»Oh mein Gott!«

»Verdammt!«

»Lass uns umdrehen«, meint Lilly und kaut auf den Fingernageln. Sie starrt durch das Geast, kann die Uberreste ihrer zeitweiligen Heimat in der Ferne ausmachen. Der Geruch verbrannten Fleischs hangt in der Luft, aber auch noch etwas anderes, Schlimmeres, etwas Todliches, Verdorbenes, wie eine Masseninfektion. »Hier konnen wir nichts mehr tun.«

»Einen Augenblick.«

»Josh …«

»Was in Teufels Namen ist da unten passiert?«, murmelt Bob mehr zu sich als zu den anderen. Auch er kann die Augen nicht von dem Schauspiel nehmen, das sich ihm durch die Baumlucke in funfzig Metern Entfernung bietet. Die fruhmorgendliche Sonne scheint durch die aufsteigenden Rauchschwaden und lasst die Verwustung nicht ganz echt aussehen, eher wie in einem Stummfilm. »Sieht beinahe so aus, als ware Godzilla zu Besuch gewesen.«

»Glaubst du, dass da jemand durchgedreht ist?«, will Lilly wissen, starrt aber immer noch auf das Gemetzel.

»Glaube nicht«, antwortet Josh.

»Sollen das etwa die Zombies angerichtet haben?«

»Ich bin mir nicht sicher, aber vielleicht war es ja ein riesiger Schwarm. Und Feuer hat es sicherlich schon gegeben, es hat sich nur ausgebreitet.«

An den Randern der Lichtung unter ihnen stehen etliche noch immer lodernde Autos. Die meisten der kleinen Zelte brennen noch und schicken atzende schwarze Rauschschwaden gen Himmel. Vom Zirkuszelt in der Mitte des Zeltplatzes ist nicht mehr viel ubrig geblieben, nur noch ein schwelendes Skelett aus Metallstangen und dicken Drahten. Selbst der stark verdichtete Lehmboden brennt an mehreren Stellen, als ob jemand mit einem gigantischen Loffel Brennpaste hingekleckert hat.

»Josh …«

Der gro?e Mann dreht sich um und schaut Lilly an, aber sie hat sich abgewendet, um den Wald links und rechts vom Truck abzusuchen. Ihre Stimme senkt sich um eine Oktave, und sie klingt vor Entsetzen beinahe benommen. »Josh … ah … wir mussen hier weg.«

»Was ist los?«

»Um Himmels willen!« Jetzt sieht Bob es auch, und die Luft in der Fahrerkabine knistert vor Anspannung. »Captain, nichts wie weg!«

»Was ist …«

Und erst dann bemerkt Josh es auch: Unzahlige schattige Gestalten kommen zwischen den Baumen hervor – beinahe im Gleichschritt – wie ein riesiger Fischschwarm, der aus der Tiefe empor steigt. Einige von ihnen glimmen noch, und kleine Feuerherde flammen vereinzelt an ihren leblosen Korpern auf. Andere, angetrieben durch die unheimliche Fresslust, stolpern wie Roboter mit ausgestreckten Armen direkt auf sie zu. Hunderte milchig wei?e Augen reflektieren das fahle Licht der Morgendammerung, als sie den einsamen Truck anpeilen. Die Haare in Joshs Nacken stellen sich auf.

»JOSH! FAHR LOS!!«

Er rei?t am Steuer und tritt auf das Gaspedal, so dass der gro?e Motor aufheult. Der Truck macht eine Kehrtwende, maht einen Haufen Zombies, aber auch eine unschuldige kleine Kiefer auf seinem Weg um. Der Larm ist kaum fassbar, das nasse Schnappen toter Glieder, das Zerbersten jungen Holzes. Ihre Uberreste vermischt mit schwarzem Blut fliegen quer uber die Front des Trucks. Das Heck schwingt aus, schlittert zur Seite und rei?t eine weitere Anzahl Untoter mit sich. Megan und Scott wirbeln durch den Camper-Aufsatz. Josh rast auf die Stra?e und fahrt, so schnell es geht, in die Richtung, aus der sie gerade gekommen sind.

Sie schaffen es bis zur Hauptstra?e am Fu? des Hugels, als sie merken, dass mindestens drei Zombies wie Kletten am Truck kleben.

»Schei?e!« Josh sieht einen im Seitenspiegel. Der Zombie krallt sich hinten an der Fahrerseite fest und hat die Fu?e auf dem Trittbrett. Teile seiner Kleiderfetzen haben sich in der metallenen Schiene verfangen, die den Camper-Aufsatz umgibt. »Jetzt bitte nicht die Nerven verlieren, aber wir haben ein paar blinde Passagiere an Bord.«

»Was?« Lilly dreht sich zum Beifahrerfenster. Plotzlich erscheint ein totes Gesicht, das wie ein Springteufel auf einmal aus dem Nichts erscheint. Es starrt sie an, zuckt, knurrt. Schwarzer schleimiger Speichel wird vom Fahrtwind herumgewirbelt. Lilly entfahrt ein uberraschtes Keuchen.

Josh konzentriert sich wahrenddessen weiter auf die Stra?e, biegt mit quietschenden Reifen von der Hauptstra?e ab und rast dann mit siebzig Sachen weiter Richtung Norden. Sein Ziel ist die zweispurige Stra?e. Immer wieder versucht er durch provozierte Schlenker Zombies abzuwerfen.

Zwei der Untoten haben sich an die Fahrerseite gekrallt, einer an die Beifahrerseite. Sie sind widerspenstiger als der Rest, und Josh kann sie einfach nicht abschutteln. Entweder stecken sie fest, oder ihre gewaltige Gier verleiht ihnen die Kraft, sich festzuhalten. »Bob! Hast du noch mehr Munition hier?«

»Die ist hinten im Camper-Aufsatz.«

»Schei?e!«

Bob wirf Lilly einen Blick zu. »Kleines, ich glaube, da liegt ein Ziegenfu? auf dem Boden hinter dem Beifahrersitz …«

Der Truck schert aus. Einer der Zombies kann sich nicht mehr halten, schlagt auf der Stra?e auf und purzelt dann die Boschung hinab. Unterdruckte Schreie ertonen aus dem Camper-Aufsatz. Plotzlich hort man zerberstendes Glas. Lilly findet den mit Ol verschmierten, neunzig Zentimeter langen Ziegenfu? aus Stahl. »Hab ihn!«

»Her damit!«

Josh wirft erneut einen Blick in den Seitenspiegel und sieht, wie ein zweiter Zombie ausrutscht und auf dem Teer unter ihnen aufprallt. Holpernd fahrt der Truck uber seine Uberreste.

Bob brullt mit schnaufender Stimme: »Zuruck, Lilly! Halt dir die Hande vors Gesicht, damit du keine Splitter in die Augen kriegst!« Dann hebt er den Ziegenfu? in die Hohe und holt aus, so weit er kann.

Lilly kauert sich nieder und tut, wie ihr gehei?en, als Bob mit aller Wucht auf den Zombie im Fenster schlagt.

Das gekrummte Ende des Ziegenfu?es trifft auf das Sicherheitsglas, verrichtet aber nichts weiter als einen kleinen Kratzer. Der Zombie knurrt weiter tonlos und monoton, lechzt nach frischem Fleisch.

Bob holt erneut aus, sto?t einen Urschrei aus und haut immer und immer wieder auf das Fenster ein – so hart er kann –, bis das gekrummte Ende durch das Glas und in das tote Gesicht rauscht. Lilly wendet sich ab.

Der Ziegenfu? spie?t den Kadaver durch die Mundhohle auf und bleibt stecken. Bob rei?t die Augen vor Ekel auf. Hinter dem Mosaik von kaputtem Glas hangt der aufgespie?te Kopf eine Weile leblos im Wind. Das dumpfe Gluhen seiner fischartigen Augen verrat, dass er noch nicht am Ende ist, genau wie der Mund, der sich um den Ziegenfu? offnet und schlie?t, als ob er die metallene Stange zerkauen wollte.

Lilly kann das nicht mit ansehen. Sie kauert in der hintersten Ecke der Fahrerkabine und zittert. Sie scheint keinerlei Kontrolle mehr uber ihren Korper zu haben.

Josh schert erneut aus, und der Zombie lasst endlich los, kracht auf die Stra?e und verschwindet unter den Radern. Der Rest des Fensters wird herausgerissen, ein Teil der Glassplitter landet mit einem Knall in der Fahrerkabine. Bob zuckt zusammen. Er ist mit Adrenalin vollgepumpt, wahrend Josh weiter seine siebzig Sachen fahrt und Lilly, noch immer vor Furcht bebend, in der Ecke hockt.

Endlich kommen sie an die Kreuzung, und Josh biegt ab. Jetzt gibt er richtig Gas und brullt, so laut er kann: »Alle festhalten!«

Er umklammert das Lenkrad und bahnt sich schlingernd seinen Weg durch die kilometerlange Kolonne aus unzahligen verlassenen Autos. Zwischendurch wirft er immer wieder einen Blick in den Seitenspiegel, um sicherzustellen, dass sie den Schwarm endlich hinter sich gelassen haben.

Nachdem sie knappe zehn Kilometer zwischen sich und die Katastrophe gebracht haben, bremst Josh ab und halt auf dem Seitenstreifen inmitten der landlichen Einode an. Die Stille, die sich uber den Truck legt, wird nur von dem hohen, einsamen Pfeifen des Windes ubertont.

Josh wirft einen Blick uber die Schulter zu Lilly. Ihr Gesicht spiegelt wider, wie sehr sie das Ganze mitgenommen hat. Sie hockt noch immer zusammengekauert in der Ecke, hat die Arme um die Beine geschlungen und zittert, als ob sie unterkuhlt sei. Besorgt fragt er: »Bei dir alles okay, Kleine?«

Lilly schafft es gerade noch, das Grauen, das sich in ihrem Hals wie ein Klumpen festgesetzt hat,

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