»Genau deshalb haben sie den armen Kerl wahrscheinlich umgebracht«, erklarte Colonel Pikeaway. »Aber wir haben keine Zeit, uns uber sein trauriges Schicksal zu unterhalten. Wir haben den Auftrag erhalten, gewisse Erkundigungen einzuziehen, und zwar von einer bestimmten Stelle, die das Vertrauen der Regierung Ihrer Majestat genie?t.« Er sah Edmundson scharf an. »Wissen Sie, worum es sich handelt?«

»Ich habe etwas lauten horen«, erwiderte Edmundson zogernd.

»Vielleicht haben Sie gehort, dass man unter den Trummern und in den Taschen der Leichen keinerlei Wertgegenstande gefunden hat. Man nimmt nicht an, dass die Bauern der Gegend etwas gestohlen haben, allerdings wurde ich keinen Eid darauf leisten. Bauern konnen ebenso verschwiegen sein wie das Auswartige Amt. Haben Sie sonst noch etwas gehort?«

»Nein.«

»Wissen Sie wirklich nicht, dass bestimmte Wertgegenstande vermisst werden? Weshalb hat man Sie eigentlich zu mir geschickt?«

»Um etwaige Fragen zu beantworten«, erwiderte Edmundson steif.

»Na also! Und wenn ich Fragen stelle, erwarte ich Antworten.«

»Das versteht sich.«

»Anscheinend nicht bei den Herren vom Diplomatischen Dienst«, bemerkte Colonel Pikeaway spitz. »Aber kommen wir zur Sache. Hat sich Bob Rawlinson mit Ihnen in Verbindung gesetzt, bevor er Ramat verlie?? Naturlich ist uns bekannt, dass er der Vertraute des Prinzen Ali Yusuf war, und wir mochten wissen, ob er Ihnen irgendetwas gesagt hat.«

»Wie kommen Sie darauf, Colonel?«

Colonel Pikeaway sah ihn scharf an, dann kratzte er sich hinter dem Ohr.

»Wenn Sie darauf bestehen, sich in diplomatisches Schweigen zu hullen, kann man nichts machen«, bemerkte er argerlich. »Aber meiner Ansicht nach ubertreiben Sie etwas, lieber Edmundson. Wenn Sie jedoch weiter vorgeben, von nichts zu wissen, ist der Fall fur mich erledigt.«

»Ich bin nicht ganz sicher, aber ich glaube, dass Bob die Absicht hatte, mir etwas Wichtiges mitzuteilen«, erklarte Edmundson nach einigem Zogern.

»Das bestatigt meine Vermutungen. Konnen Sie mir mehr daruber erzahlen?«

»Leider nicht viel, Colonel. Bob und ich hatten eine einfache Geheimsprache, da wir wussten, dass alle Telefongesprache in Ramat abgehort wurden. Er war uber die Vorgange im Palast informiert, und ich konnte ihm manchmal wichtige Nachrichten von drau?en ubermitteln. Wenn wir von einem schonen Madchen schwarmten und sagten: ›Das hat die Welt noch nicht gesehen‹, so bedeutete das, dass wir uns etwas Wichtiges mitzuteilen hatten. Am Tag, an dem die Revolte begann, rief Bob mich an und benutzte diese Phrase. Wir verabredeten uns vor der Handelsbank, in der Hauptstra?e, aber wir konnten uns nicht mehr treffen, da kurz nach unserem Telefongesprach Unruhen ausbrachen und die Stra?e von der Polizei gesperrt wurde. Ich hatte keine Moglichkeit mehr, mit Bob zu sprechen, der am gleichen Nachmittag mit Prinz Ali Yusuf das Land verlie?.«

»Ich verstehe… Wussten Sie, von wo aus er Sie angerufen hatte?«, fragte Colonel Pikeaway.

»Nein, keine Ahnung.«

»Das ist ein Jammer.«

Der Colonel machte eine kurze Pause, dann fuhr er fort: »Kennen Sie ubrigens Mrs Sutcliffe?«

»Bob Rawlinsons Schwester? Ja, naturlich, allerdings nur fluchtig. Sie war mit ihrer Tochter in Ramat.«

»Bestand ein sehr enges Verhaltnis zwischen Mrs Sutcliffe und ihrem Bruder?«

Edmundson uberlegte.

»Nein, eigentlich nicht. Bob war viel junger, und sie spielte die altere Schwester, wie sie im Buch steht. Au?erdem mochte er seinen Schwager nicht, den er fur einen hochnasigen Burschen hielt.«

»Da hatte er nicht ganz Unrecht; Sutcliffe ist einer unserer fuhrenden Gro?industriellen, arrogant und eingebildet… Aber das gehort nicht zur Sache. Halten Sie es fur wahrscheinlich, dass Rawlinson seiner Schwester ein Geheimnis anvertraut hat?«

»Schwer zu sagen, aber ich glaube es kaum.«

»Ich bin ganz Ihrer Meinung.« Pikeaway seufzte. »Ubrigens befinden sich Mrs Sutcliffe und ihre Tochter noch an Bord der ›Eastern Queen‹, die morgen in Tilbury landen soll.«

Er betrachtete den jungen Diplomaten nachdenklich, dann streckte er ihm plotzlich die Hand entgegen.

»Vielen Dank fur Ihren Besuch.«

»Keine Ursache. Es tut mir leid, dass ich Ihnen nicht mehr Informationen geben konnte.«

John Edmundson ging, und der diskrete junge Mann trat wieder ins Zimmer.

»Eigentlich wollte ich ihn bitten, Mrs Sutcliffe in Tilbury abzuholen, um ihr die traurige Nachricht zu uberbringen, weil er ein Freund ihres Bruders war«, erklarte Colonel Pikeaway. »Inzwischen habe ich es mir jedoch anders uberlegt. Er ist so entsetzlich steif und formlich. Das hat man ihm beim Auswartigen Amt beigebracht. Ich werde lieber Derek hinschicken… aber als Erstes muss ich etwas mit Ronnie besprechen. Bitten Sie ihn, sofort zu mir zu kommen.«

Colonel Pikeaway schien gerade wieder im Begriff zu sein einzuschlafen, als Ronnie ins Zimmer kam. Er war jung, gro? und kraftig und machte einen vergnugten, etwas spitzbubischen Eindruck.

Pikeaway betrachtete ihn einen Augenblick, dann fragte er lachelnd: »Hatten Sie Lust, in ein Madchenpensionat einzudringen?«

»In ein Madchenpensionat?«, wiederholte der junge Mann stirnrunzelnd. »Das ware mal eine Abwechslung! Was geht in dieser Schule vor? Haben die Madchen in der Chemiestunde heimlich Bomben fabriziert?«

»Sie sind auf der falschen Fahrte, mein Lieber! Es handelt sich um ein sehr vornehmes Internat – um Meadowbank.«

»Ja, ist denn das die Moglichkeit?«

»Halten Sie Ihren vorlauten Mund und horen Sie zu. Prinzessin Shanda, die Kusine und einzige nahe Verwandte des verstorbenen Prinzen Ali Yusuf, kommt furs nachste Schuljahr nach Meadowbank. Bisher ist sie in der Schweiz zur Schule gegangen.«

»Soll ich sie vielleicht entfuhren?«

»Unsinn! Versuchen Sie doch zur Abwechslung mal ernsthaft zu sein, Ronnie! Ich halte es fur moglich, dass Shanda bald im Mittelpunkt des Interesses stehen wird, und ich mochte, dass Sie die Entwicklungen in Meadowbank aus unmittelbarer Nahe beobachten. Genauere Anweisungen kann ich Ihnen vorlaufig nicht geben. Ich wei? nicht, was geschehen wird oder wer dort auftauchen mag. Sollten sich verdachtige Gestalten zeigen, bitte ich Sie, uns umgehend zu verstandigen.«

Der junge Mann nickte.

»Unter welchem Vorwand soll ich mir Zutritt verschaffen? Vielleicht als Zeichenlehrer?«

»In Meadowbank gibt es nur Lehrerinnen… wie ware es, wenn wir Sie zum Gartner ernennen wurden?«

»Zum Gartner?«

»Warum nicht? Wenn ich mich nicht irre, verstehen Sie sogar etwas davon.«

»Allerdings. Ich habe in jungen Jahren eine Artikelserie uber ›Freuden und Leiden des Gartners‹ fur die Sunday Mail geschrieben.«

»Das beweist noch nicht, dass Sie praktische Kenntnisse besitzen – und darauf kommt es hier an… in die Hande spucken, den Spaten fest anpacken, umgraben, dungen, rechen, jaten, tiefe Graben fur die Wicken ziehen, schwer arbeiten – konnen Sie das?«

»Naturlich, das habe ich von Jugend auf getan.«

»Das wollte ich nur horen, Ronnie, denn ich kannte Ihre Mutter und bin uberzeugt, dass sie ihre Kinder zu praktischen Menschen erzogen hat. Gut, das ware erledigt.«

»Wissen Sie, ob in dem Internat ein Gartner gebraucht wird?«

»Es gibt kein englisches Landhaus, dessen Besitzer nicht verzweifelt nach Gartnern sucht. Die Nachfrage ist viel gro?er als das Angebot. Nein, daruber brauchen Sie sich nicht den Kopf zu zerbrechen. Wir werden Ihnen erstklassige Zeugnisse mitgeben, und man wird Sie mit Begeisterung anstellen. Sie haben ubrigens keine Zeit zu verlieren, da der Unterricht am 29. beginnt.«

»Ich soll also mit weit offenen Augen und gespitzten Ohren im Garten arbeiten…«

»Stimmt. Und vermeiden Sie moglichst, sich von einem temperamentvollen Teenager verfuhren zu lassen. Wir wollen nicht riskieren, dass Sie Ihre Stellung zu schnell wieder verlieren.«

Colonel Pikeaway nahm einen Bleistift und ein Notizbuch zur Hand.

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