Kaum hat Josh Entwarnung gegeben, finden Megan und Scott ein Platzchen, an dem sie ihre Lust ausleben konnen.

Die beiden machen keinem etwas vor, trotz samtlicher Bemuhungen ihrerseits, sich so unauffallig wie moglich zu benehmen. Megan tut so, als sei sie vollig erschopft, und Scott schlagt vor, dass er ihr einen Schlafplatz auf dem Boden des Lagers hinter dem Laden einrichtet. Der vollgestopfte Lagerraum – keine zwanzig Quadratmeter mit schimmligen Kacheln und unverkleideten Rohren, die mehr schlecht als recht uber Putz befestigt wurden – stinkt nach toten Fischen und Kasekoder. Josh rat ihnen, vorsichtig zu sein, lasst die Augen rollen und verschwindet genervt. Vielleicht ist er ja auch nur ein bisschen neidisch.

Kaum hat er das Lager verlassen, fangen die beiden schon an. Bob und Lilly packen den Rucksack mit Vorraten und Proviant fur die Nacht aus. »Was zum Teufel geht denn da vor sich?«, will Lilly wissen, als Josh im Buro erscheint.

Der gro?e Mann schuttelt den Kopf. Der Larm der beiden erfullt die ganze Tankstelle. Alle paar Sekunden hort man ein Keuchen oder Stohnen, das mit dem rhythmischen Hin und Her zunimmt. »Junge Liebe«, stohnt er, immer noch oder schon wieder leicht genervt.

»Willst du mich auf den Arm nehmen?« Lilly steht vor Kalte zitternd in dem kleinen, dunklen Raum, wahrend Bob Stookey nervos Wasserflaschen und Decken aus einer Kiste nimmt und so tut, als ob er von dem Ganzen nichts mitkriegen wurde. Lilly umarmt sich selbst, ob wegen der Kalte oder weil sie das Schauspiel kaum fassen kann … »Das ist es also, was wir uns mit den beiden eingehandelt haben. Wird das jetzt die ganze Zeit so gehen, was meint ihr?«

Es gibt keinen Strom, die Tanks sind leer, und die Luft ist so kalt, dass man glauben konnte, man befinde sich in einem riesigen Kuhlschrank. Der Laden ist bereits ausgeraumt – selbst das verdreckte Kuhlregal ist vollig leer, auch wenn es vorher nur voll mit Regenwurmern und kleinen Fischchen als Angelkoder gewesen ist. Im Buro liegt ein Haufen staubiger Magazine. Au?erdem steht ein alter Verkaufsautomat in einer Ecke, in dem noch vereinzelt alte Schokoladenriegel und Chips vor sich hin modern. Ansonsten liegt hier und da eine Rolle Toilettenpapier herum. Der Boden ist mit Plastikstuhlen ubersat, und auf dem alten, holzernen Verkaufstresen steht eine Kasse, die aus dem vorletzten Jahrhundert stammen konnte. Die Lade ist offen und leer.

»Vielleicht vogeln sie ja, bis sie druber hinweg sind.« Josh begutachtet seine letzte Zigarre, von der noch eine Halfte aus seiner Brusttasche lugt. Er sucht das Buro nach einem Aschenbecher ab, aber selbst der ist verschwunden. »Hat den Anschein, als ob die Fortnoy-Jungs schneller verschwinden mussten, als ihnen lieb gewesen ist.«

Lilly fasst vorsichtig an ihr geschwollenes Auge. »Sieht so aus, als ob die Plunderer bereits da waren.«

»Wie geht es dir? Alles klar?«, erkundigt sich Josh.

»Noch bin ich am Leben.«

Bob blickt von seiner Kiste mit Vorraten auf. »Setz dich doch, Lilly.« Er stellt einen der Stuhle neben das Fenster. Das Licht des Vollmonds scheint in das Buro und taucht den Boden in silberfarbene Schatten. Bob wischt sich die Hande mit einem Feuchttuch sauber und meint: »Wird Zeit, dass ich die Bandagen untersuche.«

Josh sieht zu, wie Lilly Platz nimmt und Bob den Erste-Hilfe-Kasten offnet.

»Jetzt schon stillhalten«, ermahnt Bob Lilly sanft, als er mit Alkohol getrankte Watte herausnimmt und die Rander um Lillys Auge vorsichtig abtupft. Die Haut unter der Augenbraue ahnelt eher einem gekochten Ei. Lilly zuckt vor Schmerz zusammen – ein Anblick, der Josh gar nicht gefallt. Er muss sich zuruckhalten, sie nicht in die Arme zu nehmen, ihr zartlich uber den Kopf zu streicheln. Der Anblick ihrer mahagonifarbenen Strahnen, die ihr in das schmale, zarte und arg mitgenommene Gesicht fallen, macht ihn beinahe wahnsinnig.

»Aua!«, entfahrt es Lilly. »Vorsichtig, Bob.«

»Das ist ein blaues Auge, auf das jeder Boxer stolz ware, aber wenn wir es schon sauber halten und darauf aufpassen, sollte eigentlich nichts passieren.«

»Ha, als ob hier nichts passieren konnte!«

»Stimmt auch wieder.« Bob macht sich jetzt langsam an der Bandage um ihre Rippen zu schaffen, untersucht vorsichtig ihren angeschwollenen Oberkorper mit den Fingerspitzen. Lilly zuckt erneut zusammen. »Die Rippen werden von ganz alleine wieder, solange du nicht auf die Idee kommst, mit Ringen anzufangen oder einen Marathon zu laufen.«

Bob erneuert die Binde um ihre Taille und versorgt ihr Auge. Lilly schaut zu Josh auf. »Was geht dir durch den Kopf?«, will sie von ihm wissen.

Josh blickt sich um. »Wir bleiben heute Nacht hier und schieben abwechselnd Wache.«

Bob schneidet etwas Klebeband ab. »Heute Nacht werden wir uns die Eier abfrieren!«

Josh stohnt auf. »Hab einen Generator in der Werkstatt gesehen. Decken haben wir auch. Das Gebaude scheint mir recht sicher. Au?erdem sind wir auf einem Hugel, so dass wir rechtzeitig eine gro?e Ansammlung dieser toten Geier sehen konnen, ehe sie uns erreichen.«

Bob ist jetzt fertig mit Lilly und macht den Erste-Hilfe-Kasten wieder zu. Die gedampften Vogelgerausche aus dem Lager werden jetzt leiser – es scheint eine Pause zu geben. In der kurzen Stille, die folgt, hort Josh das dumpfe Rauschen der Untoten in der Ferne – das typische Gerausch toter Stimmbander, das wie kaputte Orgelpfeifen klingt. Ein atonales Jammern und Gurgeln. Die Gerausche lassen ihm die Haare im Nacken aufrecht stehen.

Lilly hort es ebenfalls. »Das werden doch immer mehr, richtig?«

Josh zuckt die Achseln. »Wer wei??«

Bob holt etwas aus der Tasche seines zerlumpten Parkas: Eine Flasche. Er entkorkt sie und nimmt einen gro?en Schluck. »Glaubt ihr, dass die uns riechen konnen?«

Josh geht zum Fenster und blickt in die vom Mond erhellte Nach hinaus. »Ich glaube, dass der Betrieb in Camp Bingham sie auf uns aufmerksam gemacht hat. Und dass sie sich schon seit Wochen sammeln.«

»Und wie weit, glaubst du, sind wir vom Zeltplatz entfernt?«, will Bob wissen.

»Luftlinie wohl nicht viel mehr als zwei Kilometer«, entgegnet Josh und blickt uber die Wipfel der Baume in der Ferne. Der Wind lasst ihre Aste sanft hin und her schwingen, eigentlich ein schoner Anblick, beinahe wie schwarze Spitze. Der Himmel ist jetzt klar und mit einer Unzahl von eisig funkelnden Sternen gesprenkelt.

Man kann den Rauch aus der kleinen Siedlung erkennen, der sich gegen den Hintergrund der Sternbilder abhebt.

»Ich habe uberlegt …« Josh dreht sich wieder um und wendet sich seinen Gefahrten zu. »Das hier ist vielleicht kein Funf-Sterne-Hotel, aber wenn wir uns ein bisschen umschauen, finden wir vielleicht sogar Munition … Und dann ware es vielleicht ganz clever, zumindest etwas hierzubleiben.«

Weder Lilly noch Bob antworten sofort, sondern es braucht eine Weile, ehe sie die Idee annehmen und abwagen konnen.

Sie verbringen die Nacht auf dem eiskalten Betonboden der Werkstatt. Schlafen geht kaum mit ihren dunnen Decken und dem standigen Wacheschieben. Am nachsten Morgen halten sie Kriegsrat und entscheiden, was sie als Nachstes tun sollen. Mit Papierbechern voll Pulverkaffee, den Bob auf seinem Campingkocher zubereitet hat, uberzeugt Josh Lilly, dass es wohl am besten fur alle ware, wenn sie sich hier fur eine Weile einrichten. So hat sie Zeit, um zu genesen und, falls wirklich notwendig, konnen sie sich einfach etwas Proviant aus der Zeltstadt klauen.

Keiner besitzt genugend Energie, Joshs Vorschlag gro? zu widersprechen, und Bob hat einen Vorrat an Whiskey unter dem Tresen im Koderladen gefunden. Megan und Scott wechseln zwischen standigem Gras-Rauchen und »Quality-Time« miteinander im Lager hin und her. Oft dauert es Stunden, ehe sie sich wieder blicken lassen. Am ersten Tag arbeiten sie hart daran, die Tankstelle vernunftig zu sichern. Josh entscheidet sich gegen den Generator. Drinnen konnte er sie mit den Abgasen vergiften, und drau?en besteht die Gefahr, dass er mit seinem Krach die Zombies auf sie aufmerksam machen wurde. Aber Josh findet einen Holzofen im Lager und obendrein einen ganzen Haufen Holz hinter einem der Mullcontainer, so dass sie sich zumindest etwas warmen konnen.

Ihre zweite Nacht im Fortnoy’s Fuel and Bait Hotel wird bei akzeptablen Temperaturen verbracht, indem sie den Ofen im Lager einheizen. Megan und Scott halten einander mit viel Larm unter einem Stapel Decken warm, und Bob betrinkt sich derart, dass er die Kalte so oder so nicht mehr merkt. Trotzdem scheinen ihn die gedampften Vogelgerausche aus dem Lager zu storen. Bald schon ist er so weggetreten, dass er sich kaum noch bewegen kann. Lilly hilft ihm zu seiner provisorischen Schlafstatte. Es kommt ihr vor, als ob sie ein Kind zu Bett bringen musse. Sogar ein Wiegenlied singt sie ihm – einen Song von Joni Mitchell »The Circle Game« – und deckt ihn mit einer schimmligen Decke zu. Irgendwie fuhlt sie sich fur Bob Stookey verantwortlich, obwohl er es doch ist, der sich um sie kummern soll.

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