Ob es an dem schlagartigen Adrenalinschub liegt, der durch Joshs Adern schie?t, oder Chads geringem Gewicht, ist ungewiss, aber Chad fliegt durch die Luft wie eine fleischgewordene Kanonenkugel. Er saust in hohem Bogen in Richtung Baume, verliert einen Schuh und seine Kappe dabei, ehe er mit voller Wucht mit der Schulter zuerst gegen einen riesigen, alten Baum prallt. Die Luft entweicht aus seinen Lungen, und er sackt vor dem Baumstamm zu Boden, versucht zu atmen und blinzelt unglaubig vor sich hin.

Josh kniet sich vor Lilly hin und hebt vorsichtig ihr blutiges Gesicht. Sie versucht zu reden, bringt aber kein Wort uber ihre blutverschmierten Lippen. Josh atmet schmerzhaft aus – es hort sich an wie der Schuss einer Feuerwaffe. Irgendetwas an dem Anblick dieses wunderbaren Gesichts mit den sanften Augen und den mit Sommersprossen befleckten Wangen, die jetzt voller rotem Lebenssaft sind, lasst Josh beinahe ausrasten. Ein roter Film legt sich uber seine Augen.

Der gro?e Mann richtet sich auf, dreht sich um und geht uber die Lichtung auf Chad Bingham zu, der noch immer auf dem Boden liegt und sich vor Schmerz windet.

Josh sieht nur eine undeutliche, milchig-wei?e Gestalt unter sich. Das blasse Sonnenlicht scheint durch die neblige Luft. Chad macht einen erbarmlichen Versuch, davonzukriechen, aber Josh halt ihn an einem Bein fest und zieht kurz mit einem harten Ruck, so dass Chad wieder direkt vor ihm liegt. Josh rafft seinen Kontrahenten auf, lehnt ihn mit dem Rucken gegen den Baumstamm.

Chad stottert, Blut quillt aus seinem Mund: »Das geht dich … gar nichts … Biiitttttee … Kumpel … Lass uns daruber …!«

Josh wirft den maltratierten Korper gegen die Rinde der hundertjahrigen Eiche. Der Aufprall mit der Wucht eines Rammbocks knackt Chads Schadel und kugelt ihm die Schulter aus.

Chad sto?t einen undeutlichen, gurgelnden Urschrei aus, ehe seine Augen nach hinten rollen. Immer und immer wieder schleudert Josh den Mann gegen den alten Baumstamm.

»Ich bin nicht dein Kumpel«, antwortet Josh mit einer beinahe unheimlichen Ruhe und einer samtigen Stimme, die aus einem unerreichbaren, tiefen Ort in ihm stammt, wahrend er den widerstandslosen Mann wieder und wieder gegen den Baum krachen lasst.

Josh verliert so gut wie nie die Kontrolle. Die wenigen Male, die es passiert ist, kann er an einer Hand abzahlen: einmal beim American Football, als ein gegnerischer Angreifer – ein Redneck aus Montgomery – ihn einen Nigger genannt hat. Ein anderes Mal, als ein Dieb versucht hat, die Handtasche seiner Mutter zu stehlen. Aber jetzt wutet der Sturm in ihm schlimmer als je zuvor – irgendwie hat er keinerlei Beherrschung mehr uber seinen Korper, fuhrt die Bewegungen dennoch kontrolliert aus und rammt Chad Bingham gnadenlos gegen den Baumstamm.

Chads Kopf wackelt hin und her, das dumpfe Gerausch wird mit jedem Aufprall undeutlicher, feuchter, als der Schadel immer mehr nachgibt. Aus Chads Mund quillt Kotze, die sich uber Joshs riesige Vorderarme ausbreitet. Aber er merkt gar nichts davon, sieht nur, wie Chads linke Hand nach der Smith & Wesson greift, die er noch im Gurtel stecken hat.

Josh schnappt sich die Waffe und wirft sie unerreichbar fur Chad uber die Lichtung.

Mit seinem letzten Quantchen Kraft und einem Gehirn, das von multiplen Erschutterungen und Blutergussen schon aus seinem gespaltenen Schadel zu flie?en beginnt, rafft Chad Bingham sich ein letztes Mal auf und versucht, sein Knie in Joshs Weichteile zu rammen. Der Riese aber blockt den Sto? mit Leichtigkeit ab und holt dann aus, um sein Gegenuber mit einem vernichtenden Schlag zu treffen – einer gewaltigen Ruckhand, die wie ein surreales Echo zu dem Schlag erscheint, den Chad vor Kurzem noch Lilly erteilt hatte –, so dass Chad Bingham abhebt.

Er kommt funf Meter vom Baumstamm entfernt auf und bleibt liegen wie ein nasser Sack.

Josh hort nicht, wie Lilly uber die Lichtung hinweg auf ihn zukommt, vernimmt ihre Stimme nicht, wie sie ruft: »Josh, NEIN! NEIN! JOSH, HOR AUF, DU BRINGST IHN NOCH UM!«

Plotzlich wacht Josh Lee Hamilton auf, blinzelt, als ob er gerade vom Schlafwandeln erwacht sei und nackt die Hauptstra?e wahrend der Hauptverkehrszeit hinuntergeht. Er spurt Lillys Hand im Nacken, wie sie um seinen Hals fahrt und ihn zuruckhalt, so dass er sich nicht erneut auf den am Boden kauernden Chad Bingham wirft.

»Du bringst ihn um!«

Josh dreht sich um. Er sieht Lilly hinter sich stehen. Sie ist zu Brei geschlagen, mit Wunden ubersat, den Mund voller Blut und kaum fahig, zu stehen, geschweige denn, sich vernunftig zu artikulieren. Sie schaut ihn mit ihren wassrigen Augen an. Er zieht sie an sich, umarmt sie, und ihm steigen Tranen in die Augen. »Wie geht es dir?«

»Mir geht es gut … Ich bitte dich, Josh … Du musst aufhoren, ehe du ihn umbringst!«

Josh will ihr schon widersprechen, fangt sich aber noch rechtzeitig. Dann wendet sie sich dem Haufchen Elend auf dem Boden zu und sieht das Resultat seines Amoklaufs. Wahrend dieser furchterlichen, totenstillen Pause – Josh bewegt zwar die Lippen, aber es kommt kein Ton aus seinem Mund – beaugt er den eingefallenen Korper, der in einer Lache seiner eigenen Korperflussigkeiten liegt und sich nicht mehr bewegt.

Vier

Schon still halten, Kleines.« Bob Stookey dreht Lillys Kopf vorsichtig in den Handen, damit er ihre dicken, angeschwollenen Lippen besser untersuchen kann. Behutsam tupft er etwas Antibiotikum auf das rohe, entblo?te Fleisch und meint: »Gleich haben wir es, Lilly.«

Sie zuckt vor Schmerz zusammen. Bob kniet neben ihr, der Erste-Hilfe-Kasten steht auf dem Boden. Lilly liegt auf einer Pritsche. Das Zelt scheint in der nachmittaglichen Sonne zu gluhen, die durch die besudelte Plane dringt, doch die Luft ist kalt, und es riecht nach Desinfektionsmittel und abgestandenem Alkohol. Uber Lillys Bauch und Brust liegt eine Decke.

Bob braucht einen Drink. Und zwar schnell. Seine Hande fangen bereits an zu zittern. In der letzten Zeit hat er immer wieder Flashbacks von seiner Zeit beim Militar gehabt, als er noch im Marine Hospital Corps stationiert gewesen war.

Vor elf Jahren ist er in Afghanistan gewesen und hat Bettpfannen im Camp Dwyer gewechselt. Das scheint jetzt Millionen Jahre her zu sein. Eigentlich hatte es ihn auf das hier vorbereiten sollen. Schon damals hat Saufen ihn uber Wasser gehalten, und sie haben ihn mit Biegen und Brechen aus der Medizinschule in San Antonio entlassen, weil er dort auch schon uber die Strange geschlagen hat. Jetzt kommt der Krieg ihn immer wieder besuchen. Die mit Granatsplitter durchlocherten Korper im Nahen Osten waren nichts gegen die Schlachtfelder, welche dieser Krieg hinterlie?. Bob traumt noch manchmal von Afghanistan – die Untoten mischen sich plotzlich unter die Taliban, und die toten, kalten, ergrauenden Arme sprie?en wie Baume aus den Zeltwanden der mobilen Krankenhauser.

Aber Lilly Caul wieder zusammenzuflicken ist etwas ganz anderes fur Bob – es ist viel schlimmer als ein Sanitater nach einer Schlacht zu sein oder die Uberreste einer Zombie-Attacke aufzuraumen. Bingham hat sie ordentlich zugerichtet. Soweit Bob es ausmachen kann, hat sie mindestens drei gebrochene Rippen, eine schlimme Quetschung des linken Auges – welche vielleicht eine innere Blutung und mit etwas Pech sogar das Ablosen der Netzhaut zur Folge haben konnte – wie auch eine ganze Anzahl heftiger Verletzungen und Platzwunden im Gesicht. Bob traut sich nicht so recht auch nur so zu tun, als ob er ihr helfen konnte. Weder seine Vorrate noch seine eigenen Fahigkeiten sind ausreichend. Aber Bob ist der Einzige weit und breit, der sich auch nur annahernd mit so etwas auskennt. Es bleibt ihm also nichts anderes ubrig, als ihr aus Bettlaken, gebundenen Buchern und Bandagen eine Schiene fur ihre Rippen zu basteln und seine dahinschwindenden Reserven von Desinfektionscreme auf ihre oberflachlichen Wunden zu schmieren. Lillys Augen machen ihm am meisten Sorgen. Er wird sie beobachten mussen, um sicherzugehen, dass sie auch vernunftig verheilen.

»Da, das war es schon«, sagt er schlie?lich und tupft ein letztes Mal auf ihrer Lippe herum.

»Vielen Dank, Bob.« Lilly kann sich aufgrund der angeschwollenen Lippen nur schwer artikulieren. Ihr »S« klingt, als ob sie lispelt. »Schick die Rechnung doch bitte an meine Versicherung.«

Bob lacht ohne gro?e Belustigung auf und hilft ihr, die Jacke uber ihr neues Korsett und die ebenfalls in Mitleidenschaft gezogenen Schultern zu ziehen. »Was zum Teufel ist denn da drau?en passiert?«

Lilly seufzt und setzt sich auf, um den Rei?verschluss ihrer Jacke vorsichtig zu schlie?en. Die stechenden Schmerzen lassen sie immer wieder zusammenzucken. »Es ist etwas … Es ist alles etwas au?er Rand und Band geraten.«

Bob findet endlich seinen verbeulten Flachmann voll billigem Schnaps, lehnt sich auf seinem Klappstuhl

Вы читаете The Walking Dead 2
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату