Vor drei Monaten gehorten sie dem Prinzen Ali Yusuf von Ramat. Aber jetzt? Wenn sie noch in Ramat waren, wurden sie der neuen Regierung gehoren, obwohl der Prinz in seinem Testament wohl anderweitige Verfugungen getroffen hat. In diesem Fall wurde alles davon abhangen, wo sein Letzter Wille erfullt wird und ob sich die Rechtsgultigkeit des Testaments beweisen lasst. Sie mogen seiner Familie gehoren. In der Praxis sieht die Sache jedoch anders aus. Wenn Sie oder ich die Juwelen auf der Stra?e finden wurden, konnten wir sie einfach in die Tasche stecken und behaupten, sie gehorten uns. Ich bezweifle, ob es einen legalen Weg gabe, sie uns wieder abzunehmen. Man konnte es naturlich versuchen, aber das internationale Recht ist unglaublich verworren.«

»Sie glauben also, dass der Finder sie getrost behalten darf?«, fragte Kelsey. Er schuttelte missbilligend den Kopf. »Das ist kein sehr erfreulicher Zustand.«

»Nein, erfreulich ist es nicht«, bestatigte Adam. »Es ist uns bekannt, dass mehrere Parteien an den Steinchen interessiert sind, die leider vor nichts zuruckschrecken wurden. Es hat sich namlich herumgesprochen, dass die Juwelen, kurz vor Ausbruch der Revolte, aus dem Land geschmuggelt worden seien. Das mag stimmen oder nicht. Man wei? auch nicht, auf welche Weise, man hort die verschiedensten Versionen.«

»Aber was hat das mit Meadowbank zu tun? Hangt es mit dem kleinen persischen Unschuldsengel zusammen, mit Prinzessin Shanda?«

»Ja, denn sie ist die Kusine von Ali Yusuf. Es ist moglich, dass gewisse Leute versuchen, sich mit ihr in Verbindung zu setzen. Uns sind in der Nahe der Schule einige fragwurdige Gestalten aufgefallen, zum Beispiel eine Mrs Kolinsky, die im Grand Hotel wohnt. Sie gehort einer recht prominenten internationalen Schieberbande an. Nach au?en hin handelt es sich um eine Gruppe ehrbarer Geschaftsleute, die es jedoch verstehen, sich gewisse wertvolle Informationen zu verschaffen. Einem Gerucht zufolge soll sich auch eine Tanzerin in der Gegend aufhalten, die in einem Kabarett in Ramat aufgetreten ist. Wir wissen nicht einmal, wie sie aussieht, nur, dass sie im Dienst einer auslandischen Regierung steht. Alles weist auf Meadowbank hin, und nun die Ermordung der Turnlehrerin…«

Kelsey nickte nachdenklich.

»Irre Situation.« Er zogerte, dann fuhr er fort: »Wenn man so etwas im Kino sieht, findet man es ubertrieben, an den Haaren herbeigezogen – und doch geschieht es.«

»Geheimagenten, Spione, Morder und Erpresser gibt es leider nicht nur auf der Leinwand«, stimmte Adam zu.

»Aber in Meadowbank? In der beruhmten Schule von Miss Bulstrode?«

»Ich gebe zu – es klingt fast wie Majestatsbeleidigung«, bestatigte Adam.

»Was hat sich Ihrer Meinung nach gestern Nacht ereignet?«, fragte Kelsey nach einer kurzen Pause.

Adam erwiderte nach einiger Uberlegung: »Die Springer war mitten in der Nacht in der Turnhalle. Warum? Es ist sinnlos, nach dem Tater zu suchen, bevor wir nicht wissen, warum sie in der Turnhalle war. Nehmen wir an, dass sie, trotz ihres einwandfreien, hochst gesunden Lebenswandels schlecht schlief, zufallig aus dem Fenster sah und ein Licht in der Turnhalle bemerkte. Sie konnte es doch von ihrem Fenster aus sehen?«

Kelsey nickte.

»Da sie eine furchtlose Person war, ging sie sofort hinunter, um festzustellen, was da los ist. Sie storte jemanden – aber wobei? Wir wissen es nicht, wir wissen nur, dass der Eindringling sie erschossen hat. Aber man schie?t nur, wenn man sich in einer verzweifelten Lage befindet oder wenn es sich um eine Angelegenheit von immenser Bedeutung handelt.«

Wieder nickte Kelsey zustimmend.

»Gut. Die erste Moglichkeit ware also, dass die unschuldige Springer erschossen wurde, wahrend sie tapfer ihre Pflicht erfullte. Aber es gibt noch eine andere Moglichkeit. Miss Springer, die wegen ihrer sportlichen Fahigkeiten dafur besonders geeignet erscheint, wird vom Kopf einer Bande nach Meadowbank geschickt… Sie wartet auf eine geeignete Nacht, dann schleicht sie heimlich zur Turnhalle – warum, wissen wir nicht. Jemand folgt ihr… oder wartet auf sie… jemand, der einen Revolver bei sich hat und entschlossen ist, ihn auch zu benutzen… Aber wieder und wieder: Warum? Zum Teufel nochmal, was kann man in einer Turnhalle verstecken?«

»Ich kann Ihnen versichern, dass dort nichts versteckt war«, erklarte Kelsey. »Wir haben alles sozusagen mit dem Staubkamm durchgekammt, sowohl die Schlie?facher der Schulerinnen wie das Fach von Miss Springer. Wir haben nichts gefunden als Sportutensilien. In dieser nagelneuen Turnhalle waren ganz bestimmt keine Juwelen verborgen.«

»Der Morder konnte sie naturlich bereits an sich genommen haben, als Ihre Leute die Durchsuchung begannen«, meinte Adam. »Wir durfen auch die Moglichkeit nicht au?er Acht lassen, dass Miss Springer, oder sonst jemand, in der Turnhalle ein Rendezvous hatte. Sie eignet sich recht gut dazu. Nehmen wir also an, dass Miss Springer dort ein Stelldichein hatte und dass ein Streit entstand, in dessen Verlauf sie erschossen wurde. Eine weitere Variante: Miss Springer bemerkte, dass jemand das Haus verlie?, sie folgte dieser Person und entdeckte etwas, das sie nicht horen oder sehen durfte.«

»Ich kannte sie nicht, aber den Berichten der anderen nach zu urteilen, muss sie eine ziemlich neugierige Person gewesen sein«, sagte Kelsey.

»Wahrscheinlich ist ihre Neugier sogar der Schlussel zu den Ereignissen in der Turnhalle«, erklarte Adam.

»Wenn es wirklich ein Rendezvous war, dann…« Kelsey machte eine bedeutungsvolle Pause.

Adam nickte zustimmend. »Dann muss es in der Schule eine Person geben, der wir unsere ungeteilte Aufmerksamkeit zuwenden mussen. Eine Katze im Taubenschlag!«

»Katze im Taubenschlag? Wer hat das heute schon einmal gesagt?« Kelsey uberlegte. »Ja, naturlich. Es war Miss Rich, eine der Lehrerinnen.« Nach einer weiteren Pause fuhr er fort: »Drei – Damen sind erst zu Beginn dieses Schuljahrs nach Meadowbank gekommen: Die Sekretarin Shapland, Mademoiselle Blanche und Miss Springer, die tot ist und nicht mehr infrage kommt. Wenn sich eine Katze unter den Tauben befindet, musste es eine dieser beiden sein.« Er sah Adam an. »Was halten Sie davon?«

»Ich habe Mademoiselle Blanche neulich dabei uberrascht, wie sie aus der Turnhalle kam«, sagte Adam nach kurzem Zogern. »Sie machte ein schuldbewusstes Gesicht, als ware sie auf frischer Tat ertappt worden. Dennoch wurde ich eher die Sekretarin verdachtigen. Miss Shapland ist kalt und berechnend, au?erdem sehr intelligent. Ich an Ihrer Stelle wurde mal ihre Vergangenheit einer grundlichen Prufung unterziehen… Was gibt’s denn da zu lachen?«

Kelsey grinste ubers ganze Gesicht.

»Miss Shapland halt Sie fur ein verdachtiges Individuum. Sie hat Sie dabei ertappt, wie Sie aus der Turnhalle kamen, und fand, dass Sie einen schuldbewussten Eindruck machten!«

»Tatsachlich? So eine Unverschamtheit!«, brauste Adam auf.

Kommissar Kelsey wurde wieder ernst.

»Meadowbank spielt in dieser Gegend eine gro?e Rolle«, sagte er. »Es ist eine hervorragende Schule, und Miss Bulstrode ist ein besonders feiner Mensch. Wir mussen diese Sache so schnell wie moglich aufklaren, um dem guten Namen der Schule und ihrer Leiterin nicht unnotig zu schaden.« Er sah Adam nachdenklich an. »Ich bin der Ansicht, dass wir Miss Bulstrode mitteilen mussen, wer Sie sind. Sie wird den Mund halten, darauf konnen Sie sich verlassen.«

Adam stimmte ihm nach kurzem Zogern zu.

»Ja, unter diesen Umstanden wird es sich kaum vermeiden lassen«, sagte er. 

12

Miss Bulstrode unterschied sich durch eine besondere Eigenschaft vorteilhaft von den meisten Frauen. Sie konnte zuhoren.

Sie horte Kommissar Kelsey und Adam schweigend zu, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Schlie?lich sagte sie ein einziges Wort: »Bemerkenswert!«

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