Underhay. Ich begriff es einfach nicht. Ich begreife es immer noch nicht.«

»Aber jemand muss Major Porter aufgesucht und uberredet haben. Jemand hat ihn bestochen, den Toten als Robert Underhay zu identifizieren. Wissen Sie ubrigens, dass Major Porter sich heute Nachmittag erschossen hat?«

»Nein!« Frances fuhr zuruck, die Augen weit aufgerissen vor Entsetzen. »Nein! O Gott!«

»Leider ist es so, Madame. Major Porter war im Grunde ein anstandiger Mensch. Er befand sich in finanziellen Schwierigkeiten, und als die Versuchung an ihn herantrat, war er, wie so viele, zu schwach, ihr zu widerstehen. Wie wenig wohl er sich bei seiner Aussage vor Gericht fuhlte, war ihm anzumerken. So weit hatte er sich bringen lassen. Doch nun sah die Situation anders aus. Ein Mensch war des Mordes angeklagt. Und von seiner Aussage uber die Identitat des Ermordeten hing vielleicht das Schicksal des Angeklagten ab.

Er kehrte heim in seine Wohnung und schlug den Ausweg ein, der ihm als einziger moglich schien.«

Frances erhob sich und trat ans Fenster.

»Da stehen wir also wieder am Anfang«, meinte sie langsam. 

28

Inspektor Spence wiederholte am folgenden Morgen beinahe wortlich Frances Cloades Ausspruch:

»Da waren wir also wieder da, wo wir angefangen haben. Wir mussen herausfinden, wer dieser Enoch Arden in Wirklichkeit war.«

»Das kann ich Ihnen sagen, Inspektor«, meinte Poirot. »Sein richtiger Name war Charles Trenton.«

Der Inspektor blickte uberrascht auf.

»Trenton? Einer von den Trentons? Warten Sie…«

Er dachte angestrengt nach und schien in seiner Erinnerung zu kramen.

»Ja, Charles Trenton. Er hatte allerhand auf dem Kerbholz. Zechpreller und Schuldenmacher.«

»Wie steht es mit Ihrer Anklage gegen David Hunter?«, erkundigte sich Poirot.

»Wir werden ihn wohl laufen lassen mussen«, bekannte der Inspektor. »Es ist erwiesen, dass eine Frau nach zehn Uhr bei Arden war. Wir haben nicht nur die Aussage dieses alten Drachens im ›Hirschen‹, wir haben die Bestatigung von Jimmy Pierce. Er hatte im ›Hirschen‹ ein paar Glaser getrunken und machte sich kurz nach zehn Uhr auf den Heimweg. Er hatte eine Frau aus dem ›Hirschen‹ kommen und zur Telefonzelle gegenuber gehen sehen. Es sei niemand gewesen, den er kannte, sagte er, vermutlich ein Hotelgast, habe er sich gedacht. Ein Frauenzimmer sei es gewesen, das waren seine Worte.«

»Sah er sie aus der Nahe?«

»Er stand auf der anderen Stra?enseite«, gab der Inspektor Auskunft. »Wer zum Teufel war diese Frau, Monsieur Poirot?«

»Konnte dieser Jimmy Pierce etwas uber die Kleidung der Fremden aussagen?«

»Ja, seine Schilderung deckt sich mit der der alten Dame. Stark geschminkt, einen orangenen Schal um den Kopf und lange Hosen.«

Ein Weilchen herrschte Schweigen zwischen den beiden Mannern. Hercule Poirot unterbrach es als erster.

»Es gibt noch mehr ungeloste Fragen in diesem Fall«, sagte er bedachtig. »Wieso lasst David Hunter sich so leicht erpressen? Es entspricht nicht seinem Charakter, gleich die Flinte ins Korn zu werfen. Dann haben wir da Rosaleen Cloade, deren Benehmen vollig unverstandlich ist. Wovor hat sie solche Angst? Wieso befurchtet sie, sie sei in Gefahr, jetzt, wo ihr Bruder sie nicht mehr beschutzen kann? Irgendetwas muss ihr diese Furcht eingeflo?t haben. Sie zittert nicht um das Vermogen Gordon Cloades, nein, sie zittert um ihr Leben.«

»Lieber Himmel, Monsieur Poirot, Sie denken doch nicht etwa, dass – «

»Erinnern wir uns an das, was Sie eben selbst gesagt haben, Inspektor«, mahnte Poirot. »Wir stehen wieder da, wo wir angefangen haben. Genauer gesagt, die Cloades stehen wieder da, wo sie angefangen haben. Robert Underhay starb in Afrika. Und zwischen Gordon Cloades gro?em Vermogen und den lachenden Erben steht Rosaleen Cloade.« 

29

Gemachlich spazierte Hercule Poirot die Hauptstra?e entlang, doch strebte er nicht dem »Hirschen«, zu, sondern lenkte seine Schritte dem wei?en Haus zu, in dem Lynn Marchmont wohnte.

Es war ein herrlicher Tag, ein sommerlicher Fruhlingsmorgen mit jener Frische, die dem Hochsommermorgen fehlt.

Poirot bog in den Pfad ein, der zu Mrs Marchmonts Haus fuhrte. In einem Liegestuhl unter dem machtigen Apfelbaum im Garten lag Lynn Marchmont.

Sie sprang erschrocken auf, als sie eine hofliche Stimme neben sich »guten Morgen«, sagen horte.

»Oh, haben Sie mich erschreckt, Monsieur Poirot. Sie sind also noch immer hier?«

»Ich bin noch immer hier – allerdings.«

»Bedeutet dies, dass Sie mit dem Gang der Dinge nicht zufrieden sind?«, fragte Lynn mit hoffnungsfroher Stimme. »Ich meine, nicht zufrieden damit, dass man David eingesperrt hat?«

»Sie wunschen sich sehr, dass er unschuldig sein moge, nicht wahr?«

Hercule Poirots Stimme klang sanft.

»Ich will nur nicht, dass ein Unschuldiger gehangt wird«, wehrte Lynn ab. »Aber die Polizei ist voreingenommen. Weil er sich trotzig gebardet, halten sie ihn fur schuldig.«

»Sie tun der Polizei unrecht. Die Geschworenen fallten das Urteil: schuldig, also musste die Polizei David Hunter in Haft nehmen. Aber ich kann Ihnen verraten, dass sie weit davon entfernt sind, sich mit der Lage abzufinden.«

»Sie lassen ihn vielleicht frei?«

Poirot zuckte vielsagend die Achseln.

»Wen verdachtigt man denn, Monsieur Poirot?«

»Man hat eine Frau in der betreffenden Nacht am Tatort gesehen.«

»Ich verstehe uberhaupt nichts mehr«, rief Lynn aus. »Als wir glaubten, der Fremde sei Robert Underhay, schien alles so einfach. Warum hat dieser Major Porter denn behauptet, er sei Underhay, wenn er es gar nicht war? Und warum hat er sich erschossen? Wir sind wieder da, wo wir angefangen haben.«

»Sie sind jetzt schon der dritte Mensch, der das sagt«, stellte Poirot fest.

»Ja?« Sie schaute fragend zu dem Detektiv auf. »Was gedenken Sie zu tun, Monsieur Poirot?«

»Ich gedenke, nach Furrowbank hinaufzugehen, und ich mochte Sie auffordern, mich zu begleiten«, erwiderte Poirot, obwohl er sehr gut verstand, dass Lynn ihre Frage anders gemeint hatte.

»Nach Furrowbank? Ich war gestern oben und habe Rosaleen gefragt, ob ich ihr in irgendeiner Beziehung behilflich sein konnte. Sie hat mich angesehen und gesagt: ›Sie! Ausgerechnet Sie!‹ Ich glaube, sie hasst mich.«

»Zeigen Sie sich gro?mutig und verstandnisvoll«, erwiderte Poirot. »Rosaleen Cloade tut mir Leid. Ich wurde ihr gern helfen. Selbst jetzt noch, wenn sie auf mich horen wollte – «

Mit einem plotzlichen Entschluss richtete er sich auf.

»Kommen Sie, Mademoiselle, gehen wir nach Furrowbank.« 

30

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