Sand am Meer.«
Josh fasst sich nachdenklich an den Mund. »Passt auf. Ich kann euch nicht sagen, was ihr tun und lassen sollt. Aber seid vorsichtig und passt aufeinander auf.«
»Wird gemacht, Captain«, sagt Bob.
»Bob, ich finde, dass wir vorerst den Truck abschlie?en sollten.«
»Sowieso.«
»Behalte deine .44er immer griffbereit.«
»Okay.«
»Und wir sollten uns alle stets vergegenwartigen, wo der Truck steht – nur fur den Fall, dass …«
Alle stimmen zu und einigen sich dann, das Stadtchen in Trupps auszukundschaften, um am helllichten Tag einen Eindruck zu gewinnen. Nachmittags treffen sie sich dann wieder und beraten daruber, was als Nachstes geschehen soll.
Die harsche Sonne scheint Lilly und Josh ins Gesicht, als sie die Sporthalle verlassen. Sie schlagen die Kragen gegen die Kalte hoch. Der Schneesturm hat aufgehort, aber es ist noch immer sehr windig. Lillys Magen beginnt zu knurren. »Was dagegen, wenn wir etwas fruhstucken?«, fragt sie Josh.
»Wir konnen uns etwas von den Sachen aus dem Walmart im Truck machen. Aber nur wenn du nichts dagegen hast, zum hundertsten Mal getrocknetes Rindfleisch und Dosenspaghetti zu essen.«
Lilly zuckt bei dem Gedanken zusammen. »Ich glaube, ich kann diese Dosenpasta nicht mehr sehen.«
»Ich habe eine Idee.« Josh tastet die Brusttasche seines Flanellhemds ab. »Komm mit … Ich lade dich ein.«
Sie biegen nach Westen ab und gehen die Hauptstra?e entlang. Das bittere graue Tageslicht eroffnet ihnen einen ganz anderen Blick auf die Stadt. Die meisten Laden stehen entweder leer oder sind verbarrikadiert oder mit Gittern versehen, die Burgersteige voller Bremsspuren und Olflecken. Fenster und Schilder weisen Einschusslocher auf. Passanten gru?en kaum. Hier und da ist der dreckige wei?e Sand entblo?t – es scheint, als ob das ganze Stadtchen auf Sand gebaut ist.
Auch als Lilly und Josh in die sichere Zone gelangen, werden sie nicht gegru?t. Die meisten Menschen, die um diese Uhrzeit im Freien sind, tragen Baumaterialien oder Proviant und scheinen es extrem eilig zu haben. Uberall herrscht eine dustere Atmosphare, ahnlich wie in einem Gefangnis. Ganze Hauserblocke sind mit riesigen, behelfsma?igen Maschendrahtzaunen abgetrennt. Das Brummen von Bulldozern ist uberall und jederzeit zu horen. Am ostlichen Horizont sitzt ein Mann mit einem Maschinengewehr und patrouilliert auf dem Dach des Stadions, das um den inneren Teil der Rennstrecke gebaut ist.
»Guten Morgen, meine Herren«, gru?t Josh drei alte Manner, die auf Tonnen vor dem Lebensmittellager sitzen und Josh und Lilly neugierig beaugen.
Einer der Alten, ein runzeliger, bartiger Troll in einem zerfetzten Mantel und Schlapphut, wirft ihnen ein Lacheln zu und entblo?t dabei seine verfaulten Zahne. »Morgen, junger Mann. Ihr gehort doch zu den Neuankommlingen, oder?«
»Gestern Nacht eingetroffen«, erwidert Josh.
»Ihr Glucklichen.«
Die drei Kauze glucksen vor sich hin, als ob es das Lustigste ware, das seit Jahren passiert ist.
Josh lachelt zuruck und wartet, bis sie sich wieder beruhigen. »Das hier ist das Lebensmittellager, oder?«
»Konnte man so nennen.« Mehr Schmunzeln. »Behalte deine Frau im Auge.«
»Danke, das werde ich«, erwidert Josh und nimmt Lillys Hand. Sie klettern die Stufen und gehen hinein.
Der lange, schmale Laden erstreckt sich vor ihnen und ist in ein dusteres, undurchdringliches Licht getaucht. Er riecht nach Terpentin und Schimmel. Die Regale sind herausgerissen und mit Schachteln, Boxen und Kisten voll Trockengut, Kurzwaren, Toilettenpapier, gro?en Flaschen mit Trinkwasser, Bettwasche und sonstigen, nicht identifizierbaren Sachen ersetzt, die bis zur Decke aufgestapelt sind. Die einzige Kundin, eine altere Frau, dick in Jacken und Schalen eingepackt, sieht Josh, drangt sich rasch an ihm vorbei und eilt dann aus der Tur ins Freie. Sie vermeidet jeglichen Augenkontakt. Die kuhle Luft und die kunstliche Warme des Heizofens knistern formlich vor Anspannung.
In der hinteren Ecke des Ladens, zwischen Sacken voller Samengut, das bis zu den Dachsparren gestapelt ist, gibt es einen behelfsma?igen Tresen. Ein Mann in einem Rollstuhl sitzt dahinter, flankiert von zwei bewaffneten Mannern.
Josh geht zu ihm. »Und? Wie lauft es denn so heute Morgen?«
Der Mann im Rollstuhl mustert ihn mit halb geoffneten Augen. »Ach du grune Neune, das ist aber ein Riese«, entfahrt es ihm, und sein langer, strahniger Bart wackelt mit jedem Wort. Er tragt eine ausgebleichte Armee-Latzhose, ein Haarband halt seinen fettigen Pferdeschwanz zusammen. Sein Gesicht ist Zeuge jahrelanger Missachtung jeglicher gesundheitlicher Ratschlage – angefangen mit den rot umrandeten, wassrigen Augen bis hin zu seinem pickligen, vereiterten Zinken.
Josh ignoriert ihn. »Wollte nur wissen, ob man hier etwas Frisches zu essen kriegen kann. Oder vielleicht ein paar Eier? Wir haben auch etwas zu tauschen.«
Der Mann im Rollstuhl starrt ihn an. Josh spurt die argwohnischen Blicke der Wachen. Die bewaffneten Posten hinter ihm sind schwarz, jung und in Gang-Farben gekleidet. »Und an was hattest du gedacht?«, will er von Josh wissen.
»Die Sache ist die … Wir haben gerade eine ganze Menge Sachen vom Walmart zusammen mit Martinez mitgehen lassen. Und da habe ich mir gedacht, dass wir vielleicht zusammenkommen konnten.«
»Das ist zwischen dir und Martinez, aber was springt fur mich dabei heraus?«
Josh will schon antworten, merkt aber, dass alle drei Manner jetzt Lilly anstarren, und die Art, wie sie es tun, lasst ihn aufhorchen.
»Was kriege ich hierfur?«, fragt er endlich, streckt den Arm aus und macht sich an seinem Uhrenarmband zu schaffen. Er nimmt es ab und legt die Uhr auf die Theke. Es ist zwar keine Rolex, aber auch keine billige Timex. Der Chronograf hat ihn vor zehn Jahren dreihundert Dollar gekostet – damals, als er noch gutes Geld verdient hat.
Der Mann im Rollstuhl schielt an seiner gewaltigen Nase vorbei auf die funkelnde Uhr vor sich. »Was zum Teufel soll das denn sein?«
»Eine Movado. Ist locker funfhundert wert.«
»Hier nicht.«
»Habt Mitleid mit uns. Wir ernahren uns seit Wochen aus Dosen.«
Der Mann nimmt sie in die Hand, mustert sie mit murrischer Miene, als ob sie ein stinkendes, faules Stuck Fleisch ware. »Ich gebe dir Reis, Bohnen, Bacon und Eier im Wert von funfzig Dollar fur das Teil.«
»Was? Nur funfzig Dollar?«
»Habe auch wei?e Pfirsiche im Lager. Sind gerade reingekommen. Davon kannst du auch noch welche haben. Aber mehr geht nicht.«
»Ich wei? nicht.« Josh wirft Lilly einen Blick zu, die ihn erwidert und mit den Achseln zuckt. Dann wendet er sich wieder dem Mann im Rollstuhl zu. »Ich wei? nicht …«
»Das reicht fur euch beide – und zwar eine ganze Woche.«
Josh seufzt. »Das ist eine Movado, verdammt noch mal. Allerfeinste Handwerkskunst.«
»Hey, ich will mich nicht mit dir streiten …«
Plotzlich ertont ein Bariton hinter den Wachen und unterbricht den Mann im Rollstuhl jah. »Gibt es etwa ein verdammtes Problem?«
Alle Augen richten sich jetzt auf die Gestalt, die aus der hinteren Ecke des Lagers kommt und sich die Hande an einem blutigen Handtuch abwischt. Der gro?e, hagere Mann mit verwitterter Haut tragt eine vollig verdreckte Metzgerschurze, deren Material vor getrocknetem Blut und Knochenmark von ganz allein aufrecht stehen konnte. Sein markantes, sonnengebrauntes Gesicht wird von seinen eiskalten blauen Augen untermalt. Er starrt Josh finster an. »Problem, Davy?«
»Alles unter Kontrolle, Sam«, erwidert der Mann im Rollstuhl, ohne die Augen von Lilly zu nehmen. »Diese Leute hier sind nicht zufrieden mit meinem Angebot und wollten gerade gehen.«
»Einen Augenblick noch.« Josh hebt zerknirscht die Hand. »Es tut mir leid, wenn ich Sie verargert habe, habe aber nie behauptet, dass ich nicht …«
»Die Angebote sind nicht verhandelbar«, verkundet Sam der Metzger, wirft das vor Dreck stehende