Cloades gehort. Glauben Sie, dass sie unter diesen Umstanden die Identitat des Toten preisgeben wurde?«

»Sie trauen Ihr nicht?«, lautete Poirots Gegenfrage.

»Ich traue keinem von ihnen.«

»Es gibt doch sicher noch mehr Leute, die sagen konnten, ob der Tote Robert Underhay ist oder nicht?«

»Das ist ja eben der Haken. Es scheint sehr schwierig zu sein, jemanden zu finden, der daruber Auskunft geben kann. Und deshalb bin ich zu Ihnen gekommen. Sie sollen jemanden aufspuren, der Robert Underhay kennt oder kannte.«

»Und wieso wenden Sie sich da gerade an mich?«

Rowley sah verwirrt aus.

In Poirots Augen trat ein amusiertes Funkeln.

»Hat Sie vielleicht auch eine spiritistische Eingebung zu mir gefuhrt?«

»Um Himmels willen! Nein!«, wehrte Rowley entsetzt ab. »Ein Freund hat mir von Ihnen erzahlt. Sie seien Spezialist in solchen Dingen, hat er gesagt. Ich nehme an, es kostet eine Menge Geld, solche Nachforschungen anzustellen, und ich bin nicht gerade reich, aber ich glaube, in diesem Fall konnten wir es – ich meine, die Familie – mit vereinten Kraften schaffen, die Summe auf zutreiben. Vorausgesetzt naturlich, dass Sie den Auftrag annehmen wollen.«

»Ich denke, dass ich Ihnen behilflich sein kann«, entgegnete Hercule Poirot langsam.

Seine kleinen grauen Zellen arbeiteten. Namen aus der Vergangenheit, Begebenheiten und Begegnungen fielen ihm ein.

»Konnten Sie heute Nachmittag noch mal bei mir vorbeischauen, Mr Cloade?«, erkundigte er sich.

»Heute Nachmittag?«, fragte Rowley erstaunt. »Aber in so kurzer Zeit werden Sie doch kaum etwas herausgefunden haben!?«

»Ich kann nicht dafur garantieren, es besteht jedoch eine Moglichkeit.«

In Rowleys Augen lag ein Ausdruck derart fassungsloser Bewunderung, dass Poirot schon ubermenschliche Charakterstarke hatte besitzen mussen, um nicht der Versuchung zu erliegen, sich geschmeichelt zu fuhlen.

»Man hat so seine Methoden«, sagte er mit unnachahmlich wurdevoller Schlichtheit.

Es war die richtige Antwort gewesen. Der unglaubige Ausdruck in Rowleys Augen verwandelte sich in Respekt.

»Naturlich… ich verstehe… obwohl ich mir beim besten Willen nicht vorstellen kann, wie Sie so etwas fertig bringen«, stammelte er.

Poirot verzichtete darauf, seinen Besucher aus seiner Unwissenheit zu erlosen. Stattdessen wartete er, bis Rowley gegangen war, dann setzte er sich an seinen Schreibtisch, schrieb ein kurzes Briefchen und beauftragte seinen Diener George, die Nachricht in den Coronation Club zu bringen und dort auf Antwort zu warten.

Die Antwort fiel sehr zufriedenstellend aus. Major Porter dankte Monsieur Hercule Poirot fur seine freundlichen Zeilen und druckte seine freudige Bereitwilligkeit aus, Monsieur Poirot und dessen Freund am Nachmittag des gleichen Tages um funf Uhr in seiner Wohnung in Campdon Hill zu empfangen.

Um halb funf war Rowley Cloade zur Stelle.

»Wie steht’s, Monsieur Poirot? Hatten Sie Gluck?«

»Selbstverstandlich, Mr Cloade. Wir machen uns gleich auf den Weg zu einem alten Freund von Robert Underhay.«

»Was?« Rowley meinte, seinen Ohren nicht zu trauen. »Aber das ist ja kaum zu glauben! Vor ein paar Stunden habe ich Ihnen die Sache erst erzahlt, und schon haben Sie einen Freund Underhays entdeckt? Phantastisch!«

Poirot machte eine abwehrende Handbewegung und versuchte, bescheiden dreinzuschauen. Er hutete sich, Rowley daruber aufzuklaren, wie einfach seine Methode in diesem Fall gewesen war.

Major Porter bewohnte den oberen Stock eines kleinen, wenig gepflegten Hauses. Das Zimmer, in welches man die beiden Herren fuhrte, war ringsum mit Bucherregalen voll gestellt. Uber den Regalen hingen billige Drucke, meist Szenen aus der Welt des Sports darstellend. Auf dem Boden lagen zwei einst sehr gute, doch nun vom Gebrauch dunn gewordene Teppiche.

Der Major erwartete die Herren.

»Tut mir wirklich Leid, Monsieur Poirot, aber ich kann mich nicht erinnern, Ihnen schon mal begegnet zu sein. Im Club, sagen Sie? Vor langerer Zeit? Ihr Name ist mir selbstverstandlich bekannt.«

»Und dies ist Mr Rowley Cloade«, stellte Poirot vor.

Major Porter machte eine steife Bewegung mit dem Kopf, was seiner Art einer hoflichen Begru?ung entsprach.

»Freut mich«, sagte er wohlerzogen. »Bedaure unendlich, Ihnen nicht einmal ein Glas Sherry anbieten zu konnen, aber das Lager meines Weinlieferanten wurde von Bomben getroffen. Das einzige, was ich im Haus habe, ist etwas Gin, miserable Qualitat allerdings, meiner Meinung nach. Wie steht es mit einem Glas Bier?«

Man einigte sich auf Bier. Der Major bot Poirot eine Zigarette an.

»Sie rauchen ja nicht«, bemerkte er, zu Rowley gewandt. »Gestatten die Herren, dass ich meine Pfeife anzunde?« Und nachdem er mit einiger Muhe diese Prozedur vollzogen hatte, sagte er: »Und nun: Worum handelt es sich?«

»Sie haben vielleicht in den Zeitungen Berichte uber den Tod eines Mannes in Warmsley Vale gelesen?«, begann Poirot.

Porter schuttelte den Kopf.

»Moglich, erinnere mich aber nicht daran.«

»Der Name des Mannes war Arden. Enoch Arden.«

Porter schuttelte abermals den Kopf.

»Der Mann wurde mit eingeschlagenem Schadel in seinem Zimmer im Hotel ›Zum Hirschen‹ gefunden.«

»Warten Sie…«, der Major runzelte nachdenklich die Stirn. »Doch, mir scheint, ich habe da vor ein paar Tagen eine Notiz gelesen.«

»Ich habe hier ein Foto dieses Mannes«, fuhr Poirot fort. »Es ist eine Presseaufnahme, nicht besonders scharf, aber vielleicht genugt sie. Wir mochten wissen, ob Sie diesen Mann schon einmal irgendwo gesehen haben.«

Er reichte dem ehemaligen Offizier die beste Aufnahme, die er von Enoch Arden hatte auftreiben konnen.

Der Major nahm das Bild.

»Lassen Sie mich mal sehen…«, sagte er langsam.

Plotzlich fuhr er mit einem Ruck zuruck.

»Aber das ist doch… Der Teufel soll’s holen…«

»Sie kennen den Mann, Major Porter?«

»Naturlich kenne ich ihn«, rief der Major. »Es ist Underhay. Robert Underhay.«

»Sind Sie Ihrer Sache sicher?« Die Genugtuung in Rowleys Stimme war unverkennbar.

»Selbstverstandlich bin ich meiner Sache sicher. Robert Underhay, ich wurde jeden Eid darauf leisten.« 

20

Das Telefon klingelte, und Lynn eilte an den Apparat. »Lynn?«

Es war Rowley.

»Rowley?« – Ein fremder Ton klang in Lynns Stimme mit.

»Was ist los mit dir?«, erkundigte sich Rowley. »Man sieht dich ja gar nicht mehr.«

»Ach, die Zeit verfliegt nur so, ich wei? es selbst nicht. Man muss sich fur alles anstellen, am Morgen fur Fisch und am Nachmittag fur ein Stuckchen klebrigen Kuchen, und im Handumdrehen ist so ein Tag herum. Das ist das gemutliche Leben daheim heutzutage.«

»Ich muss dich sehen. Etwas Wichtiges.«

»Was gibt’s denn?«

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