»Entschuldigen Sie bitte, Miss Bulstrode. Ich habe Sie nicht gesehen.« Wie immer hingen unordentliche Haarstrahnen aus ihrem Knoten, der sich jeden Augenblick aufzulosen drohte. Miss Bulstrode bemerkte wieder einmal, dass ihr Gesicht zwar hasslich, aber intelligent, lebendig und interessant war.

»Haben Sie eine Stunde zu geben?«, fragte Miss Bulstrode nachdenklich.

»Ja, Englisch.«

»Das Unterrichten macht Ihnen Freude, nicht wahr?«

»Sehr. Ich kann mir nichts Faszinierenderes vorstellen als den Beruf einer Lehrerin.«

»Warum?«

Eileen Rich runzelte die Stirn und fuhr sich mit der Hand durch das Haar. »Ist das nicht merkwurdig? Daruber habe ich noch nie nachgedacht. Warum ist man gern Lehrerin? Weil es einem ein Gefuhl der Wichtigkeit gibt? Nein, nein… ganz so schlimm ist es denn doch nicht. Vielleicht konnte man es mit dem Angeln vergleichen. Man wei? nie im Voraus, was fur einen Fang man machen, was man dem Meer entlocken wird. Nichts ist aufregender, als auf einen Funken Talent zu sto?en und ihn anzufachen. Allerdings gelingt das nicht allzu oft.«

Miss Bulstrode nickte zustimmend. Sie hatte sich nicht geirrt. Miss Rich besa? Originalitat und konnte logisch denken.

»Ich nehme an, dass Sie eines Tages selbst eine Schule leiten werden«, bemerkte sie.

»Es ist mein sehnlichster Wunsch«, erwiderte Eileen Rich.

»Sicher haben Sie schon bestimmte Ideen uber die Leitung einer Schule, nicht wahr?«

»Jeder hat da wohl so seine Ideen, und manche davon lassen sich nicht verwirklichen«, erwiderte Eileen Rich. »Einige mogen sich sogar in der Praxis als grundfalsch erweisen – trotzdem muss man das Risiko eingehen und Experimente wagen. Leider muss jeder seine eigenen Erfahrungen sammeln, das scheint unvermeidlich zu sein.«

»Welche Anderungen wurden Sie vorschlagen, wenn Sie eine Schule wie Meadowbank leiten mussten?«, fragte Miss Bulstrode unvermittelt.

»Das… das ist schwer zu sagen«, erwiderte Miss Rich verwirrt.

»Genieren Sie sich nicht, Miss Rich. Heraus mit der Sprache!«

»Man hat immer den Wunsch, seine eigenen Ideen in die Tat umzusetzen. Sie mogen falsch oder richtig sein – man muss sie ausprobieren.«

»Sie glauben, dass es sich lohnt, etwas zu riskieren?«

»Ja. Lohnt sich das nicht immer?«, fragte Eileen Rich. »Wenn man von einer Idee wirklich uberzeugt ist, muss man den Mut haben, sie zu verwirklichen.«

»Wie ich sehe, scheuen Sie sich nicht davor, ein gefahrliches Leben zu fuhren«, sagte Miss Bulstrode gedehnt.

»Ich habe, glaube ich, immer ein gefahrliches Leben gefuhrt.« Ein Schatten huschte uber das Gesicht der jungen Lehrerin. »Ich muss gehen, meine Schulerinnen warten auf mich.«

Sie eilte fort.

Miss Bulstrode blickte ihr nach. Sie stand noch immer in Gedanken verloren da, als Miss Chadwick hastig auf sie zukam.

»Ach, hier bist du! Wir haben uberall nach dir gesucht. Professor Anderson hat gerade angerufen. Er mochte wissen, ob Meroe ubers Wochenende nachhause kommen darf, obwohl er sich daruber im Klaren ist, dass das bei Schuljahrsanfang im Allgemeinen nicht gestattet ist, aber er muss ganz plotzlich nach Auckland fahren.«

Miss Bulstrode horte nur mit halbem Ohr zu. Sie hat nicht genug Erfahrung, dachte sie, das ist das Risiko.

»Wohin muss er fahren?«, fragte sie zerstreut.

»Nach Auckland in Neuseeland«, wiederholte Miss Chadwick leicht erstaunt, »und ich habe versprochen, ihn wieder anzurufen, sowie ich mit dir gesprochen habe.«

»Sag ihm, dass wir in diesem Fall naturlich eine Ausnahme machen, Chaddy.«

Miss Chadwick warf einen prufenden Blick auf Miss Bulstrode.

»Du siehst besorgt aus, Honoria.«

»Findest du, Chaddy? Ja, vielleicht hast du Recht. Ich kann mich nicht entschlie?en… und… und das beunruhigt mich. Ich wei?, was ich tun mochte, aber es ware unfair, die Leitung der Schule einem Menschen anzuvertrauen, der nicht genugend Erfahrung besitzt.«

»Ich wunschte, du wurdest die ganze Idee aufgeben. Dein Platz ist hier. Ohne dich ist Meadowbank unvorstellbar, Honoria.«

»Auch dir bedeutet Meadowbank sehr viel, nicht wahr, Chaddy?«

»In ganz England gibt es keine Schule wie Meadowbank«, erklarte Miss Chadwick pathetisch. »Wir beide durfen stolz sein auf die Schule, die wir gemeinsam gegrundet haben.«

Miss Bulstrode legte liebevoll den Arm um die Schulter ihrer alten Freundin. »Das durfen wir wirklich, Chaddy. Du bist und bleibst mein Trost und meine Stutze. Niemand kennt die Schule so gut wie du, niemand liebt sie so sehr wie du und ich.«

Miss Chadwick errotete begluckt. Es kam nicht oft vor, dass Honoria Bulstrode ihre ubliche Zuruckhaltung aufgab.

»Ich kann mit diesem Ding nicht mehr spielen. Ganz unmoglich!«

Jennifer warf ihren Tennisschlager verzweifelt auf den Boden.

»Stell dich nicht so an, Jennifer.«

»Ich stell mich nicht an, Julia.« Jennifer hob den Schlager wieder auf und lie? ihn durch die Luft sausen. »Das Gleichgewicht ist gestort; ich wei? wirklich nicht, was ich machen soll.«

»Er ist jedenfalls viel besser als meiner. Mein Schlager ist wie ein Schwamm. Hor dir das mal an!« Sie klimperte uber die zu lose gespannten Saiten. »Wir wollten ihn eigentlich neu bespannen lassen, aber Mummy hat es vergessen.«

»Mir ist er immer noch lieber als meiner«, erklarte Jennifer, wahrend sie Julias Schlager prufte. »Wollen wir tauschen?«

»Soll mir recht sein.«

Beide Madchen losten die Klebestreifen, auf denen ihre Namen standen, vom Griff ihrer Schlager und befestigten sie auf dem Schlager der anderen.

»Rucktausch ausgeschlossen«, warnte Julia. »Es wird dir also nichts nutzen, dich uber meinen alten Schwamm zu beschweren.«

Adam pfiff vergnugt vor sich hin, wahrend er den Drahtzaun reparierte, der den Tennisplatz umgab. Plotzlich offnete sich die Tur der Turnhalle, und Mademoiselle Blanche, die franzosische Lehrerin, blickte heraus. Beim Anblick von Adam nahm ihr spitzes Mausgesicht einen erstaunten Ausdruck an. Sie zogerte einen Augenblick, bevor sie wieder in die Turnhalle zuruckging.

Was mag die im Schilde fuhren?, fragte sich Adam. Er ware nicht darauf gekommen, sich diese Frage zu stellen, wenn Mademoiselle nicht ein so schuldbewusstes Gesicht gemacht hatte. Gleich darauf kam sie aus der Turnhalle heraus und machte die Tur hinter sich zu.

»Wie ich sehe, reparieren Sie den Zaun?«

»Jawohl«, erwiderte Adam lakonisch.

»Was fur prachtvolle Tennisplatze Sie hier haben, und so ein herrliches Schwimmbad! Oh, le sport! In England geht nichts uber le sport, hab ich nicht Recht?«

»Kann schon sein, Miss.«

»Spielen Sie selbst auch Tennis?« Sie musterte ihn wohlwollend und mit einer gewissen Herausforderung im Blick. Adams Misstrauen wuchs. Er fand, dass Mademoiselle Blanche eigentlich nicht der Typ der franzosischen Lehrerin sei, die man in Meadowbank erwartete.

»Nein, ich spiele nicht Tennis«, log er. »Dazu hat unsereiner keine Zeit.«

»Vielleicht spielen Sie Kricket?«

»Als Junge habe ich Kricket gespielt, das tun ja die meisten.«

»Bisher konnte ich mich hier noch nicht richtig umsehen«, erklarte Angele Blanche. »Aber heute ist so ein schoner Tag, da wollte ich mir die Turnhalle naher anschauen. Ich muss meinen Freunden in Frankreich daruber berichten; meine Freunde haben auch ein Internat, Sie verstehen?«

Adam nickte zerstreut. Wieso gab sie so ausfuhrliche Erklarungen ab? Es sah fast so aus, als wollte

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