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Brief von Jennifer Sutcliffe an ihre Mutter:

Liebe Mummy,

hier ist gestern Nacht jemand ermordet worden. Miss Springer, unsere Turnlehrerin – mitten in der Nacht! Die Polizei war schon da, und heute Vormittag werden wir alle verhort. Miss Chadwick hat uns verboten, daruber zu sprechen, aber dir wollte ich es doch schnell sagen.

Herzliche Gru?e, deine Jennifer.

Ein Mord in einer so bekannten Schule wie Meadowbank erregte naturlich die Aufmerksamkeit des Polizeichefs. Wahrend die ublichen Untersuchungen stattfanden, war Miss Bulstrode nicht mu?ig gewesen. Sie hatte sich mit einem Zeitungsbesitzer und mit dem Innenminister in Verbindung gesetzt, beide personliche Freunde von ihr. Mithilfe dieser einflussreichen Leute war es ihr gelungen, Schlagzeilen uber den Fall in den Zeitungen zu vermeiden. In der Turnhalle war eine Turnlehrerin erschossen worden. Es stand noch nicht fest, ob es sich um einen Unglucksfall oder um einen Mord handelte. Das war alles.

Ann Shapland musste Briefe an alle Eltern schreiben, denn Miss Bulstrode verlie? sich nicht auf die Verschwiegenheit ihrer Schulerinnen. Sie hielt es fur angebracht, mehr oder weniger blutrunstige Schilderungen der Ereignisse durch einen kuhlen, sachlichen Bericht ihrerseits zu erganzen.

Am spateren Nachmittag hatte die Schulleiterin eine Unterredung mit Stone, dem Polizeichef, und Kommissar Kelsey. Es lag auch im Interesse der Polizei, sensationelle Zeitungsberichte zu verhindern, um die Erkundigungen moglichst ungestort fortsetzen zu konnen.

»Sie tun mir aufrichtig leid, Miss Bulstrode«, sagte der Polizeichef. »Diese Angelegenheit muss nicht nur ein schwerer personlicher Schock gewesen sein, sondern mag auch dem Ruf Ihrer Schule schaden.«

»Ein Mord schadet dem Ruf einer Schule unweigerlich«, erwiderte Miss Bulstrode. »Aber es ist sinnlos, sich daruber den Kopf zu zerbrechen. Wir haben schon manchem Sturm standgehalten, auch diesen werden wir uberleben. Ich hoffe nur, dass die Sache moglichst schnell aufgeklart wird.«

»Ich wusste nicht, warum uns das nicht gelingen sollte, meinen Sie nicht auch, Kelsey?«

»Es ware naturlich besonders wichtig, etwas mehr uber die Vergangenheit der Ermordeten zu erfahren«, erwiderte Kelsey nachdenklich.

»Glauben Sie wirklich?«, fragte Miss Bulstrode trocken.

»Sie mag Feinde gehabt haben«, mutma?te Kelsey.

Miss Bulstrode schwieg.

»Glauben Sie, dass die Schule in direktem Zusammenhang mit dem Fall steht?«, fragte der Polizeichef.

»Kommissar Kelsey ist davon uberzeugt, er versucht nur, meine Gefuhle nicht zu verletzen«, erwiderte Miss Bulstrode.

»Ja, das Verbrechen ist auf irgendeine Weise mit Meadowbank verknupft«, bestatigte Kelsey langsam. »Es stand Miss Springer frei, sich mit ihren Freunden an jedem beliebigen Ort au?erhalb der Schule zu treffen. Warum sollte sie, mitten in der Nacht, gerade die Turnhalle als Treffpunkt wahlen?«

»Gestatten Sie, dass wir die Schule und alle Nebengebaude durchsuchen, Miss Bulstrode?«, fragte Stone.

»Selbstverstandlich. Ich nehme an, dass Sie hoffen, die Mordwaffe zu finden.«

»Ja. Es muss ein kleiner Revolver gewesen sein – eine auslandische Marke.«

»Eine auslandische Marke«, wiederholte Miss Bulstrode nachdenklich.

»Wissen Sie, ob eine Ihrer Schulerinnen, eine der Lehrerinnen oder einer der Angestellten einen Revolver besitzt?«

»Mir ist nichts bekannt«, erklarte Miss Bulstrode. »Ich halte es fur ausgeschlossen, dass die Schulerinnen Waffen haben. Die Koffer werden bei ihrer Ankunft vom Personal ausgepackt, und das Vorhandensein eines Revolvers ware mir umgehend gemeldet worden. Aber ich habe selbstverstandlich nichts gegen eine Hausdurchsuchung einzuwenden. Das Grundstuck ist, wie ich bemerkt habe, bereits von Ihren Leuten durchgekammt worden.«

Kelsey nickte.

»So ist es. Au?erdem mochte ich die Lehrerinnen und auch das Personal einzeln verhoren. Vielleicht erinnert sich jemand an eine Bemerkung, die Miss Springer gemacht haben mag und die uns weiterhelfen konnte. Vielleicht ist jemandem etwas Ungewohnliches in ihrem Benehmen aufgefallen… das bezieht sich naturlich auch auf die Schulerinnen.«

»Ich hatte vor, nach der Abendandacht eine kurze Ansprache zu halten«, sagte Miss Bulstrode. »Ich wollte die Schulerinnen bitten, zu mir zu kommen, falls sie sich an irgendetwas erinnern, das mit Miss Springers Tod in Zusammenhang stehen konnte.«

»Eine ausgezeichnete Idee«, lobte der Polizeichef.

»Dabei durfen Sie naturlich nicht vergessen, dass viele junge Madchen dazu neigen, sich aufzuspielen, belanglose Vorfalle aufzubauschen oder sie gar zu erfinden. Aber ich nehme an, dass Ihnen diese Art von Wichtigtuerei nicht unbekannt ist.«

»Durchaus nicht«, erwiderte Kelsey lachelnd. »Durfte ich Sie jetzt um die Namen der Lehrerinnen und des Personals bitten?«

»Ich habe samtliche Schlie?facher in der Turnhalle durchsucht, Kommissar.«

»Haben Sie etwas gefunden?«

»Nichts von Interesse.«

»Waren alle Facher unverschlossen?«

»Ja. Man kann sie jedoch abschlie?en. In jeder Fachtur steckt ein Schlussel.«

Kelsey starrte nachdenklich auf den Boden. Die Tennis- und Hockeyschlager waren inzwischen wieder ordentlich im Stander verstaut worden.

»So, ich gehe jetzt ins Haus, um das Personal und die Lehrerinnen zu verhoren«, erklarte er.

»Halten Sie es fur moglich, dass der Mord von jemandem begangen wurde, der im Pensionat lebt?«

»Moglich war’s«, erwiderte Kelsey. »Nur Miss Chadwick, Miss Johnson und Jane, das Madchen mit den Ohrenschmerzen, haben ein Alibi. Alle anderen lagen angeblich in ihren Betten, aber niemand ist imstande, es zu beweisen.

Die Schulerinnen schlafen, ebenso wie die Lehrerinnen und die Dienstboten, in Einzelzimmern. Theoretisch hatte jede von ihnen ausgehen und Miss Springer in der Turnhalle treffen konnen. Nach vollbrachter Tat konnte die Betreffende sich durch die Busche zuruckschleichen, das Schulhaus durch den Seiteneingang betreten und bereits wieder im Bett liegen, als der Alarm gegeben wurde. Meine gro?te Schwierigkeit besteht darin, ein Motiv fur den Mord zu entdecken. Wenn hier nicht irgendetwas vorgeht, wovon wir nichts wissen, fehlt das Motiv.«

Er verlie? die Turnhalle und ging langsam zum Haus. Obwohl es schon spat war, arbeitete der alte Briggs noch im Garten. Er richtete sich auf, als der Kommissar vorbeikam.

»Noch immer flei?ig?«, fragte Kelsey.

»Unsereiner ist ja nicht wie die jungen Leute, die um Punkt funf den Spaten fallen lassen. Ein Gartner muss sich nach dem Wetter richten, nicht nach der Uhr. Gibt genug Tage, an denen man nichts im Garten machen kann, dafur muss man eben manchmal fruh um sieben anfangen und abends um Acht aufhoren. Was verstehen die jungen Leute schon davon! Ich bin sehr stolz auf meinen Garten!«

»Dazu haben Sie auch allen Grund«, entgegnete Kelsey. »Heutzutage sieht man nicht viele Garten, die so gepflegt sind wie dieser.«

»Heutzutage, heutzutage…«, seufzte Briggs. »Aber ich hab Gluck gehabt, habe endlich mal einen kraftigen jungen Hilfsgartner gefunden – au?erdem zwei Jungen, aber die taugen nicht viel. Wollen nicht arbeiten, gehen lieber in die Fabrik, wollen sich die Hande nicht mit Gartenerde und Kompost schmutzig machen. Na ja, da hab ich wirklich mal Gluck gehabt, dass dieser junge Mann daherkam und bei mir arbeiten wollte.«

»Kurzlich?«, fragte der Kommissar.

»Ja. Als das Schuljahr anfing. Adam hei?t er. Adam Goodman.«

»Ich habe ihn, glaube ich, noch nicht gesehen.«

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