»Was ist, wenn wir wieder auf einen Schwarm treffen? Die konnten einfach den Truck umwerfen, Josh. Das wei?t du genauso gut wie ich.«
»Ein Grund mehr, warum wir nicht anhalten sollten. Weiter nach Suden, weg von Ballungszentren.«
»Ich wei?, aber …«
»Au?erdem finden wir da vielleicht Vorrate.«
»Das verstehe ich ja alles, aber …«
Lilly halt inne, als sie die Umrisse einer Gestalt auf der Eisenbahnbrucke erkennt. Sie ist vielleicht noch dreihundert Meter von ihnen entfernt. Sie kommt auf sie zu, folgt dem Schienenstrang. Sie wirft einen langen, schmalen Schatten, der in der Morgensonne durch die Eisenbahndielen auf die Quertrager scheint. Die Gestalt bewegt sich zu schnell fur einen Zombie.
»Wenn man vom Teufel spricht«, meint Josh schlie?lich, als er endlich sieht, um wen es sich handelt.
Der alte Mann kommt naher. Er tragt einen Eimer und eine Angelroute, lauft immer schneller die Gleise entlang. Die Spannung steht ihm im Gesicht geschrieben. »Guten Morgen miteinander!«, ruft er hinab, als er bei der Leiter, die hinunter zur Stra?e fuhrt, angekommen ist.
»Ruhig, Bob, immer schon ruhig«, ermahnt Josh ihn und geht mit zusammen Lilly zum Fu? der Leiter.
»Wartet nur ab, bis ihr seht, was ich dabeihabe«, fahrt Bob unbeirrt fort und klettert die Sprossen herunter.
»Sag blo?, du hast einen gro?en Fisch gefangen!«
Endlich steht er vor ihnen. Er holt Luft, und seine Augen funkeln vor Aufregung. »No, Sir! Habe nicht einmal ein gottverdammtes Flusschen gefunden.« Er lachelt die beiden mit seiner Zahnlucke an. »Bin dafur aber uber etwas viel Besseres gestolpert.«
Der Walmart liegt an der Kreuzung zweier Highways, eineinhalb Kilometer nordlich der Eisenbahn. Bob hat das unverkennbare Schild mit blaugelber Schrift und den Sternen von den erhohten Schienen aus erspaht. Die nachstgelegene Stadt ist zwar kilometerweit entfernt, aber diese Einkaufszentren mitten im Nirgendwo beziehungsweise zwischen einer Vielzahl von Bauernhofen, insbesondere in der Nahe einer gro?en Interstate wie der US 85, haben sich als sehr profitabel erwiesen. Der Hogansville-Anschluss ist nur zehn Kilometer westlich gelegen.
»Okay, hier mein Plan«, verkundet Josh den anderen, nachdem sie vor dem Walmart geparkt haben. Kurz vor dem Eingang liegt ein verlassener Tieflader, dessen Fahrerkabine sich um einen Flaggenmast gewickelt hat. Die Ladung, hauptsachlich Bauholz, liegt uber dem gesamten, gewaltigen Parkplatz verstreut, der selber mit einem Haufen herrenloser Autos vollgemullt ist. Der riesige, niedrig gehaltene Supermarkt sieht verlassen aus, aber das muss an sich noch nichts hei?en. »Wir schauen uns erst einmal ein wenig auf dem Parkplatz um, fahren ein paarmal im Kreis, checken die Lage ein wenig.«
»Sieht schon verdammt leer aus, Josh«, sagt Lilly und kaut auf der Hinterbank an ihrem Daumennagel. Wahrend der gesamten viertelstundigen Fahrt uber staubige Landstra?en hat sie an jedem erdenklichen Fingernagel gekaut, der ihr zur Verfugung stand, bis nichts mehr davon ubrig war. Jetzt ist sie an der Nagelhaut angelangt.
»Schwer zu sagen, wenn man nur schauen kann«, meldet sich Bob zu Wort.
»Haltet die Augen offen, egal ob fur Zombies oder irgendeine andere Bewegung«, wiederholt Josh, legt einen Gang ein und fahrt vorsichtig uber das auf dem Boden liegende Bauholz.
Sie drehen gleich zwei Runden um den Parkplatz, passen hollisch auf, insbesondere auf die Schatten der Laderampen und Eingange. Samtliche Autos sind leer, einige von ihnen vollig ausgebrannt. Die meisten Glasturen sind kaputt. Ein Teppich von Glasscherben vor dem Vordereingang funkelt in der kalten Nachmittagssonne. Der Laden ist beinahe so dunkel wie unter Tage. Keine Bewegung. Im Vorraum sieht man einige Leichen auf dem Boden liegen. Was auch immer hier vorgegangen ist, ist weder gestern noch vorgestern passiert, sondern liegt bereits ein ganzes Weilchen zuruck.
Nach der zweiten Runde halt Josh vor dem Laden an, legt den Leerlauf ein, lasst den Motor an und uberpruft die drei Kugeln, die noch im Zylinder seiner .38er stecken. »Okay, ich will den Truck nicht unbewacht hier zurucklassen«, sagt er und wirft Bob einen fragenden Blick zu. »Wie viel Munition hast du noch?«
Bob offnet mit zitternden Handen den Lauf seiner Schrotflinte. »Eine im Lauf, eine in meiner Tasche.«
»Okay, hier also der Plan …«
»Ich komme mit dir …«, verkundet Lilly.
»Nicht ohne Waffe, niemals. Nicht bis wir wissen, wie es da drinnen aussieht.«
»Ich hole mir eine Schaufel aus dem Camper-Aufsatz«, erwidert sie. Sie wirft einen Blick uber die Schulter und sieht Megans Gesicht am Fenster. Sie erinnert an eine Eule. Ihre gro?en Augen schielen durch die Windschutzscheibe in der Hoffnung, etwas zu erkennen. Lilly sieht Josh an. »Du brauchst so viele Augen im Laden wie nur moglich.«
»Leg dich niemals mit einer Frau an«, murmelt Bob und offnet die Beifahrertur. Er steigt aus in den windigen, kalten Spatherbstnachmittag.
Sie gehen um den Truck herum zur Hintertur, ermahnen Megan und Scott, blo? im Truck zu bleiben und den Motor laufen zu lassen, bis sie ein Signal der Entwarnung kriegen. Und falls sie irgendwelche Anzeichen von drohendem Unheil bemerken, sollen sie auf die Hupe drucken und nicht mehr loslassen. Megan und Scott nicken gehorsam und versprechen, sich an die Abmachung zu halten.
Lilly schnappt sich eine der Schaufeln und folgt Josh und Bob uber den geteerten Eingangsbereich. Das Gerausch ihrer Schritte auf den Glasscherben wird vom Wind ubertont.
Josh offnet eine der automatischen Turen, und sie betreten den finsteren Supermarkt.
Auf dem verdreckten Parkettboden in der Nahe des Eingangs sehen sie einen alten Mann ohne Kopf in einer getrockneten, mittlerweile schwarzen Blutlache liegen. An seiner blauen Weste hangt noch immer sein Namensschild, wenn auch etwas schief. Unter dem allgegenwartigen WALMART steht ELMER K. Ein gro?er gelber Smiley auf dem Schild ist mit Blut besudelt. Lilly starrt eine ganze Weile auf den armen, kopflosen Elmer K., ehe sie sich tiefer in den Laden vorarbeiten.
Die Luft hier drin ist beinahe so kalt wie drau?en. Es riecht nach kupfrigem Schimmel, Verwesung und ekelhaft ranzigem Allerlei. Unzahlige Schusslocher schmucken das Schild uber der Haarpflegestation zu ihrer Linken, wahrend Tintenklecksmuster aus Blut den Eingang zum Vision-Center zu ihrer Rechten schmucken. Die Regale sind leer – alles ist bereits geplundert – oder liegt umgeworfen auf dem Boden.
Josh hebt eine Flosse und weist seine Kumpels an, stehen zu bleiben, um einen Augenblick lang zu lauschen. Er lasst den Blick uber die schier endlose Einkaufsflache wandern, die mit kopflosen Leichen, nicht identifizierbaren Uberresten des Massakers und umgesturzten Einkaufswagen vollgemullt ist. Die Reihen uber Reihen von Kassen zu ihrer Rechten stehen leer, sind voller Blut. Die Apothekenecke, die Kosmetikabteilung und Health & Beauty sind mit Einschusslochern ubersat.
Dann signalisiert er den anderen, vorsichtig weiterzugehen. Die Waffe stets angehoben, dringt Josh immer tiefer in die stinkenden Schatten des Walmarts vor, seine Schuhe knirschen bei jedem Schritt auf den Glasscherben und dem Unrat auf dem Boden.
Je weiter sie sich vom Eingang entfernen, desto dunkler wird es. Das blasse Tageslicht dringt kaum bis zu den Reihen mit den Lebensmitteln zu ihrer Rechten vor. Hier ist der Boden mit kaputten Flaschen und menschlichen Uberresten ubersat. Auf der anderen Seite ist die Schreibwaren-, gefolgt von der Modeabteilung. Beide sind vollig verwustet. In der letzteren liegen auseinandergenommene Schaufensterpuppen wild in der Gegend herum. Die Abteilungen im hinteren Teil des Ladens – Spielzeug, Sport und Schuhe – sind in tiefste Dunkelheit getaucht.
Nur die trockenen, silbernen Strahlen der batteriebetriebenen Notlichter erhellen noch immer die schattigen Tiefen der hinteren Gange.
In der Eisenwarenhandlung finden sie Taschenlampen, und mit ihrer Hilfe konnen sie etwas tiefer in die »Gedarme« des Walmart eindringen. Auf dem Weg finden sie eine ganze Reihe nutzlicher Werkzeuge und Vorrate, nehmen aber noch nichts mit. Je mehr sie sich umschauen, desto aufgeregter werden sie. Als sie endlich die mehr als tausend Quadratmeter Verkaufsflache durchforstet haben, sind sie davon uberzeugt, dass sie sich in Sicherheit befinden. Das Einzige, uber das sie gestolpert sind, sind einige menschliche Uberreste im Anfangsstadium der Verwesung, unzahlige umgeworfene Verkaufsregale und Ratten, die sich sofort aus dem Staub machten, als sie ihnen naher kamen. Alles deutet darauf hin, dass sie nicht die Ersten hier sind, aber zumindest sind sie jetzt allein.
Noch.
»Bin mir recht sicher, dass wir hier ein hubsches Ortchen gefunden haben«, verlautet Josh schlie?lich, als