Obst ein. Sie dienen als Warnung fur Lilly, dass sie sich immer weiter von der Zivilisation entfernen.
Sie fangt an, zwischen den Baumen Untote zu sehen – jeder Schatten, jeder dunkle Ort ein mogliches Versteck fur eine Bedrohung. Der Himmel ist leer, keine Vogel, keine Flugzeuge oder sonstigen Lebewesen. Stattdessen herrschen tote Kalte, und riesige graue Wolken lassen ihn wie einen gewaltigen grauen Gletscher aussehen.
Sie biegen auf die 362 ab – die Hauptverkehrsstra?e durch Meriwether County –, als die Sonne sich zum Horizont senkt. Aufgrund der vielen Autowracks und verlassenen Laster auf dem Asphalt fahrt Bob langsam und behutsam, nie schneller als funfzig. In der Dammerung erscheinen die beiden Fahrbahnen blaugrau, und die Dunkelheit breitet sich langsam uber die mit Kiefern und Sojabohnen bewachsenen Hugel aus.
»Wie lautet unser Plan, Captain?«, fragt Bob, als sie erst ein paar Kilometer gefahren sind.
»Plan?« Josh steckt eine Zigarre an und offnet das Fenster. »Du musst mich mit einem deiner Kommandeure verwechseln, die du im Irak wieder zusammengeflickt hast.«
»War nie im Irak«, erwidert Bob, den Flachmann zwischen den Beinen. Er nimmt heimlich einen Schluck. »Hab in Afghanistan gedient, und wenn ich ehrlich mit dir bin, gefallt es mir da mittlerweile besser als hier.«
»Ich kann dir nur sagen, dass mir geraten wurde, so schnell wie moglich von hier zu verschwinden. Und genau das habe ich auch vor.«
Sie fahren uber eine Kreuzung. Auf dem Schild steht FILBURN ROAD, ein staubiger, trostloser Pfad mit Graben an beiden Seiten, der sich zwischen zwei Tabakfeldern entlang zieht. Josh merkt sich den Ort und fragt sich insgeheim, wie weise es wohl ist, im Dunkeln auf offener Stra?e zu fahren. Laut sagt er: »Ich bin am Uberlegen … Vielleicht ist es nicht so klug, allzu weit von …«
»Josh!« Lillys Stimme unterbricht ihn jah und ubertont den Larm der ratternden Fahrerkabine. »Da sind Zombies! Schau doch nur!«
Josh blickt in die Richtung, in die sie deutet. Bob steigt auf die Bremse, so dass der Truck ins Schleudern kommt, ehe er anhalt. Lilly wird gegen den Sitz geworfen. Ein scharfer Schmerz durchfahrt ihre Rippen, und es ist ihr, als ob man sie mit einer stumpfen Schneide aufgeritzt hatte. Sie horen, wie Megan und Scott gegen die Trennwand zur Fahrerkabine geworfen werden.
»Heiliges Kanonenrohr!«, schimpft Bob und rei?t mit seinen verwitterten Handen am Lenkrad. Seine Knochel werden wei?, wahrend der Truck im Leerlauf vor sich hin nagelt. »Heiliges
Josh sieht die Menge der Untoten in der Ferne. Es sind mindestens vierzig oder funfzig – vielleicht sogar mehr, in dem dammrigen Licht schwer zu schatzen. Sie umschwarmen einen umgesturzten Schulbus. Von ihrer Warte aus scheint es, als ob nasse Kleidung aus dem Bus quillt, die die Zombies durchgehen. Rasch aber wird es jedem klar, dass es sich um menschliche Uberreste handelt. Und dass die Zombies am Fressen sind.
Kinder …
»Wir konnten einfach weiterfahren, mit Vollgas durch sie durch«, schlagt Bob vor.
»Nein … Nein!«, widerspricht Lilly. »Bob, meinst du das im Ernst?«
»Dann konnten wir sie umfahren.«
»Ich wei? nicht.« Josh wirft die Zigarre aus dem Fenster. Sein Puls wird schneller. »Die Graben zu beiden Seiten sind tief. Wir konnten umsturzen.«
»Was schlagst du dann vor?«
»Hast du noch Munition fur das fette Gewehr hinten im Camper-Aufsatz?«
Bob atmet angespannt aus. »Hab noch eine Schachtel 25er-Korn, vielleicht eine Million Jahre alt. Wie sieht es bei dir aus?«
»Habe nur noch das, was im Zylinder steckt – glaube, das sind noch funf Runden.«
Bob wirft einen Blick in den Ruckspiegel. Lilly sieht seine rot umrandeten Augen, sieht die Panik in ihnen. Bob starrt Lilly an und fragt: »Vorschlag?«
»Okay, wir konnten die meisten von ihnen ausschalten, aber der Larm wird nur noch mehr von ihnen auf uns aufmerksam machen. Wenn ihr mich fragt, sollten wir sie vollig meiden«, schlagt Lilly vor.
Genau in dem Augenblick erschreckt sie ein gedampfter Schlag. Ihre Rippen bereiten ihr Hollenqualen, als sie sich umdreht. In dem winzigen Fenster zum Camper-Aufsatz an der Hinterwand kann sie Megans blasses, vor Furcht verzerrtes Gesicht sehen, wie sie die Worte
»Ruhig! Es ist alles in Ordnung! Macht blo? keinen Stress!«, schreit Lilly in Richtung Fenster und wendet sich dann an Josh. »Was meinst du?«
Josh blickt aus dem Fenster in den langen, mit Rostflecken bedeckten Seitenspiegel. Im langlichen Spiegelbild sieht er die einsame Kreuzung circa dreihundert Meter hinter ihnen. Sie ist in der Dammerung kaum noch zu erkennen. »Ruckwarts«, sagt er.
Bob starrt ihn an. »Was?«
»Ruckwartsfahren … Schnell. Wir nehmen die Seitenstra?e.«
Bob schaltet den Ruckwartsgang ein und steigt aufs Gas. Der Truck erwacht erneut zum Leben.
Der Motor heult auf, und die Tragheit der Masse wirft sie nach vorne.
Bob bei?t sich auf die Unterlippe und kampft mit dem Lenkrad. Ihm bleiben nur die beiden Seitenspiegel, im Ruckspiegel sieht er lediglich den Camper-Aufsatz. Der Truck wird immer schneller, und Bob kommt ins Schleudern, als sie zur Kreuzung gelangen.
Er tritt mit aller Kraft auf die Bremse, so dass Josh gegen seine Ruckenlehne prallt. Aber es ist zu spat, denn Bob kommt mit dem Heck von der Fahrbahn ab und versucht jetzt mit Vollgas, den Wagen von dem wild wachsenden Gestrupp zu befreien. Die durchdrehenden Reifen werfen Staub und Laub in die Luft. Niemand hort das untote Schlurfen hinter den Strauchern.
Auch bemerken sie das leise Kratzen toter Finger nicht, die aus dem Blattwerk kommen und sich an die hintere Sto?stange krallen. Zumindest nicht, bis es zu spat ist.
Hinten im Camper-Aufsatz sturzen Megan und Scott durch das wilde Hin- und Herruckeln zu Boden, kichern aber trotzdem hemmungslos. Keiner der beiden kriegt etwas von den Zombies mit, die sich hinten an den Truck klammern. Als die Hinterrader endlich Halt finden und der Wagen nach vorne schnellt, rei?t Bob am Lenkrad, um in die Seitenstra?e einzubiegen. Megan und Scott rappeln sich vom Boden auf und setzen sich wieder auf ihre behelfsma?igen Sitze aus Obstkisten. Selbstvergessen kichern sie noch immer vor sich hin, haben keine Ahnung von der Gefahr, die auf sie lauert.
Die Luft im Camper-Aufsatz ist ganz blau vom Rauch. Scott hat zehn Minuten zuvor ein schones Pfeifchen angezundet. Er hat gut auf seinen Vorrat aufgepasst, stets in der Angst vor dem Tag gelebt, an dem er auf einmal ohne etwas zum Rauchen dastehen konnte und er selbst auf dem sandigen Lehmboden anbauen musste.
»Du hast gefurzt, als du umgefallen bist«, bringt Scott lachend hervor. Seine Augen sind von dem gewaltigen High bereits weggetreten, das sich in seinem Kopf ausbreitet.
»Ich? Nie und nimmer!«, protestiert Megan, erleidet einen neuen Lachanfall, wahrend sie versucht, sich auf den Obstkisten aufrecht zu halten. »Das war mein verdammter Schuh auf dem Boden. Der hat das Gerausch gemacht.«
»Bullshit, Dude. Du hast so was von gefurzt!«
»Hab ich nicht.«
»Doch, hast du – der hat sich ja beinahe durch die Hose gebrannt. Auch wenn es nur ein Madchen-Furz war.«
Megan kann kaum noch an sich halten. »Was zum Teufel soll denn ein Madchen-Furz sein?«
Scott lacht schallend auf. »Das ist … Das ist wie ein kleines Pfeifen. Wie ein Zug. Der kleine Furz, der …«
Die beiden Kiffer klappen zusammen, wiehern vor Lachen, schlagen sich vor Begeisterung auf die Oberschenkel und ringen nach Luft, als eine fahle Visage mit milchig beschlagenen Augen wie ein kleiner Mond am Fenster des Camper-Aufsatzes erscheint. Ein Kerl mittleren Alters. Er hat kaum noch Haare, so dass man die gro?en blauen Venen zwischen den Strahnen schimmliger grauer Zotteln auf seinem Schadel sehen kann.
Weder Megan noch Scott bemerken ihn, sehen nicht, wie der eisige Wind durch die Uberreste seiner bemoosten Haare fahrt oder seine schmierigen Lippen beiseiteblast, um schwarze Zahne zu entblo?en. Keiner der beiden kriegt mit, wie fummelnde, gefuhllose Finger versuchen, die Tur zu offnen.
»Oh shit!«, prustet Scott zwischen Lachanfallen heraus, die noch immer seinen Korper schutteln, als er den