Wahrend der darauffolgenden Tage verstarken sie Turen und Fenster und waschen sich in den gro?en, verzinkten Waschbecken, die an der hinteren Wand der Werkstatt angebracht sind. Langsam aber sicher schleicht sich Alltagsroutine ein. Bob macht den Truck wintersicher und klaubt sich Ersatzteile aus verschiedenen Wracks, die auf dem Gelande stehen, wahrend Josh Aufklarungseinsatze leitet. Sie schleichen sich bis zur Grenze der Zeltstadt vor, und Josh und Scott konnen am helllichten Tag Brennholz, frisches Wasser, etwas Zeltplane, ein paar Dosen mit Gemuse, eine Schachtel Munition und etwas Brennpaste mitgehen lassen. Josh stellt fest, dass dort der Anschein des zivilisierten Umgangs miteinander nur mit Muhe und Not aufrechterhalten wird. Die Leute streiten immer ofter miteinander. Manchmal erhascht er sogar Blicke auf den einen oder anderen Boxkampf und sieht, wie Manner und Frauen sich bis zur Besinnungslosigkeit besaufen. Der Stress macht den Siedlern ganz schon zu schaffen.
Wahrend der Nachte achtet Josh darauf, dass Fortnoy’s Fuel and Bait niemandem auffallt. Niemand macht Nachtspaziergange, alle verhalten sich ruhig und sie benutzen so wenig Kerzen und Laternen wie nur moglich. Die Windgerausche schrecken sie standig auf, und Lilly Caul wundert sich insgeheim, welches wohl die gro?ere Bedrohung fur sie darstellt: die Horden von Zombies, ihre Mitmenschen oder der immer naher kommende Winter. Die Nachte werden langer und die Kalte immer schlimmer. Eisblumen bilden sich an den Fenstern, und die Kalte schleicht sich in ihre Gelenke. Niemand will sich daruber beschweren, aber die Kalte konnte sie viel rascher und effektiver bezwingen als eine Attacke der Zombies.
Um die Langeweile und die standige Angst zu bekampfen, suchen sich ein paar von ihnen eine Ausgleichsbeschaftigung, auch Hobby genannt. Josh fangt an, sich Zigarren aus Tabakblattern zu drehen, die er in den umliegenden Feldern findet. Lilly schreibt Tagebuch, und Bob entdeckt einen wahren Schatz an Angelzeug in einer unbeschrifteten Kiste im Koderladen. Er verbringt Stunden damit, sich durch die bereits geplunderten Uberreste zu wuhlen und Sachen zu reparieren. Standig ist er uber die Werkbank gebeugt und bindet Koder an Angelleinen. Er traumt davon, zum nahe gelegenen Bach zu gehen und Forellen und sonstige Su?wasserfische aus dem Wasser zu ziehen, damit sie endlich mal wieder etwas Frisches zwischen die Zahne kriegen. Unter der Werkbank hat er stets eine Flasche Jack Daniels versteckt, sein treuer Freund und Begleiter.
Die anderen machen sich um seinen Alkoholkonsum Sorgen, aber kann man es ihm ubel nehmen? Was kann man einem angesichts dieses anhaltenden Fegefeuers uberhaupt ankreiden? Bob selbst ist nicht stolz darauf, dass er trinkt. Tatsache ist, dass er sich sogar dafur schamt. Aber genau deswegen braucht er ja seine »Medizin« – um die Scham fernzuhalten. Und die Einsamkeit. Und die Angst. Und die nachtlich wiederkehrenden Albtraume von blutbespritzten Feldbetten in Kandahar.
Am Freitag jener Woche, kurz nach Mitternacht – laut Bobs Kalender ist es der 9. November – ist er wieder uber die Werkbank gebeugt und bereitet Koder furs Fliegenfischen vor, die Flasche Whiskey an seiner Seite. Plotzlich hort er ein Schlurfen aus dem Lager. Er hat nicht bemerkt, wie Megan und Scott sich relativ fruh aus dem Staub gemacht haben. Auch hat er den su?lichen Marihuanageruch nicht gerochen. Und das Kichern aus dem Nebenzimmer ist ihm uberhaupt nicht aufgefallen, so vertieft war er in seiner Arbeit. Jetzt aber bemerkt er etwas, das ihn den ganzen Tag lang kaltgelassen hat.
Er hort auf, mit dem Angelzeug herumzufuchteln und wendet sich stattdessen dem hinteren Teil des Raums zu. Hinter einer gro?en, mitgenommenen Propangasflasche kann Bob im Schimmern seiner Lampe eindeutig ein Loch in der Wand ausmachen. Er verlasst sein Vorhaben und geht in Richtung Flasche. Vorsichtig rollt er sie beiseite, um einen genaueren Blick auf das zwanzig Zentimeter gro?e Loch zu werfen. Es sieht ganz so aus, als ob ein Wasserschaden die Ursache dafur gewesen ist – entweder das oder die schwulen Sommer hier in Georgia, denn die Rander der Gipskartonplatte um das Loch weisen auch Feuchtigkeitsschaden auf. Bob wirft einen Blick uber die Schulter, um sicherzugehen, dass er auch wirklich allein ist. Er ist allein in der Werkstatt.
Das Stohnen und Achzen, der wilde Sex an der anderen Seite der Wand zieht Bobs Aufmerksamkeit wieder auf sich.
Er wirft einen Blick durch das Loch in das Lager, wo das gedampfte Licht einer batteriebetriebenen Lampe die Schatten uber die Wande tanzen lasst. Sie sto?en mit Wucht in der Dunkelheit gegeneinander. Bob fahrt sich mit der Zunge uber die Lippen, lehnt sich etwas vor, naher ans Loch. In seinem bereits mehr als angetrunkenen Zustand verliert er beinahe das Gleichgewicht, kann sich aber gerade noch rechtzeitig an der Flasche abstutzen. Er erhascht einen fluchtigen Blick von Scott Moons pickeligem Po, wie er sich im gelben Licht hebt und senkt. Unter ihm liegt Megan, die Beine gespreizt …
Bob Stookey verspurt, wie sich seine Brust zusammenzieht und ihm der Atem stockt.
Er sieht, wie die beiden geilen Nacktschnecken sich voller Leidenschaft einander hingeben, hort, wie sie grunzen und sonstige animalischen Gerausche von sich geben, aber was ihn am meisten fasziniert, was Bob Stookey nicht mehr loslasst, ist der Anblick von Megan Laffertys olivfarbener Haut im Lampenschein, ihrer rotbraunen Locken, die unter ihrem Kopf hervorquellen und wie Honig schimmern. Bob kann sich nicht von ihr abwenden. Er verspurt, wie das Verlangen von ihm Besitz ergreift.
»Oh, Bob … Tut mir leid … Ich wollte nicht …«
Die Stimme erklingt aus den Schatten des Zugangs zum Buro, und als Bob sich rasch von dem Loch abwendet, um nicht mitten beim Spannen erwischt zu werden, verliert er beinahe das Gleichgewicht. Die Propangasflasche kommt ihm erneut zu Hilfe. »Ich wollte ja gar nicht … Das ist nicht so, wie …«
»Ist kein Problem. Ich wollte nur schauen … Ich wollte nur sichergehen, dass bei dir alles klar ist.« Lilly steht im Turrahmen, tragt ein Sweatshirt, einen gestrickten Schal und Sweatpants – ihre normale Schlafkleidung. Sie wendet ihren ramponierten Kopf ab und blickt beschamt weg. In ihren Augen spiegelt sich eine Mischung aus Mitleid und Ekel wider.
»Lilly, ich wollte nicht …« Bob stolpert auf sie zu, halt die Hande reumutig in die Luft, als er uber eine lose Holzdiele stolpert und mit einem Stohnen zu Boden kracht. Es gleicht einem Wunder, dass die beiden im Nebenzimmer unbeeindruckt von dem Larm weitermachen – das rhythmische Aufeinanderklatschen von fickgeilem Fleisch will nicht aufhoren.
»Bob, ist alles klar bei dir?« Lilly eilt zu ihm, kniet sich uber ihn und versucht, ihm aufzuhelfen.
»Es geht mir gut, geht mir gut«, beruhigt er sie und schiebt sie von sich. Wackelig kommt er wieder auf die Beine, traut sich aber nicht, ihr in die Augen zu schauen. Er wei? nicht, was er mit den Handen anstellen soll, blickt zu seiner Werkbank. »Ich dachte, ich habe merkwurdige Gerausche gehort … Von drau?en.«
»Merkwurdig?« Lilly starrt zu Boden, dann auf die Wand – uberallhin, nur nicht auf Bob. »Ah, okay.«
»Klar, war aber nichts.«
»Gut, das ist gut.« Lilly nimmt etwas Abstand. »Ich wollte nur nach dir schauen.«
»Es geht mir blendend, blendend. Aber es wird schon spat. Ich glaube, ich geh ins Bett.«
»Gut, Bob. Mach das.«
Lilly dreht sich um und verschwindet, lasst Bob Stookey allein im Lampenschein zuruck. Er steht noch fur einen Augenblick mit gesenktem Blick da, ehe er sich langsam zu seiner Werkbank aufmacht. Dort tastet er nach der Flasche Jack Daniels, findet sie, offnet sie und hebt sie an den Mund …
»Ich mache mir nur Sorgen, was passiert, wenn er alles ausgetrunken hat.«
Lilly folgt Josh in ihrer Skijacke und der gestrickten Baskenmutze den schmalen Pfad zwischen den Kiefern hinunter. Josh kampft sich durch das Geast, die Schrotflinte in seinen riesigen Armen. Er will zu einem ausgetrockneten Flussbett voller Steine und umgefallener Baume. «Der findet schon wieder was … mach dir keine Sorgen um den alten Bob … Sprittis finden immer Stoff. Und um ganz ehrlich zu sein, mache ich mir mehr Sorgen daruber, dass wir langsam nichts mehr zu essen haben.«
Der Wald liegt still und verlassen da, als sie an das Ufer des ehemaligen Baches kommen. Der erste Schnee fallt durch die hohen Wipfel auf sie herab.
Es ist jetzt knapp zwei Wochen her, dass sie im Fortnoy’s eingetroffen sind, und sie haben bereits mehr als die Halfte ihres Trinkwassers und beinahe samtliche Dosen mit Essen aufgebraucht. Josh hat sich in den Kopf gesetzt, dass es wohl besser ist, die letzte Munition darauf zu verwenden, einen Hasen, vielleicht sogar einen Hirschen zu erledigen, als gegen eine Horde Zombies zu kampfen. Au?erdem hat der standig herrschende Larm in der Zeltstadt die meisten Untoten in seinen Bann gezogen und von der Tankstelle weggelockt. Josh versucht jetzt, sich die Tage ins Gedachtnis zu rufen, als sein Onkel Vernon ihn auf den Briar Mountain zum Jagen mitgenommen hat. Er muss eine Fahrte finden, will die alten Kunste wieder aufleben lassen. Zu seiner Zeit war Josh ein Jager allererster Klasse gewesen. Aber jetzt, mit dieser rostigen, alten Schrotflinte und steif gefrorenen Fingern … Andererseits: Man kann ja nie wissen.
«Ich mache mir trotzdem Sorgen um ihn, Josh«, beginnt Lilly erneut. «Er ist kein schlechter Mensch, aber er hat Probleme.«