»Gute Nachrichten. Komm zum oberen Hugel. Wir pflugen dort.«
Gute Nachrichten? Nachdenklich hangte Lynn ein. Was bezeichnete Rowley Cloade wohl als eine gute Nachricht? Vielleicht hatte er den jungen Stier zu einem besseren Preis als vorgesehen verkaufen konnen?
Nein, es musste etwas Bedeutenderes sein als das. Sie machte sich auf den Weg. Als sie sich dem bezeichneten Hugel naherte, kletterte Rowley vom Traktor und kam ihr entgegen.
»Tag, Lynn.«
»Tag, Rowley. Nanu… du siehst ja ganz verandert aus!«
»Das will ich meinen. Ich habe auch allen Grund dazu. Das Blatt hat sich gewendet, und zwar diesmal zu unserem Vorteil, Lynn.«
»Ich verstehe dich nicht.«
»Erinnerst du dich an einen gewissen Hercule Poirot, von dem Onkel Jeremy einmal erzahlte?«
»Hercule Poirot?« Lynn uberlegte. »Mir ist, als hatte ich den Namen schon gehort.«
»Es liegt bereits einige Zeit zuruck. Es war noch wahrend des Krieges. Und Onkel Jeremy kam aus diesem Mausoleum von einem Club, dem er angehort, und erzahlte von mehreren Leuten, die er dort getroffen hatte. Vor allem von diesem sonderbaren kleinen Mann. Tragt ausgefallene Kleidung und einen komischen Schnurrbart, aber er ist nicht auf den Kopf gefallen. Franzose oder Belgier wird er wohl sein.«
Lynn schien es zu dammern.
»Ist er nicht ein Detektiv?«
»Stimmt. Und jetzt pa? gut auf, Lynn. Ich wei? nicht wieso, aber mir ging es einfach nicht aus dem Kopf, dass der Mann, der im ›Hirschen‹ ermordet worden ist, Robert Underhay sein konnte. Rosaleens erster Mann.«
Lynn lachte.
»Blo?, weil er sich Enoch Arden genannt hat, verdachtigst du ihn? Das ist doch verruckt.«
»So verruckt nun auch wieder nicht, meine Liebe. Inspektor Spence hat scheint’s nicht viel anders gedacht, denn er brachte Rosaleen her, damit sie sich den Toten anschaut und ihn identifiziert. Sie behauptet allerdings steif und fest, es sei nicht ihr erster Mann.«
»Dann ist doch erwiesen, dass dein Argwohn unbegrundet war.«
»Damit hatte man sich abgefunden, ware ich nicht hartnackig geblieben«, erklarte Rowley fest.
»Wieso? Was hast du denn gemacht?«
»Ich suchte diesen Hercule Poirot auf und fragte ihn, ob er nicht jemanden aufspuren konne, der Robert Underhay gekannt hat. Und was soll ich dir sagen? Wie ein Zauberer Kaninchen aus dem Hut produziert, brachte dieser Poirot im Handumdrehen einen Mann zum Vorschein, der mit Robert Underhay gut befreundet war. Ein ehemaliger Offizier namens Porter. Und dieser Porter war ganz sicher – aber das behalte bitte fur dich, Lynn –, dass der Tote Robert Underhay ist.«
»Was?« Lynn trat einen Schritt zuruck.
Sie starrte Rowley unglaubig an.
»Robert Underhay, jawohl. Wir haben gewonnen, Lynn. Jetzt haben diese Schwindler das Nachsehen.«
»Welche Schwindler?«
»Hunter und seine Schwester. Sie konnen sehen, wo sie bleiben. Aus der Traum. Rosaleen bekommt Gordons Geld nicht in die Finger. Wir bekommen es. Diese Entdeckung beweist klar, dass Rosaleen nicht Witwe war und darum auch nicht wieder heiraten konnte, und demnach ist das Testament rechtskraftig, das Gordon als Junggeselle gemacht hatte. Laut diesem Testament wird das Geld unter uns geteilt. Und ich bekomme ein Viertel. Wenn Robert Underhay noch am Leben war, als Rosaleen Gordon heiratete, war diese Heirat ungultig. Begreifst du nicht?«
»Bist du sicher?«
»Ganz sicher. Nun kommt alles so, wie Gordon es gewollt hatte. Es ist wieder, wie es fruher war, bevor sich dieses Schwindlerpaar hier einnistete.«
Wieder wie fruher? Kaum, dachte Lynn. Wie wollte man Geschehenes mit einem Federstrich loschen? Geschehenes lie? sich nicht ungeschehen machen.
»Was soll aus ihnen werden?«
»Hm?«
Lynn merkte, dass Rowley diese Seite der Angelegenheit uberhaupt nicht bedacht hatte.
»Was wei? ich…«, wehrte er ungeduldig ab. »Sie werden wohl dorthin zuruckgehen, wo sie hergekommen sind.«
Langsam dammerte ihm, was sie meinte.
»Ich denke, Rosaleen handelte in gutem Glauben, als sie Gordon heiratete. Sie war sicher uberzeugt, ihr erster Mann sei tot. Es ist nicht ihr Fehler. Nein, du hast Recht. Wir mussen uns um sie kummern. Vielleicht kann man ihr eine monatliche Summe aussetzen. Wir mussen das gemeinsam besprechen.«
»Du magst sie, nicht wahr?«
»Sie ist ein liebes Geschopf«, gab Rowley bedachtig zu. »Und sie versteht etwas von Landwirtschaft.«
»Ich verstehe nichts davon«, meinte Lynn.
»Du wirst es lernen«, erwiderte Rowley liebevoll.
»Und was wird aus David?«, fragte Lynn leise.
»Der soll sich zum Teufel scheren. Was ging ihn Onkel Gordons Geld uberhaupt an? Er heftete sich wie eine Klette an seine Schwester und nutzte sie aus. Ein Schmarotzer.«
»Das ist nicht wahr, Rowley. Jetzt bist du ungerecht. David ist kein Schmarotzer, ein Abenteurer vielleicht – «
»Und ein skrupelloser Morder.«
»Das glaube ich nicht! Das glaube ich nicht!«
»Wer sonst soll Underhay ermordet haben? Hunter war hier an dem betreffenden Tag. Er kam mit dem Halb- sechs-Uhr-Zug. Ich hatte unten am Bahnhof etwas in Empfang zu nehmen und sah ihn von weitem.«
»Er fuhr an jenem Abend nach London zuruck«, entgegnete Lynn heftig.
»Ja, nachdem er Underhay getotet hatte«, versetzte Rowley triumphierend.
»Wie kannst du nur eine solche Behauptung aufstellen, Rowley. Um welche Zeit wurde Underhay denn ermordet?«
»Genau wei? ich’s nicht.« Rowley besann sich. »Und vor der Verhandlung morgen werden wir es auch kaum erfahren, denke ich. – Es wird wohl zwischen neun und zehn Uhr abends gewesen sein.«
»David hat den 9-Uhr-20-Zug nach London noch erreicht«, versetzte Lynn eifrig.
»Woher willst du das wissen, Lynn?«
»Weil ich ihn zufallig traf, als er zum Bahnhof rannte.«
»Und woher wei?t du, dass er den Zug noch erreichte?«
»Weil er mich spater von London aus angerufen hat.«
»Was hat der Kerl dich anzurufen?«, grollte Rowley. »Das passt mir nicht, Lynn, ich sage dir – «
»Ach, reg dich nicht auf, Rowley, es hat nicht das Geringste zu bedeuten. Es beweist aber, dass er den Zug noch erwischt hat.«
»Er hatte ubergenug Zeit, den Mord zu begehen und dann zum Bahnhof zu laufen.«
»Unmoglich, wenn Arden nach neun Uhr ermordet worden ist.«
»Vielleicht wurde er kurz vor neun Uhr ermordet.«
Rowleys Stimme klang nicht mehr ganz so sicher. Seine Theorie war erschuttert worden.
Lynn schloss die Augen. Entsprach Rowleys Verdacht der Wahrheit? War David vom »Hirschen«, hergerannt gekommen, ein Morder, der vom Tatort floh, als er sie kusste? Seine sonderbar euphorische Stimmung fiel ihr ein, die verhaltene Erregung, in der er sich befunden hatte. War dies die Nachwirkung eines Mordes gewesen? Und war es David Hunter zuzutrauen, dass er einen Menschen ermordet, der ihm nie ein Leid zugefugt hatte? Nur, weil er zwischen Rosaleen und einem gro?en Vermogen stand?
»Warum hatte David Hunter Underhay ermorden sollen?«, murmelte sie, aber es klang wenig uberzeugend.
»Wie kannst du nur fragen, Lynn! Ich habe dir doch eben erklart, dass wir Onkel Gordons Geld bekommen, wenn sich beweisen lasst, dass Underhay noch lebt oder jedenfalls zur Zeit der Eheschlie?ung von Rosaleen und Gordon Cloade noch gelebt hat. Au?erdem versuchte Underhay, David zu erpressen.«
Das ist etwas anderes, dachte Lynn. Mit einem Erpresser wurde David nicht viel Federlesens machen. Es lie?