfristiger Lebensplanung und versuchen aus dem aktuellen Geschehen herauszuholen, was geht. Fur Fragen, wie es ihnen in zwanzig Jahren gehen wird, haben sie keine Zeit. Auch ist Versicherung in Russland ein Fremdwort geblieben. Keiner wird dort fur etwas Geld ausgeben, was moglicherweise irgendwann einmal passieren konnte - oder auch nicht. Die Deutschen dagegen gehoren zu den bestversicherten Mitgliedern der menschlichen Gesellschaft. Zur ublichen Lebensgrundlage jedes anstandigen Burgers gehoren wenigstens ein Dutzend Versicherungen: eine soziale, eine Kranken-, eine Renten-, Pflege- und Lebensversicherung sowie eine Unfallversicherung, eine Reiseversicherung, eine Rechtsschutz-, eine Kfz-, eine Hausratversicherung und eine fur den Fall, dass man auf die Idee kommt, sich einmal in einem Porzellanladen wie ein Elefant aufzufuhren. Das alles gilt als absolutes Minimum an Sicherheit und der Inhaber der oben aufgezahlten Policen kann bei seinen Freunden durchaus als wagemutig und risikobereit durchgehen.