»Hat sich heute den Tag freigeben lassen«, erklarte Briggs. »Mir war’s recht. Konnte ja doch nicht viel machen, von wegen Ihren Polizisten. Sind ja den ganzen Tag lang uber das Grundstuck getrampelt.«
»Man hatte mich uber seine Anwesenheit informieren sollen«, erklarte Kelsey gereizt.
»Wie meinen Sie das?«, fragte Briggs.
»Er steht nicht auf der Liste der Leute, die hier angestellt sind«, erklarte der Kommissar.
»Ach so. Na, da werden Sie ihn eben morgen sehen«, meinte der Gartner. »Viel erzahlen wird der Ihnen wohl nicht.«
»Man kann nie wissen«, sagte der Kommissar.
Ein kraftiger junger Mann, der seine Dienste erst kurzlich angeboten hatte… Kelsey glaubte zum ersten Mal auf etwas gesto?en zu sein, das von Interesse sein konnte.
Nach Ende der Abendandacht, als die Schulerinnen im Begriff waren, die Aula zu verlassen, hob Miss Bulstrode Aufmerksamkeit heischend die Hand.
»Ich habe Ihnen noch etwas zu sagen. Wie Sie wissen, ist Miss Springer gestern Nacht in der Turnhalle erschossen worden. Wenn jemand von Ihnen wahrend der letzten Woche irgendetwas Sonderbares gehort oder gesehen hat, das im Zusammenhang mit Miss Springers Tod stehen konnte, so bitte ich Sie, es mir mitzuteilen. Ich werde den Abend uber in meinem Wohnzimmer sein.«
»Ich wunschte, wir wussten etwas«, seufzte Julia Upjohn, wahrend die Madchen die Aula verlie?en. »Aber leider haben wir keine blasse Ahnung, nicht wahr, Jennifer?«
»Keinen Schimmer«, bestatigte Jennifer.
»Miss Springer war so schrecklich uninteressant«, stellte Julia fest. »Eigentlich viel zu uninteressant, um auf geheimnisvolle Weise ums Leben zu kommen.«
»Wieso geheimnisvoll?«, fragte Jennifer. »Es war ganz einfach ein Einbrecher.«
»Der unsere Tennisschlager stehlen wollte?«, fragte Julia sarkastisch. »Vielleicht ist sie einem Erpresser in die Hande gefallen«, meinte eine der anderen Schulerinnen.
»Aus welchem Grund?«, fragte Jennifer.
Niemand konnte sich vorstellen, weshalb jemand Miss Springer erpresst haben sollte.
Kommissar Kelsey begann sein Verhor mit Miss Vansittart. Eine gut aussehende Frau, dachte er. Etwas uber vierzig, gro?, gute Figur, gepflegtes graues Haar. Sie besitzt Haltung und Wurde und ist von ihrer Wichtigkeit uberzeugt, dachte er. Sie erinnerte ihn sogar ein wenig an Miss Bulstrode, obwohl diese zweifellos die starkere Personlichkeit war. Miss Vansittart wurde, im Gegensatz zu Miss Bulstrode, niemals etwas Unerwartetes tun.
Er stellte ihr die ublichen Fragen und erhielt nichts sagende Antworten. Miss Vansittart hatte nichts gesehen, nichts gehort und nichts bemerkt. Miss Springer war ihrer Ansicht nach eine ausgezeichnete Turnlehrerin gewesen. Sie war vielleicht nicht sehr zuvorkommend, nicht sehr liebenswurdig, aber das spielte beim Sport keine so gro?e Rolle. Es war sogar, in gewisser Weise, ein Vorteil, denn junge Madchen neigten nun einmal dazu, nette junge Lehrerinnen anzuschwarmen. Miss Vansittart bevorzugte eigentlich eher herbere Typen. Da sie nichts von Bedeutung auszusagen hatte, durfte sie rasch wieder gehen.
»Nichts Boses sehen, nichts Boses horen, nichts Boses denken, wie die drei Affen«, bemerkte Sergeant Percy Bond, der Kommissar Kelsey bei seiner Arbeit half. »Diese Lehrerinnen sind alle gleich. Ich kann sie nicht ausstehen, seit ich ein kleiner Junge war. Unsere Lehrerin war ein richtiges Scheusal, so was vergisst man nicht.«
Die nachste Lehrerin war Eileen Rich. Hasslich wie die Nacht, war Kelseys erste Reaktion, trotzdem fand er sie nicht ohne Charme. Er stellte die ublichen Fragen, aber ihre Antworten waren etwas origineller, als er erwartet hatte. Nachdem auch sie aussagte, sie habe nichts Ungewohnliches uber Miss Springer gehort, fragte er: »Glauben Sie, dass Miss Springer personliche Feinde hatte?«
»Ausgeschlossen«, erwiderte Eileen Rich schnell. »Das war ja ihre Tragodie. Niemand liebte sie, und niemand hasste sie.«
»Wie kommen Sie darauf, Miss Rich?«
»Ich bin sicher, dass niemand ein Interesse daran hatte, sie zu vernichten. Was immer sie tat und sagte, war oberflachlich, unbedeutend. Sie verstand es, die Leute zu verargern, aber es handelte sich immer um Kleinigkeiten. Ich bin davon uberzeugt, dass sie nicht um ihrer selbst willen ermordet worden ist, wenn Sie verstehen, was ich meine?«
»Nicht genau, Miss Rich.«
»Wenn sie Kassiererin in einer Bank gewesen ware, auf die ein Uberfall stattfand, wurde sie nicht erschossen worden sein, weil sie Grace Springer war, sondern weil sie an der Kasse sa?. Niemand war an ihr
»Hat sie sich in die Privatangelegenheiten anderer gemischt?«
»Nicht dass ich wusste«, erwiderte Eileen Rich nachdenklich. »Sie hat niemandem nachspioniert, aber wenn sie auf etwas stie?, das sie nicht verstand, gab sie keine Ruhe, bis sie der Sache auf den Grund gegangen war.«
»Aha.« Kelsey machte eine kurze Pause, dann fragte er: »Sie selbst mochten sie nicht, Miss Rich, nicht wahr?«
»Ich habe mir ihretwegen nicht den Kopf zerbrochen. Sie war ja nur die Turnlehrerin. Wie uberheblich das klingt! Und doch hatte sie selbst diese Einstellung. Sie bemuhte sich, ihren Posten gewissenhaft auszufullen, aber das war auch alles. Sie war nicht enthusiastisch, sie besa? keinen Ehrgeiz, sie hatte keine Freude an ihrem Beruf.«
Kelsey betrachtete sie neugierig. Eine eigenartige Person, dachte er.
»Sie scheinen Ihre eigenen Ideen uber die Dinge zu haben, Miss Rich.«
»Ja, das mag stimmen.«
»Seit wann sind Sie in Meadowbank?«
»Seit gut anderthalb Jahren.«
»Hat sich wahrend dieser Zeit etwas Ungewohnliches ereignet?«
»Nein. Bis zu Beginn dieses Schuljahrs war alles in bester Ordnung.«
»Und was ist dann geschehen – abgesehen von dem Mord naturlich?«, fragte Kelsey scharf. »Sie wollten doch andeuten, dass sich etwas verandert hat, nicht wahr?«
»Eigentlich nicht…« Sie unterbrach sich. »Oder vielleicht doch… obwohl alles so unklar ist, verschwommen…«
»Fahren Sie fort!«
»Miss Bulstrode scheint seit einiger Zeit nicht sehr glucklich zu sein«, sagte Eileen langsam. »Au?er mir ist es, glaube ich, keinem aufgefallen… sie ist auch nicht die Einzige, die unglucklich ist… Aber das meinen Sie wohl nicht. Sie wollten wissen, ob… ob sich die Atmosphare verandert hat, nicht wahr?«
»Ja – irgendetwas in dieser Richtung«, bestatigte Kelsey.
»Irgendetwas ist
»Das bringt uns leider nicht viel weiter«, meinte Kelsey skeptisch.
»Nein, naturlich nicht. Es klingt idiotisch, das wei? ich selbst. Ich wollte nur sagen, dass irgendetwas nicht stimmt, aber ich wei? nicht, was es ist. Ich kann meinen Finger nicht darauflegen.«
»Denken Sie an eine bestimmte Person?«
»Nein, das sagte ich doch schon. Nur… nur irgendjemand hier gibt mir ein Gefuhl der Unsicherheit. Nicht wenn ich sie ansehe, aber wenn sie mich ansieht. Entschuldigen Sie, das klingt schrecklich verworren und unlogisch. Es ist eben nur so ein Gefuhl, und Sie brauchen keine Gefuhle, sondern Beweise.«
»Allerdings, aber es mag etwas dran sein«, erklarte Kelsey. »Bitte sagen Sie mir Bescheid, wenn sich Ihre Gefuhle zu einem bestimmten Verdacht verdichten sollten.«
Sie nickte.
»Selbstverstandlich. Ich wei?, wie ernst die Lage ist. Der Morder mag bereits am anderen Ende der Welt sein oder sich noch hier in der Schule aufhalten. In diesem Fall muss auch die Waffe noch hier sein… eine furchtbare Vorstellung, nicht wahr?«
Sie verlie? das Zimmer mit einem hoflichen Kopfnicken.