eines Tages irgendwo ein Mr Enoch Arden auftauchen. Hercule Poirot hatte in diesem Augenblick gern mehr uber diesen Enoch Arden gewusst, der in Warmsley Vale eines gewaltsamen Todes gestorben war.

Der Detektiv erinnerte sich, dass er Inspektor Spence von der Polizei in Oastshire fluchtig kannte, und er erinnerte sich weiter, dass der junge Mellon irgendwo in der Nahe von Warmsley Vale wohnte und ein Bekannter Jeremy Cloades war.

Wahrend er noch erwog, den jungen Mellon anzurufen, wurde Hercule Poirot von seinem Diener gestort, der meldete, ein Mr Rowley Cloade wunsche Monsieur Poirot zu sprechen.

»Aha«, stie? der Meisterdetektiv befriedigt aus. »Fuhren Sie ihn herein.«

Ein gut aussehender, doch etwas verwirrt wirkender junger Mann betrat das Zimmer. Er schien nicht recht zu wissen, wie er die Unterredung beginnen sollte.

»Womit kann ich Ihnen dienen, Mr Cloade?«, erkundigte Poirot sich hoflich.

Rowley Cloade musterte sein Gegenuber abschatzend. Der Schnurrbart, die Gamaschen und die glanzenden Lackschuhe flo?ten ihm wenig Vertrauen ein.

Hercule Poirot entging der Blick nicht, und die Besturzung in den Augen des jungen Mannes amusierte ihn.

»Ich furchte, ich werde Ihnen erst einmal erklaren mussen, wer ich uberhaupt bin«, begann Rowley unbeholfen. »Mein Name wird Ihnen nichts sagen – «

»Ihr Name ist mir vollig gelaufig«, unterbrach Poirot ihn. »Ihre Tante hat mich vor einer Woche aufgesucht.«

»Meine Tante?«

Das Erstaunen Rowleys war so offensichtlich echt, dass Poirot seine anfangliche Vermutung, die beiden Besuche konnten miteinander in Zusammenhang stehen, fallen lie?.

»Mrs Lionel Cloade ist doch Ihre Tante? Oder irre ich mich?«

Rowley schien – falls dies moglich war – noch erstaunter dreinzublicken.

»Tante Kathie?«, fragte er mit unglaubiger Stimme. »Meinen Sie nicht eher Mrs Jeremy Cloade?«

Poirot schuttelte verneinend den Kopf.

»Aber was um alles in der Welt kann Tante Kathie – «

»Eine spiritistische Eingebung fuhrte sie zu mir, wenn ich die Dame richtig verstanden habe«, erklarte Poirot.

»Ach, du lieber Himmel!« Rowley schien zugleich erleichtert und amusiert. »Sie ist ganz harmlos«, versicherte er dann.

»Wirklich?«

»Was meinen Sie damit?«

»Gibt es uberhaupt ganz harmlose Menschen?«

Rowley starrte Poirot fassungslos an. Der seufzte leise.

»Sie kamen doch sicher aus einem bestimmten Grund zu mir«, versuchte er dann das Gesprach in Gang zu bringen.

In Rowleys Augen schlich sich wieder der besorgte Ausdruck.

»Es ist eine ziemlich lange Geschichte, furchte ich – «

Das furchtete Poirot ebenfalls. Rowley Cloade machte nicht den Eindruck eines Mannes, der sich kurz, knapp und sachlich zu einem bestimmten Thema au?ern konnte. Also lehnte sich der Meisterdetektiv in seinem Sessel zuruck und schloss halb die Augen.

»Gordon Cloade war mein Onkel«, hub Rowley an, aber schon wurde er unterbrochen.

»Uber Gordon Cloade wei? ich Bescheid.«

»Umso besser, dann brauche ich Ihnen nichts uber ihn zu erzahlen. Er heiratete ein paar Wochen vor seinem Tod eine junge Witwe namens Underhay. Seit Gordons Tod lebt sie in Warmsley Vale, zusammen mit ihrem Bruder. Wir waren alle der Meinung, ihr erster Mann sei in Afrika an Sumpffieber gestorben. Nun scheint dies aber nicht der Fall zu sein.«

»Ah«, Poirot richtete sich aus seiner lassigen Stellung auf. »Und was veranlasst Sie zu dieser Vermutung?«

Rowley schilderte das Erscheinen Mr Enoch Ardens in Warmsley Vale.

»Sie haben vielleicht in den Zeitungen daruber gelesen…«

»Ja, ich bin im Bilde«, versicherte Poirot.

Rowley fuhr fort. Er schilderte seinen ersten Eindruck von diesem Arden, wie ein Brief Beatrice Lippincotts ihn sodann in den »Hirschen«, bestellt und was er uber das von Beatrice belauschte Gesprach zwischen David Hunter und dem Fremden vernommen hatte.

»Wie weit man das, was sie behauptet, gehort zu haben, fur bare Munze nehmen kann, ist naturlich fraglich«, fugte er vorsichtig hinzu. »Moglich, dass sie ein bisschen ubertrieben oder gar falsch verstanden hat.«

»Hat Miss Lippincott der Polizei von diesem Gesprach erzahlt?«, erkundigte sich Poirot.

Rowley nickte.

»Ich riet ihr dazu.«

»Ich verstehe nicht ganz, Mr Cloade, was Sie zu mir fuhrt. Wunschen Sie, dass ich in dieser Mordaffare Nachforschungen anstelle? Ich nehme an, es unterliegt keinem Zweifel, dass es sich um Mord handelt.«

»Diese Seite der Sache interessiert mich nicht«, erklarte Rowley. »Das ist die Arbeit der Polizei. Ein Mord war es, das steht fest. Nein, ich mochte, dass Sie herausfinden, wer der Mann in Wirklichkeit war.«

Poirots Augen zogen sich zu schmalen Schlitzen zusammen. »Wer war er denn, Ihrer Vermutung nach, Mr Cloade?«

»Ich meine… nun ja… Enoch Arden ist doch schlie?lich kein Name. Das war doch sozusagen ein Pseudonym, von Tennyson entlehnt. Ich habe das Gedicht nachgelesen. Es geht um einen Mann, der zuruckkommt und entdeckt, dass seine Frau einen anderen geheiratet hat.«

»Sie vermuten, dass Enoch Arden in Wirklichkeit Robert Underhay war?«, fragte Poirot ohne Umschweife.

»Moglich, dass er’s war«, entgegnete Rowley bedachtig. »Dem Alter und der Figur nach hatte er’s sein konnen. Ich hab mehr als einmal mit Beatrice daruber gesprochen. Der Fremde sagte, Robert Underhay ginge es schlecht, er brauche dringend Geld fur arztliche Pflege. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass er sich selbst meinte. Anscheinend lie? er eine Bemerkung fallen, es sei doch wohl kaum in David Hunters Interesse, wenn Robert Underhay plotzlich in Warmsley Vale auftauchen wurde – mehr oder weniger ein Hinweis darauf, dass er sich unter falschem Namen eingeschrieben hat aus Rucksicht auf Hunter und seine Schwester.«

»Befand sich irgendein Ausweis unter den Sachen des Mannes?«

Rowley schuttelte den Kopf.

»Uber seine Identitat liegen nur die Aussagen der Leute vom ›Hirschen‹ vor – dass er sich unter dem Namen Enoch Arden eingetragen habe.«

»Er besa? uberhaupt keine Papiere?«

»Nein. Eine Zahnburste, ein Hemd und ein Paar Ersatzsocken – das waren seine gesamten Habseligkeiten. Kein Ausweis, kein Papier.«

»Das ist interessant, sehr interessant«, murmelte Poirot.

»David Hunter behauptet, einen Brief von dem Fremden erhalten zu haben«, fuhr Rowley fort. »Der Mann habe sich als Freund Robert Underhays ausgegeben und geklagt, wie schlecht es ihm gehe. Auf Rosaleens Bitte hin sei Hunter in den ›Hirschen‹ gegangen und habe dem Mann mit einer Kleinigkeit unter die Arme gegriffen. So erzahlt David Hunter die Geschichte, und ich wette, dass er nicht davon abgeht.«

»Und David Hunter hatte den Mann nie vorher gesehen?«

»Angeblich nicht. Hunter und Underhay kannten sich jedenfalls nicht. Das steht fest«, erklarte Rowley.

»Und Rosaleen Cloade?«

»Auf Veranlassung der Polizei hat sie sich den Toten angesehen. Sie erklarte, der Mann sei ihr vollig fremd.«

»Eh bien«, sagte Poirot. »Damit ist Ihre Frage ja beantwortet.«

»Der Meinung bin ich nicht«, widersprach Rowley unverblumt. »Wenn der Tote Robert Underhay ist, bedeutet dies, dass Rosaleens Ehe mit meinem Onkel nicht gultig war und ihr demzufolge kein Cent vom Geld Gordon

Вы читаете Der Todeswirbel
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату