getäuscht hatten, wenn das Boot sich näherte, würde es sie aufnehmen können, ehe die Verfolger auch am Wasserrande anlangten?

Kam wohl von Matrosen eine genügende Zahl, die Aufseher und Polizeisoldaten anzugreifen, wenn jene überhaupt auf einen Kampf eingerichtet waren?, Würde es ihnen möglich sein, den Verfolgern die Gefangenen wieder zu entreißen und sie an Bord der »Illinois« in Sicherheit zu bringen?

»Die Hunde, die Hunde!« rief in diesem Augenblicke Macarthy.

Den Pfad von der Uferwand herunter stürmend, sprangen die Doggen sogleich über das Vorland hin, vier oder fünf dieser zur Verfolgung von Sträflingen abgerichteten Tiere, die ein wütendes Gebell ausstießen.

Fast gleichzeitig tauchten ein Dutzend mit Revolvern bewaffnete Aufseher und Polizeisoldaten auf.

»Hierher!. Hierher! rief einer dem anderen zu.

- Dort sind sie. alle Drei!

- Vorwärts nach der Landspitze!

- Da kommt schon ein Boot heran!«

O'Brien hatte sich nicht getäuscht: ein Boot war im Begriff, in die kleine Bucht einzulaufen. Daß seine Gefährten und er es vorher nicht hatten sehen können, lag daran, daß gerade zwischen dem Fuße des Steilufers und dem kleinen Fahrzeuge mehrere Klippen aufragten.

Dagegen war durch das Boot die Aufmerksamkeit der oben am Felsrande hinschreitenden Verfolger erweckt worden, denn diese bemerkten, daß es erst längs der Küste hinsteuerte und dann durch den Klippengürtel zu gleiten suchte. Natürlich vermuteten sie, daß es nur hierher komme, um die Irländer aufzunehmen. Ein Blick auf das Meer hinaus zeigte ihnen auch, daß dort, der Bai gegenüber, ein unter diesen Umständen Verdacht erweckender Dampfer lag.

Das hatten auch zwei andere Sträflinge bemerkt, die, erst an der Waldlichtung beschäftigt, ebenfalls nach dem Rande des Steilufers gekommen waren.

Diese beiden waren Karl und Pieter Kip.

Von welch quälender Angst die beiden Brüder den ganzen Tag gefoltert worden waren, kann man sich wohl leicht vorstellen. Sie wußten ja recht gut, daß das amerikanische Schiff gestern des stürmischen Wetters wegen sich der Halbinsel nicht hatte nähern können, und sagten sich auch, daß die drei Flüchtlinge sich nahe der Saint-Jamesspitze die vergangene Nacht und heute den ganzen Tag in irgendeiner

Felsenhöhle versteckt haben würden. Wie hatten sie sich aber die nötige Nahrung verschaffen können?

Der Sturm hatte sich freilich schon seit fünfzehn Stunden gelegt und die Bai war wieder gefahrlos zu befahren. Was nun am gestrigen Abend nicht möglich gewesen war, das konnte unter dem Schutze der Dunkelheit vielleicht heute Abend versucht werden.

Wie gewöhnlich hatten die Gebrüder Kip die Strafanstalt schon seit dem frühen Morgen verlassen und sich nach ihrer Arbeit am Walde begeben. Und als sie dabei in die Nähe des Steilufers kamen, suchten sie voller Besorgnis im Westen längs der Küste nach Rauchwolken, die die Annäherung eines Dampfers verrieten.

Der Tag verstrich aber, und erst zehn Minuten vor der Zeit, wo der Rückweg angetreten werden sollte, ertönten von der Uferseite her die Unglück verkündenden Rufe.

»Sie sind entdeckt, die Ärmsten!« stieß Karl Kip hervor.

Sofort liefen zehn bis zwölf Mann, die die Obhut über ihre Rotten einigen Kameraden überließen, nach dem Uferrande hin, und die Gebrüder Kip konnten ihnen unbemerkt folgen.

Am Rande angelangt, warfen sie sich platt zur Erde und lugten unter sich hinaus.

Richtig, da kam ein Boot längs der Küste auf die Saint-Jamesspitze zu.

»Es wird zu spät sein! sagte Karl Kip.

- Ja, die Armen werden wieder gefangen werden, setzte sein Bruder hinzu.

- Und wir können ihnen keine Hilfe bringen!«

Kaum waren diese Worte gefallen, als Karl Kip seines Bruders Arm ergriff.

»Komm, folge mir!« raunte er ihm zu.

Eine Minute später kletterten beide den Pfad an der Ufermauer hinunter und schlichen sich über das Vorland hin.

Das Boot von der »Illinois« bog eben um die Felsenblöcke vor der Bucht ein. Obwohl die amerikanischen Matrosen die Aufseher hatten herzulaufen sehen, dachten sie und ihr Offizier doch gar nicht daran, anzuhalten, da sie voraussetzten, daß sich die Flüchtlinge hier schon seit dem vorigen Tage aufhielten. Auf die Gefahr hin, bei der Dunkelheit gegen einen Felsblock zu rennen, ruderten sie nur noch kräftiger, um die Spitze womöglich eher als die Verfolger zu erreichen.

Als das Boot aber anlegte, war es schon zu spät: O'Brien, Macarthy und Farnham waren bereits nach dem Steilufer zu weggeschleppt worden.

»Nun vorwärts. vorwärts!« rief der Offizier.

Mit Seitengewehren und Revolvern bewaffnet, sprangen die Matrosen ihm nach aufs Land und stürmten darüber hin, die Gefangenen zu befreien.

Da entspann sich ein hitziger Kampf. Die Amerikaner waren nur ihrer acht: der Offizier, der Steuermann und sechs Ruderer. Selbst Farnham, Macarthy und O'Brien mitgerechnet, ergab das nur elf gegen einige zwanzig Aufseher und andere, die auf den Lärm hin ihren Kameraden auf dem Vorlande nachgeeilt waren. Außerdem waren die Doggen als nicht minder gefährliche Gegner zu betrachten.

Auf die Hunde gaben die Matrosen auch die ersten Revolverschüsse ab. Schnell blitzte es aus den Läufen auf. Von mehreren Kugeln getroffen, wurden zwei von den Tieren getötet und die anderen entflohen unter gräßlichem Geheul.

In der Dunkelheit drangen die Gegner wütend auf einander ein. Macarthy und Farnham, die sich nicht hatten losreißen können, sollten eben weiter zurückgeschleppt werden, als zwei Männer den Aufsehern den Weg versperrten.

Karl Kip und seinem Bruder, die sich auf die Häscher stürzten, gelang es, die Gefangenen wieder zu befreien.

Immer krachten noch weitere Schüsse und auf beiden Seiten wurden mehrere Kämpfer ernstlich verwundet. Auf der schmalen Landspitze konnte der Kampf mit Vorteil für die Amerikaner freilich nicht lange fortgeführt werden. Mußten ihn der Offizier und die Matrosen von der »Illinois« aufgeben, so konnten sie die Flüchtlinge nicht mitnehmen, und wer weiß, ob sie nicht ihr edelmütiges Wagestück zu Gunsten der Irländer im Gefängnisse von Hobart-Town gar noch mit dem Verluste der eigenen Freiheit bezahlen mußten.

Waren die Schüsse, die Rufe und das Gebell bis nach der Lichtung hin hörbar gewesen, so wurden sie glücklicherweise auch draußen auf dem Meere vernommen. An Bord der »Illinois« erkannte man, daß ein hitziges Gefecht zwischen den Matrosen und den Leuten aus der Strafanstalt entbrannt sei, ein Gefecht, das ein kräftiges Eingreifen von seiten des Schiffes verlangte.

Der Kommandant fuhr deshalb bis auf zwei Kabellängen an den Kampfplatz heran und ließ dann schnellstens ein zweites Boot mit einem Dutzend Matrosen aufs Meer

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