Sie erwahnte, dass sie in der Schule, an der sie vorher angestellt war, jemanden ›entlarvt‹ hatte. Allerdings habe die Leiterin etwas gegen sie gehabt und sich deshalb geweigert, Miss Springers Enthullungen ernst zu nehmen. Auch einige der Lehrerinnen sollen gegen sie gewesen sein. Wissen Sie, was das bedeutet, Kommissar?« Miss Rowan beugte sich so erregt vor, dass sie fast vom Stuhl fiel. Eine glatte dunkle Haarstrahne hing ihr ins Gesicht. »Die ersten Anzeichen von Verfolgungswahn.«
Kommissar Kelsey raumte hoflich ein, dass Miss Rowan in vielen Punkten Recht haben mochte. Jedoch konne er ihre Theorie eines Selbstmordes nur dann teilen, wenn sie ihm erklarte, wie Miss Springer es fertiggebracht habe, sich aus einer Entfernung von gut einem Meter zu erschie?en. Auch das Verschwinden der Mordwaffe bedurfe einer Erklarung.
Miss Rowan stellte beleidigt fest, dass das Vorurteil der Polizei gegen psychologische Methoden ja nur zu bekannt sei.
Dann raumte sie das Feld fur Ann Shapland.
»Nun, Miss Shapland, was konnen Sie uns zu dieser Angelegenheit mitteilen?«, fragte Kommissar Kelsey mit einem wohlgefalligen Blick auf die gepflegte, adrette Sekretarin.
»Leider nicht das Geringste. Ich habe mein eigenes Wohnzimmer und sehe die Lehrerinnen nur selten. Das Ganze erscheint mir noch immer einfach unglaublich.«
»Unglaublich? Inwiefern?«
»Weil ich mir nicht vorstellen kann, wer ein Interesse daran haben konnte, Miss Springer zu erschie?en. Nehmen wir an, sie hatte einen Einbrecher uberrascht – aber warum eigentlich sollte jemand auf den Gedanken kommen, in die Turnhalle einzubrechen?«
»Vielleicht ein paar Dorfjungen, die es auf irgendwelche Sportgerate abgesehen hatten oder sich auch nur einen Jux machen wollten.«
»In diesem Fall hatte Miss Springer einfach gesagt: ›Was wollt ihr denn hier? Macht, dass ihr wegkommt!‹ Und sicher hatten die Jungen so schnell wie moglich das Weite gesucht.«
»Ist Ihnen jemals aufgefallen, dass Miss Springer eine besondere Einstellung zur Turnhalle hatte?«
»Eine besondere Einstellung?«, fragte Ann Shapland erstaunt.
»Hielt sie sie sozusagen fur ihr Privateigentum? Passte es ihr nicht, dass andere hineingingen?«
Ann schuttelte den Kopf.
»Mir ist nichts Derartiges aufgefallen; allerdings bin ich selbst nur zweimal dort gewesen, als Miss Bulstrode mich beauftragte, bestimmten Schulerinnen etwas auszurichten.«
»Wussten Sie nicht, dass Miss Springer einmal sehr argerlich wurde, als Mademoiselle Blanche dort war?«
»Nein, das wusste ich nicht… oder doch… ich horte irgendwann mal, dass Mademoiselle Blanche sich uber Miss Springer beklagte. Allerdings ist sie so leicht beleidigt, dass das niemand sehr ernst nimmt. Auch uber die Zeichenlehrerin soll sie sich neulich beschwert haben. Vielleicht hat sie zu viel freie Zeit. Sie gibt nur Franzosisch.« Ann Shapland zogerte, bevor sie hinzufugte: »Ich halte sie fur ziemlich neugierig.«
»Glauben Sie, dass sie in den Schlie?fachern herumgestobert hat?«
»Moglich war’s, dass sie sich damit die Zeit vertreiben wollte«, erwiderte Ann.
»Hatte Miss Springer selbst ebenfalls ein Schlie?fach?«
»Ja, naturlich.«
»Wenn Miss Springer Mademoiselle Blanche dabei ertappt hatte, wie diese in ihrem eigenen Fach herumkramte, ware sie naturlich mit Recht argerlich gewesen.«
»Allerdings.«
»Ist Ihnen etwas uber Miss Springers Privatleben bekannt?«
»Ich glaube nicht, dass irgendjemand daruber Bescheid wei?. Ich frage mich, ob sie uberhaupt eins hatte.«
»Haben Sie mir sonst nichts zu sagen? Irgendetwas, das mit der Turnhalle in Verbindung stehen konnte?«
Ann zogerte.
»Ich wei? nicht, ob das von Bedeutung ist«, sagte sie schlie?lich. »Neulich sah ich den jungen Gartner aus der Turnhalle kommen, und der hatte dort bestimmt nichts zu suchen. Wahrscheinlich wollte er sich nur vor der Arbeit drucken – er war gerade damit beschaftigt, den Drahtzaun bei den Tennisplatzen zu reparieren. Aber das ist wohl ganz unwichtig.«
»Immerhin haben Sie sich daran erinnert«, meinte Kelsey. »Warum wohl?«
»Vielleicht nur deshalb, weil er eine so trotzige Miene zur Schau trug«, erwiderte Ann stirnrunzelnd. »Au?erdem bemerkte er in verachtlichem Ton, dass fur die verwohnten Schulerinnen hier wohl ein Haufen Geld ausgegeben werde.«
»Ach so«, meinte Kelsey, »diese Einstellung… ich verstehe.«
Ann nickte. »Aber bestimmt ist das alles vollig belanglos«, schloss sie.
»Hochstwahrscheinlich. Immerhin werde ich mir eine Notiz machen.«
»Ringel-, Ringelreihen. Immer im Kreis herum«, seufzte Sergeant Bond, als Ann Shapland gegangen war. »Hoffentlich erfahren wir wenigstens von den Dienstboten etwas Neues.«
Aber auch die Dienstboten hatten wenig zu berichten.
»Mich brauchen Sie gar nicht erst zu fragen, junger Mann«, sagte Mrs Gibbons, die Kochin. »Erstens kann ich Sie sowieso nicht verstehen, denn ich bin schwerhorig, und zweitens wei? ich von nichts. Ich habe gestern Nacht besonders fest geschlafen, und von der ganzen Aufregung hab ich nichts gemerkt. Hat sich auch keiner die Muhe genommen, mich zu wecken und mir Bescheid zu sagen«, fugte sie gekrankt hinzu. »Ich hab’s erst heute Fruh erfahren.«
Kelsey brullte ihr einige Fragen ins Ohr und bekam einige nichts sagende Antworten.
Dann wurde sie entlassen.
Die meisten Hausangestellten waren nur tagsuber in Meadowbank. Das einzige Dienstmadchen, das im Haus lebte, wusste ebenso wenig auszusagen wie die Kochin, obwohl sie wenigstens imstande war, die Fragen zu verstehen. Sie wusste nichts, niemand hatte ihr etwas gesagt; Miss Springer sei eine unfreundliche Person gewesen; die Turnhalle habe sie niemals betreten und einen Revolver noch nie im Leben gesehen.
Dieses ergebnislose Verhor wurde durch das Erscheinen vor Miss Bulstrode unterbrochen.
»Eine meiner Schulerinnen wunscht mit Ihnen zu sprechen, Kommissar«, sagte sie.
»Wirklich? Wei? sie etwas?«, fragte Kelsey interessiert.
»Das mochte ich bezweifeln«, erklarte Miss Bulstrode. »Aber das wird sich ja gleich herausstellen. Es handelt sich um eine Auslanderin, um Prinzessin Shanda, die Nichte des Emirs Ibrahim. Sie neigt dazu, sich etwas wichtig zu nehmen.«
Kelsey nickte verstandnisvoll. Miss Bulstrode verlie? das Zimmer, und ein zartes, mittelgro?es, dunkelhaariges Madchen trat ein.
»Sind Sie die Polizei?«, fragte sie mit einem schuchternen Aufschlag ihrer mandelformigen Augen.
»Ja, wir sind die Polizei«, erwiderte Kelsey lachelnd. »Bitte nehmen Sie doch Platz, und erzahlen Sie uns, was Sie von Miss Springer wissen.«
»Ja, ich werde alles erzahlen.«
Sie setzte sich, beugte sich vor und sagte in dramatischem Flusterton: »Diese Schule wird bewacht, und zwar von Leuten, die sich nicht zeigen – aber sie sind da!«
Sie nickte bedeutungsvoll.
Kommissar Kelsey begann zu verstehen, was Miss Bulstrode gemeint hatte. Dieses junge Madchen liebte es, sich in Szene zu setzen. »Warum sollte diese Schule bewacht werden?«
Das hatte Kelsey allerdings nicht erwartet. Er fragte erstaunt: »Zu welchem Zweck?«
»Um meine Familie zu erpressen, um viel Losegeld zu bekommen«, erwiderte Shanda prompt.
»Das ware vielleicht nicht ganz unmoglich«, gab Kelsey zogernd zu. »Aber was hat das mit Miss Springers Tod zu tun?«
»Sie muss etwas herausgefunden haben«, sagte Shanda. »Vielleicht hat sie mit ihnen gesprochen, vielleicht hat sie ihnen gedroht. Oder sie haben ihr Geld versprochen, wenn sie schweigen wurde, und das hat sie geglaubt. So geht sie also zur Turnhalle, weil sie ihr dort das Geld geben wollten, und da haben sie sie dann