»Komplett verruckt«, stellte Sergeant Bond fest.

»Nein, ich halte sie keineswegs fur verruckt«, widersprach Kelsey. »Sie scheint zu den Leuten zu gehoren, die, wie man so sagt, einen sechsten Sinn haben, die fuhlen, dass eine Katze im Zimmer ist, bevor sie sie gesehen haben. In Afrika ware sie wahrscheinlich eine Medizinfrau geworden.«

»Die horen das Gras wachsen und riechen das Bose, nicht wahr?«, fragte der Sergeant.

»Stimmt«, bestatigte Kelsey. »Und ich habe die Absicht, genau dasselbe zu tun. Da uns bisher niemand konkrete Beweise geliefert hat, bleibt mir nichts anderes ubrig, als so lange herumzuschnuffeln, bis ich was gefunden habe. Bitte rufen Sie jetzt die Franzosin herein.« 

10

Mademoiselle Angele Blanche war etwa funfunddrei?ig Jahre alt. Sie war ungeschminkt, ihr dunkelbraunes Haar war ordentlich, aber unkleidsam frisiert, und sie trug ein streng geschnittenes Jackenkleid.

Es war, wie sie sagte, ihr erstes Schuljahr in Meadowbank, und sie war nicht sicher, ob sie noch fur ein weiteres dableiben wollte.

»Ich liebe es nicht, zu sein in einer Schule, wo Morde passieren«, erklarte sie.

Au?erdem hielt sie es fur einen Fehler, dass es im ganzen Haus keine Alarmanlage gab.

»Ich glaube kaum, dass ein Einbrecher in dieser Schule Wertgegenstande vorfinden wurde. Nein, ein Einbruch wurde sich von seinem Standpunkt aus nicht lohnen«, meinte Kelsey.

Mademoiselle Blanche zuckte die Achseln.

»Ich bin nicht so sicher. Diese Madchen hier – manche von ihnen haben sehr reichen Vater. Vielleicht sie besitzen Gegenstande von viel Wert. Vielleicht wei? ein Dieb daruber Bescheid, er kommt her und denkt: Hier man kann leicht stehlen.«

»Aber die Wertgegenstande der jungen Madchen waren bestimmt nicht in der Turnhalle zu finden.«

»Wieso wissen Sie?«, fragte Mademoiselle. »Sie haben Schlie?facher dort, die jungen Madchen, nicht wahr?«

»Die Schlie?facher sind nur fur Sportutensilien bestimmt.«

»Mag sein, ja. Aber man kann verstecken vieles in einem Turnschuh oder es wickeln in alten Pullover oder Schal.«

»Was zum Beispiel, Mademoiselle Blanche?«

Diese Frage wusste Mademoiselle Blanche nicht zu beantworten.

»Selbst die gro?zugigsten Vater wurden es ihren Tochtern nicht gestatten, Brillantarmbander mit in die Schule zu nehmen«, fuhr Kommissar Kelsey fort.

»Wer wei?? Vielleicht einen anderen Wertgegenstand – einen Skarabaus zum Beispiel –, etwas, wofur ein Sammler wurde geben viel Geld. Von einem Madchen der Vater ist Archaologe.«

Kelsey lachelte.

»Ich halte das fur ziemlich unwahrscheinlich, Mademoiselle Blanche.«

»War ja nur so eine Idee«, meinte sie achselzuckend.

»Haben Sie auch an anderen englischen Schulen Franzosisch unterrichtet, Mademoiselle Blanche?«

»In Nordengland – vor einiger Zeit. Hauptsachlich ich habe gelehrt in Frankreich und in Schweiz. Auch in Deutschland. Ich war gekommen nach England, um zu verbessern mein Englisch. Ich habe hier eine Freundin. Sie wurde krank ganz plotzlich, und sie schickte mich zu Miss Bulstrode; die war froh, so schnell zu finden einen Ersatz. Aber es gefallt mir nicht sehr gut. Wie ich schon habe gesagt, ich werde wohl nicht lange hierbleiben.«

»Warum gefallt es Ihnen hier eigentlich nicht?«, hakte Kelsey nach.

»Ich mag nicht Schulen, wo geschossen wird«, sagte Mademoiselle Blanche. »Und die Kinder haben keinen Respekt.«

»Kinder sind es doch eigentlich nicht mehr.«

»Manche haben Benehmen wie kleine Babys, manche sind wie Damen von funfundzwanzig. Es gibt hier alle Arten. Sie haben zu viel Freiheit. Ich ziehe vor eine Schule mit Disziplin.«

»Kannten Sie Miss Springer gut?«

»So gut wie gar nicht. Sie hatte schlechte Manieren, und ich versuchte zu sprechen mit ihr moglichst wenig. Sie war Haut und Knochen und Sommersprossen und hatte eine laute, hassliche Stimme. Sie war wie Karikatur von Englanderin. Zu mir sie war oft unhoflich, und das mag ich nicht.«

»Bei welcher Gelegenheit war sie unhoflich zu Ihnen?«

»Als ich einmal wollte besichtigen die Turnhalle. Das mochte sie nicht – sie tat, als ware es ihre Turnhalle. Aber es ist schones neues Gebaude, und ich sehe mich einmal darin um, und da kommt Miss Springer und sagt: ›Was wollen Sie hier? Sie haben nichts zu suchen hier!‹ Hat sie gedacht, ich bin Schulerin?«, fragte Mademoiselle emport.

»Das war wirklich sehr ungezogen«, stimmte Kelsey beruhigend zu.

»Sehr schlechte Manieren, eine unmogliche Person! Und dann ruft sie: ›Gehn Sie nicht fort mit dem Schlussel in Ihrer Hand.‹ Ich war sehr argerlich. Wie ich die Tur aufmache, der Schlussel fallt heraus. Ich bucke mich und hebe ihn auf, und ich vergesse ihn zuruckzutun, weil die mich hat beleidigt. Und dann schreit sie mir noch nach, ob ich wollte stehlen den Schlussel. Ihr Schlussel und ihre Turnhalle!«

»Sonderbar, dass sie die Turnhalle als ihr Privateigentum zu betrachten schien…« Kommissar Kelsey versuchte vorsichtig seine Fuhler weiter auszustrecken. »Vielleicht hatte sie dort etwas versteckt und furchtete, dass es jemand finden konnte?«

»Was soll sie haben versteckt? Liebesbriefe vielleicht?« Mademoiselle Angele lachte verachtlich. »Der hat bestimmt niemand geschrieben einen Liebesbrief… Die anderen Lehrerinnen sind wenigstens hoflich. Miss Chadwick ist altmodisch – wie sagt man? – umstandlich. Miss Vansittart ist sehr nett und sympathisch – grande dame.

Miss Rich mag sein etwas verruckt, aber freundlich. Und die jungeren Lehrerinnen sind ganz nett.«

Nach einigen weiteren unwichtigen Fragen wurde Mademoiselle Blanche entlassen.

»Uberempfindlich, wie alle Franzosen«, bemerkte Bond.

»Aber nicht uninteressant«, erwiderte Kelsey. »Miss Springer mochte es also nicht, wenn andere sich in ihrer Turnhalle umsahen. Aber warum?«

»Vielleicht glaubte sie, dass die Franzosin ihr nachspionierte«, sagte Bond.

»Aber weshalb? Das wurde ihr doch nur dann etwas ausgemacht haben, wenn sie wirklich etwas zu verbergen hatte… Wen haben wir sonst noch zu verhoren?«, fugte Kelsey hinzu.

»Miss Blake und Miss Rowan, die beiden jungen Lehrerinnen, und Miss Bulstrodes Sekretarin.«

Miss Blake war jung und ernst. Sie hatte ein rundes, gutmutiges Gesicht. Ihre Facher waren Physik und Naturkunde. Viel zu sagen hatte sie nicht. Sie hatte mit Miss Springer kaum Kontakt gehabt und auch keine Ahnung, was zu ihrer Ermordung gefuhrt haben mochte.

Miss Rowan hatte ihre eigenen Ansichten uber den Fall, wie es sich fur eine Psychologin gehorte. Sie hielt es fur sehr wahrscheinlich, dass Miss Springer Selbstmord verubt hatte.

Kommissar Kelsey hob die Augenbrauen.

»Warum sollte sie? War sie besonders unglucklich?«

»Sie war aggressiv«, behauptete Miss Rowan und sah Kelsey durch ihre dicken Brillenglaser aufmerksam an. »Sehr aggressiv, und das halte ich fur einen au?erst wichtigen Faktor. Es war ein unbewusster Versuch, ihr Minderwertigkeitsgefuhl zu verbergen.«

»Nach allem, was ich bisher gehort habe, war sie sehr von ihrer eigenen Wichtigkeit uberzeugt«, meinte Kelsey.

»Zu sehr«, erklarte Miss Rowan bedeutungsvoll. »Verschiedene Dinge, die sie sagte, bestatigen meine Vermutung.«

»Zum Beispiel?«

»Sie machte gewisse Anspielungen; sie sagte, es gabe Leute, die nicht das waren, was sie zu sein schienen.

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