strammes Turnen und Freiubungen neue Menschen aus ihnen machen wurden. Und dann sagte ich, sie sollte sich nur nicht einbilden, alles besser zu wissen, ich selbst hatte bestimmt mehr Erfahrung als sie. Aber jetzt wunschte ich von ganzem Herzen, es nicht gesagt zu haben. Ich mache mir die entsetzlichsten Vorwurfe.«

Miss Bulstrode fuhrte Miss Johnson zum Sofa.

»So, und jetzt setzen Sie sich ganz ruhig hierhin, meine Liebe«, befahl sie. »Machen Sie sich keine Vorwurfe. Wir alle haben gelegentlich Meinungsverschiedenheiten; ohne sie ware das Leben recht langweilig.« Miss Johnson nahm kopfschuttelnd auf dem Sofa Platz. Dann gahnte sie herzhaft. Miss Bulstrode folgte dem Kommissar in die Vorhalle.

»Ich habe ihr ziemlich viel Kognak gegeben«, erklarte sie entschuldigend. »Deshalb ist sie jetzt wohl so geschwatzig. Hoffentlich fanden Sie ihren Bericht nicht zu verworren.«

»Durchaus nicht«, sagte Kelsey. »Sie hat alles sehr gut beschrieben.«

Miss Bulstrode fuhrte ihn zur Seitentur.

»Sind Miss Johnson und Miss Chadwick durch diese Tur hinausgegangen?«, fragte er.

»Ja. Wie Sie sehen, fuhrt diese Tur direkt auf den Weg mit den Rhododendronbuschen und zur Turnhalle.«

Der Kommissar hatte eine starke Taschenlampe, und er und Miss Bulstrode gingen mit schnellen Schritten auf das Gebaude zu, das jetzt hell erleuchtet war.

»Schoner Bau«, meinte Kelsey anerkennend.

»Hat auch eine Stange Geld gekostet – aber wir konnens uns leisten«, erwiderte Miss Bulstrode.

Sie betraten einen ziemlich gro?en Raum. Die Schlie?facher trugen die Namen der einzelnen Schulerinnen. Am Ende des Raumes befand sich ein Stander fur Tennis- und Hockeyschlager. Die Seitentur fuhrte zu den Dusch- und Umkleidekabinen. Kelsey blieb einen Augenblick am Eingang stehen. Zwei seiner Leute waren bereits an der Arbeit. Der Fotograf hatte soeben die notwendigen Aufnahmen gemacht; ein anderer Mann, der nach Fingerabdrucken suchte, blickte auf und sagte: »Sie konnen ruhig reinkommen, Kommissar. Wir haben nur noch in dieser Ecke zu tun.«

Kelsey ging bis zur Mitte des Raumes. Dort kniete der Polizeiarzt neben der Leiche. Als Kelsey sich naherte, blickte er auf.

»Sie ist aus einer Entfernung von gut einem Meter erschossen worden«, sagte er. »Herzschuss. Sie muss sofort tot gewesen sein.«

»Wann?«

»Ungefahr vor einer Stunde.«

Kelsey nickte. Dann naherte er sich einer gro?en, grauhaarigen Frau, die mit dem grimmigen Gesicht eines Wachhundes an der Wand lehnte. Etwa funfundfunfzig, dachte er, intelligente Stirn, eigensinniger Mund, bestimmt nicht hysterisch. Eine Frau, die man im taglichen Leben vielleicht leicht ubersieht, auf die man sich in kritischen Zeiten aber verlassen konnte.

»Miss Chadwick?«, fragte er.

»Ja.«

»Sie haben zusammen mit Miss Johnson die Leiche gefunden, nicht wahr?«

»Ja. Als wir kamen, war Miss Springer bereits tot.«

»Um welche Zeit war das?«

»Als Miss Johnson mich weckte, sah ich auf die Uhr. Es war zehn Minuten vor eins.«

Kelsey nickte. Das stimmte mit Miss Johnsons Aussage uberein. Er betrachtete die Tote nachdenklich. Ihr brandrotes Haar war kurzgeschnitten. Ihr Gesicht war mit Sommersprossen ubersat, sie hatte ein kraftiges Kinn und einen sehnigen, durchtrainierten Korper. Sie trug einen Tweedrock, einen schweren, dunklen Pullover, flache Schuhe, jedoch keine Strumpfe.

»Ist die Waffe gefunden worden?«

Einer der Polizeibeamten schuttelte den Kopf.

»Nein.«

»Und die Taschenlampe?«

»Liegt dort in der Ecke.«

»Fingerabdrucke?«

»Ja, die der Toten.«

»Also ist sie mit einer Taschenlampe hergekommen«, sagte Kelsey nachdenklich. »Aber warum?« Er richtete diese Frage zum Teil an sich selbst und seine Leute, zum Teil an Miss Bulstrode und an Miss Chadwick. Schlie?lich fragte er die Letztere nochmal ausdrucklich: »Was denken Sie?«

Miss Chadwick schuttelte den Kopf.

»Ich habe keine Ahnung. Sie mag hier etwas vergessen haben. Allerdings kann ich mir in diesem Fall nicht vorstellen, warum sie es mitten in der Nacht holen wollte.«

»Es sei denn, dass es sich um etwas sehr Wichtiges handelte«, meinte Kelsey.

Er blickte sich um. Nichts schien beruhrt worden zu sein, mit Ausnahme des Schlagerstanders, der von der Wand abgeruckt worden war. Auf dem Boden lagen mehrere Tennisschlager.

»Es ist durchaus moglich, dass auch sie, ebenso wie Miss Johnson, hier ein Licht bemerkt hat und nach dem Rechten sehen wollte. Das scheint mir sogar am wahrscheinlichsten zu sein.«

»Das glaube ich auch«, entgegnete Kelsey. »Ich frage mich nur, ob sie wirklich allein in die Turnhalle gegangen ware.«

»Ja«, sagte Miss Chadwick ohne Zogern.

»Aber Miss Johnson hat Sie geweckt und Sie gebeten, mitzukommen.«

»Sehr richtig, und ich hatte ebenfalls eine meiner Kolleginnen geweckt, wenn ich das Licht zuerst gesehen hatte«, erwiderte Miss Chadwick. »Miss Springer war da anders. Sie besa? enormes Selbstvertrauen – sie hatte es sogar vorgezogen, sich einem Eindringling allein entgegenzustellen.«

»Noch eine Frage: War die Seitentur, durch die Sie und Miss Johnson das Haus verlie?en, offen?«

»Ja.«

»Vielleicht hatte Miss Springer die Tur aufgeschlossen?«

»Das scheint die logische Schlussfolgerung zu sein«, erwiderte Miss Chadwick.

»Wir nehmen also an, dass Miss Springer Licht in der Turnhalle sah, dass sie hierher kam, um nach dem Rechten zu sehen, und dass sie dabei von dem Eindringling entdeckt und erschossen worden ist.«

Er drehte sich mit einer brusken Bewegung um und richtete die folgende Frage an Miss Bulstrode, die regungslos im Turrahmen stand.

»Erscheint Ihnen das ebenfalls als wahrscheinlich?«

»Keineswegs«, erwiderte Miss Bulstrode. »Der erste Teil Ihrer Annahme leuchtet mir ein. Ich kann mir vorstellen, dass Miss Springer in die Turnhalle kam, weil sie ein verdachtiges Licht bemerkt hatte. Dagegen verstehe ich nicht, warum die Person, die von ihr gestort wurde, sie erschossen haben soll. Warum ist sie nicht einfach fortgelaufen? Warum sollte irgendjemand sich nachts hier, mit einem Revolver bewaffnet, einschleichen? Lacherlich – einfach lacherlich! Hier ist nichts Wertvolles zu finden, bestimmt nichts, wofur man einen Mord riskieren wurde.«

»Halten Sie es fur wahrscheinlicher, dass Miss Springer hier ein Rendezvous gestort hat?«

»Diese Erklarung liegt auf der Hand«, sagte Miss Bulstrode. »Aber warum wurde sie ermordet? Ich halte es fur ausgeschlossen, dass meine Schulerinnen oder deren Verehrer Revolver mit sich herumtragen.«

Kelsey war derselben Meinung.

»Auch ich glaube kaum, dass die jungen Freunde Ihrer Schulerinnen Schusswaffen besitzen. Es besteht jedoch die Moglichkeit, dass Miss Springer hier mit einem Mann verabredet war…«

Miss Chadwick begann plotzlich zu kichern.

»Ausgeschlossen! Miss Springer hatte bestimmt kein nachtliches Rendezvous.«

»Ich dachte nicht an eine amourose Verabredung«, bemerkte der Kommissar trocken. »Ich bin der Ansicht, dass es sich um einen geplanten Mord handelt. Jemand, der beabsichtigte, Miss Springer zu toten, hatte sich, lediglich zu diesem Zweck, hier mit ihr verabredet.«

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