Sie sind selbst bemerkenswert, dachte Adam, aber er sprach es nicht aus.
Miss Bulstrode kam, wie gewohnlich, ohne Umschweife zur Sache. »Und was kann ich nun tun, um Ihnen zu helfen?«, fragte sie.
Kommissar Kelsey rausperte sich.
»Wir hielten es fur richtig, Sie im Interesse der Schule uber alles zu informieren«, sagte er.
Miss Bulstrode nickte.
»Selbstverstandlich muss ich zuerst an die Schule denken«, erwiderte sie. »Ich bin fur die Sicherheit meiner Schulerinnen und meiner Angestellten verantwortlich. Ich mochte hinzufugen, dass es sowohl fur mich personlich wie auch fur die Schule wunschenswert ist, dass der Mord in der Offentlichkeit moglichst wenig Aufsehen erregt. Das mag egoistisch klingen, aber ich denke wirklich nur an das Wohl der mir anvertrauten jungen Menschen. Es sei denn, dass Sie Bekanntmachungen im gro?en Stil fur notwendig halten… sind sie notwendig, Kommissar?«
»Nein. Im Gegenteil. Je weniger uber diesen Fall geschrieben und gesprochen wird, desto besser«, erklarte Kelsey. »Die Leichenschau wird vertagt werden. Wir lassen durchblicken, dass wir den Mord fur das Werk jugendlicher Einbrecher halten, die zwar im Allgemeinen nur mit Messern bewaffnet sind, aber diesmal unglucklicherweise im Besitz einer Schusswaffe waren. Miss Springer hat sie uberrascht und wurde erschossen. Dabei wurde ich es belassen. Inzwischen konnen wir unsere Nachforschungen ungestort fortfuhren. Ich hoffe, die Presse wird uns keinen Strich durch die Rechnung machen. Meadowbank ist eine beruhmte Schule. Ein Mord in Meadowbank wird die Offentlichkeit naturlich interessieren.«
»Ich hoffe, das verhindern zu konnen«, sagte Miss Bulstrode sofort. »Ich habe gute Beziehungen – zu Presse, Regierung und Kirche.« Mit einem Blick auf Adam fuhr sie fort: »Sie sind doch einverstanden?«
»Selbstverstandlich. Auch wir legen Wert darauf, in Ruhe arbeiten zu konnen«, erwiderte er.
»Bleiben Sie weiter unser Gartner?«, erkundigte sich Miss Bulstrode.
»Wenn Sie nichts dagegen haben, ja. Es ist die einzige Moglichkeit, die Ereignisse aus unmittelbarer Nahe zu verfolgen.«
Miss Bulstrode runzelte die Stirn.
»Ich hoffe, dass Sie nicht noch mehr Morde erwarten?«
»Nein, nein.«
»Das ware furchterlich. Keine Schule konnte zwei Morde in einem Schuljahr uberleben.«
Sie wandte sich an Kelsey.
»Haben Ihre Leute die Durchsuchung der Turnhalle beendet? Ich ware froh, wenn wir sie bald wieder benutzen konnten.«
»Ja, alles erledigt und in bester Ordnung. Gefunden haben wir nichts, was in irgendeinem Zusammenhang mit dem Mord stehen konnte.«
»Auch nicht in den Schlie?fachern der Schulerinnen?«
Kommissar Kelsey lachelte.
»Nichts von Bedeutung, nur… nur ein franzosisches Buch mit Illustrationen,
»Aha, da hat sie es also versteckt. Es war doch in Gisele d’Aubrays Fach, nicht wahr?«
Kelseys Respekt vor Miss Bulstrode wuchs.
»Ihnen entgeht wirklich nichts«, sagte er.
»Im Augenblick gar nichts. Ich mochte nur noch eines wissen: Waren Sie eigentlich seit Beginn dieses Schuljahres uber irgendetwas beunruhigt? Uber einen Vorfall oder uber eine Person?«
Miss Bulstrode uberlegte einen Augenblick, dann sagte sie langsam: »Auf diese Frage kann ich nur mit einem ganz offenen ›Ich wei? es nicht‹ antworten.«
»Sie
»Der Fall liegt nicht so einfach, wie Sie denken. Ich hatte einmal das Gefuhl, dass mir etwas entgangen sei… ich werde es Ihnen beschreiben.«
Sie erzahlte kurz von ihrem Gesprach mit Mrs Upjohn, in dessen Verlauf sie zufallig aus dem Fenster geblickt hatte und die vollig betrunkene Lady Veronica auf das Schulhaus hatte zukommen sehen.
»Darf ich das noch einmal zusammenfassen, Miss Bulstrode«, sagte Adam. »Mrs Upjohn sah zum anderen Fenster hinaus, von dem aus man die Einfahrt uberblickt, und glaubte jemanden zu erkennen. Diese Tatsache ist an sich nicht erstaunlich; warum sollte sie unter den vielen Eltern und Tochtern, die an diesem Tag vorfuhren, nicht ein bekanntes Gesicht entdeckt haben? Aber Sie sind unbedingt der Meinung, dass Mrs Upjohn
»Ja, diesen Eindruck hatte ich.«
»Und Ihre Aufmerksamkeit war durch das unerwartete Erscheinen von Lady Veronica abgelenkt worden, die Sie durch das andere Fenster beobachteten, nicht wahr?«
Miss Bulstrode nickte.
»Inzwischen plauderte Mrs Upjohn uber dieses und jenes. Sie horten nur mit halbem Ohr zu, als sie Ihnen erzahlte, dass sie wahrend des Krieges – vor ihrer Heirat – fur den Nachrichtendienst tatig war.«
»Ja.«
»Vielleicht erkannte sie jemanden, mit dem sie wahrend des Krieges zu tun hatte, das ware moglich«, sagte Adam nachdenklich.
»Ich bin dafur, dass wir uns unverzuglich mit Mrs Upjohn in Verbindung setzen«, erklarte Kelsey. »Haben Sie ihre Adresse, Miss Bulstrode?«
»Selbstverstandlich, aber ich glaube, sie ist momentan im Ausland. Einen Augenblick.«
Sie druckte zweimal auf die Schreibtischklingel, dann stand sie ungeduldig auf, offnete die Tur und bat eine zufallig vorbeikommende Schulerin, Julia Upjohn zu ihr zu schicken.
»Ich werde lieber verschwinden, bevor Julia kommt«, meinte Adam. »Ich bin schlie?lich nur gerufen worden, weil mich der Kommissar verhoren wollte. Da er nichts von mir erfuhr, befahl er mir, mich aus dem Staub zu machen.«
»Sehr richtig! Machen Sie sich sofort aus dem Staub, und vergessen Sie nicht, dass das Auge des Gesetzes auf Ihnen ruht«, sagte Kelsey mit einem breiten Grinsen.
Im Hinausgehen fragte Adam Miss Bulstrode: »Darf ich meine Stellung als Gartner ungebuhrlicherweise dazu benutzen, mich bei Ihren Leuten lieb Kind zu machen?«
»Bei wem zum Beispiel?«
»Bei Mademoiselle Blanche vielleicht.«
»Glauben Sie, dass Mademoiselle Blanche…«
»Ich glaube, dass sie sich hier langweilt«, erwiderte Adam.
»Mag sein… Mit wem wollen Sie sich sonst noch anfreunden?«
»Ich werde mich nach allen Richtungen umsehen«, erwiderte Adam heiter. »Falls Sie entdecken sollten, dass einige Ihrer Schulerinnen eine heimliche Verabredung im Garten haben, bitte ich Sie zu bedenken, dass ich kein Windhund bin, sondern ein ehrlicher Spurhund.«
»Glauben Sie wirklich, dass die Madchen etwas wissen?«, fragte Miss Bulstrode.
»Manche wissen etwas, selbst wenn sie nicht wissen, dass sie etwas wissen.«
»Mag sein.«
Es wurde an die Tur geklopft, und Miss Bulstrode rief: »Herein!«
Julia Upjohn kam atemlos ins Zimmer.
»Sie konnen gehen, Goodman. Ich will Sie nicht langer von Ihrer Arbeit abhalten«, knurrte Kelsey.
»Ich kann Ihnen wei? Gott nicht mehr sagen, als dass ich von nichts eine Ahnung habe«, brummte Adam und stapfte hinaus.
»Bitte, entschuldigen Sie, dass ich so au?er Atem bin, Miss Bulstrode«, sagte Julia. »Ich bin den ganzen Weg vom Tennisplatz zum Haus gerannt.«
»Das macht nichts, Julia. Ich wollte Sie nur fragen, wo ich Ihre Mutter erreichen kann.«
»Mutter ist im Ausland. Ich kann Ihnen aber die Adresse von meiner Tante Isabel geben.«
»Die habe ich, aber ich muss mich unbedingt mit Ihrer Mutter personlich in Verbindung setzen.«