zuruck und nimmt einen gro?en Schluck. »Wenn es auch auf der Hand liegt: Die ganze Geschichte bringt niemandem etwas.«

Lilly schluckt, und es kommt ihr vor, als ob sich Glassplitter in ihrem Hals befinden. Ihr kastanienbraunes Haar hangt ihr strahnig ins Gesicht. »Was du nicht sagst.«

»Es findet in diesem Moment eine gro?e Versammlung im Zirkuszelt statt.«

»Wer ist alles dabei?«

»Simmons, Hennessy, ein paar altere Manner, Alice Burnside … du wei?t schon … Alles Kinder der Revolution. Josh ist … Nun, ich habe ihn noch nie so erlebt. Der ist vollig durch den Wind. Sitzt einfach nur vor seinem Zelt wie eine Sphinx … gibt keinen Ton von sich … Starrt einfach nur ins Nichts. Meint, er wird genau das machen, was sie wollen.«

»Was soll das denn hei?en?«

Bob nimmt einen weiteren Schluck seiner Medizin. »Lilly, das alles ist so neu. Jemand hat einen Uberlebenden ermordet. Diese Leute haben sich noch nie mit so etwas abgeben mussen.«

»›Ermordet?‹«

»Lilly …«

»So soll das jetzt also hei?en?«

»Lilly, ich will damit doch nur sagen, …«

»Ich muss mit ihnen reden.« Lilly versucht aufzustehen, aber der Schmerz verbietet es ihr.

»Hey, hey, hey! Immer sachte, immer schon sachte.« Bob lehnt sich vor und hilft ihr. »Ich habe dir gerade genug Codein verabreicht, um ein Pferd lahmzulegen.«

»Verdammt noch mal, Bob. Ich werde es nicht zulassen, wenn sie Josh dafur lynchen wollen.«

»Eins nach dem anderen. Zuallererst gehst du nirgendwohin, nicht in diesem Zustand.«

Lilly lasst den Kopf hangen. Eine einzige Trane tropft aus ihrem rechten Auge. »Es war … nicht vorsatzlich, Bob.«

Bob blickt sie an. »Vielleicht solltest du dich einfach darauf konzentrieren, dass du wieder gesund wirst. Was haltst du davon?«

Lilly hebt den Kopf und schaut ihn an. Ihre kaputte Lippe ist dreimal so gro?, wie sie eigentlich sein sollte, in ihrem linken Auge ist kein Wei? mehr zu sehen, und die Augenhohle verfarbt sich bereits schwarz. Sie zieht den Kragen ihrer Jacke hoch und beginnt vor Kalte zu zittern. Sie tragt eine ganze Menge an komischen Schmuck, der Bob ins Auge sticht: Makramee-Armbandchen, Perlen und winzige Federn, die in ihre kastanienbraunen Strahnen eingearbeitet sind und ihr ladiertes Gesicht bedecken. Bob Stookey versteht nicht, wie sich eine Frau in dieser Welt noch immer auf Mode und ihr Aussehen konzentrieren kann. Aber das ist Teil von Lilly Cauls Charme, Teil ihres Wesens. Angefangen mit dem kleinen Tattoo einer bourbonischen Lilie im Nacken bis hin zu den perfekt eingerissenen und wieder geflickten Jeans ist Lilly ein Madchen, das aus zehn Dollar und einem Nachmittag in einem Secondhandshop einen ganzen Kleiderschrank voll Klamotten schaffen kann. »Es war alles meine Schuld, Bob«, sagt sie schlie?lich mit heiserer, schlafriger Stimme.

»So ein Schwachsinn«, entgegnet Bob Stookey, nachdem er einen weiteren Schluck vom Flachmann genommen hat. Vielleicht hilft der Alkohol, seine Zunge zu losen, denn er fasst seine Verbitterung auf einmal in Worte. »Ich nehme an, dass er es verdient hat. So, wie der drauf war …«

»Bob, das ist nicht …«

Lilly halt inne, als sie das Knirschen von Schritten vor dem Zelt hort. Ein Schatten so gro? wie der eines Monsters verdunkelt das Zelt. Die vertraute Silhouette zogert fur einen Augenblick und lungert etwas unbeholfen vor dem Zelteingang herum. Lilly erkennt die Gestalt sofort, sagt aber keinen Ton.

Eine riesige Hand erscheint und zieht die Zeltplane beiseite, ehe das dazugehorige Gesicht erscheint. »Die haben gesagt, ich konnte … Ich habe noch drei Minuten«, sagte Josh Lee Hamilton in einem zu Tranen geruhrten Bariton.

»Was soll das denn hei?en?« Lilly setzt sich erneut auf und starrt ihren Freund an. »Drei Minuten? Wozu?«

Josh kniet sich vor den Eingang, blickt zu Boden, kampft gegen seine eigenen Emotionen an. »Drei Minuten, um mich zu verabschieden.«

»Zu verabschieden?«

»Genau.«

»Wie, dich zu verabschieden! Was ist passiert?«

Josh seufzt gequalt auf. »Die haben abgestimmt … Und sind zu dem Schluss gekommen, dass es am besten fur alle ist, wenn ich meine Sachen packe und verbannt werde.«

»Was?«

»Ist wohl besser, als wenn sie mich am nachsten Baum aufhangen.«

»Aber du hast doch nicht … das war doch … Das war doch ein Versehen, na ja … ein Unfall!«

»Ja, klar doch«, erwidert Josh und blickt zu Boden. »Der arme Sack hat aus Versehen sein Gesicht ein Dutzend Mal gegen meine Faust gerammt.«

»Aber unter welchen Umstanden! Wissen die Leute denn uberhaupt, was dieser Mann …«

»Lilly …«

»Nein, so geht das nicht. Das ist … falsch.«

»Lilly, die Sache ist gegessen.«

Sie blickt ihn an. »Geben sie dir wenigstens ein paar Vorrate? Vielleicht sogar ein Auto?«

»Ich habe mein Motorrad. Das wird schon, mir geht es gut …«

»Nein … Nein … Das ist einfach … irrwitzig

»Lilly, jetzt hor mir gut zu.« Der gro?e Mann ruckt etwas naher. Bob schaut peinlich beruhrt beiseite. Josh beugt sich vor, streckt die Hand nach Lilly aus und streicht ihr behutsam uber das verletzte Gesicht. So wie Josh die Lippen zusammenpresst, wie seine Augen glanzen, wie sich die Furchen um seinen Mund vertiefen, ist es eindeutig, dass er eine ganze Flut von Emotionen zuruckhalt. »So wird es nun einmal gespielt. Das wird schon. Und wegen mir brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Du und Bob, ihr musst ab jetzt hier aufpassen, die Zugel in die Hand nehmen.«

Lillys Augen fullen sich mit Tranen. »Dann komme ich mit dir.«

»Lilly …«

»Es gibt hier nichts, was mich davon abhalten konnte.«

Josh schuttelt den Kopf. »Es tut mir leid, Kleine … Das ist eine einfache Fahrkarte, die gilt nicht fur zwei.«

»Ich komme mit.«

»Lilly, es tut mir wirklich leid, aber das geht nicht. Hier ist es sicherer, in der Gruppe.«

»Ja, hier ist es total sicher«, sagt sie mit eiskalter Stimme. »Geradezu ein Love-In!«

»Lieber hier als da drau?en.«

Lilly blickt ihn mit ihren von Leid und Trauer gequalten Augen an. Tranen stromen uber ihre Wangen. »Du kannst mich nicht davon abhalten, Josh. Das ist meine Entscheidung. Ich komme mit dir, und du kannst nichts dagegen unternehmen. Wenn du mich davon abhalten willst, werde ich dich suchen, dich aufspuren. Und du kannst mir glauben, ich werde dich finden. Ich komme mit, damit das klar ist. Okay? Also … Gib jetzt Ruhe, und finde dich einfach damit ab.«

Sie knopft ihre Jacke zu, steckt die Fu?e in ihre Stiefel und fangt an, ihre Sachen aufzulesen. Josh schaut sie besturzt an. Lilly bewegt sich zaghaft, zuckt vor Schmerzen, bei?t die Zahne zusammen.

Bob und Josh tauschen Blicke aus, kommunizieren ohne Worte miteinander, wahrend Lilly ihre Sachen in die Tasche packt und aus dem Zelt verschwindet.

Josh verweilt noch im Zelteingang, schaut ihr nach und wendet sich dann mit fragendem Blick an den alten Mann.

Bob zuckt endlich mit den Schultern und sagt mit mudem Lacheln: »Frauen!«

Eine Viertelstunde spater quellen die Satteltaschen von Joshs onyxfarbener Suzuki uber mit Dosenfleisch und Thunfisch, Leuchtfackeln, Decken, wasserfesten Streichholzern, Seil, einem zusammengepackten Zelt, einer Taschenlampe, einem kleinen Feldkocher, einer Angel, einer kleinen .38er sowie ein paar Papiertellern und Gewurzen aus dem Zirkuszelt. Das Wetter hat sich zum Schlechten geandert. Es sturmt, und der Himmel ist voller dunkler, bedrohlicher Wolken.

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