Handtuch auf den Tresen und starrt Josh an. »Es sei denn …« Er scheint es sich anders zu uberlegen. »Ach, vergiss es.«
Josh sieht ihn fragend an. »Es sei denn?«
Der Mann in der Schurze lasst den Blick in die Runde wandern und schurzt dann nachdenklich die Lippen. »Hm … Die meisten Leute hier bezahlen ihre Schulden, indem sie bei der Mauer mithelfen, Zaune flicken, Sandsacke stapeln und so weiter. Und da hast du mit deinen Muskeln keine schlechten Karten.« Dann konzentriert er sich auf Lilly. »Es gibt naturlich allerlei Dienstleistungen, manche flicken, andere ficken.« Er grinst. »Insbesondere solche der weiblichen Art.«
Jetzt erst merkt Lilly, dass die Manner hinter dem Tresen sie anglotzen und ihr lustern zugrinsen. Zuerst kann sie es kaum fassen und steht einfach unglaubig da. Dann spurt sie, wie ihr das Blut in den Kopf schie?t. Ihr wird schwindlig. Sie will um sich treten oder einfach nur raus aus diesem modrig riechenden Laden, alles in ihrem Weg zu Boden rei?en und ihnen sagen, dass sie sich selber ficken konnen. Aber die Angst, diese den Hals zuschnurende Angst – ihre alte Nemesis – lasst sie erstarren. Ihre Fu?e sind wie an den Boden genagelt. Sie kann nicht verstehen, was mit ihr los ist. Wie hat sie es geschafft, so lange zu uberleben, ohne verschlungen zu werden? Sie hat so viel durchgemacht, so viel erlebt, und jetzt kann sie sich nicht einmal gegen ein paar sexistische Arschlocher wehren?
»Passt auf … Wisst ihr was? All das ist nicht notig«, hort sie Josh sagen.
Lilly blickt ihn an und sieht, wie sein riesiger Kiefer vor Nervositat zu zucken beginnt. Sie fragt sich, was er wohl damit meint – dass Lilly keine Sexdienste leisten muss, oder dass diese Gangster keine rohen, chauvinistischen Bemerkungen ihr gegenuber machen sollen. Auf einmal ist es ganz still im Laden. Sam der Metzger wendet sich Josh zu.
»Uberleg es dir gut, Hune.« Ein Funke der Verachtung gluht in den Augen des Metzgers. Er wischt sich die schmierigen Hande an seiner Schurze. »Die kleine Lady hat einen Korper an sich, von dem du dich monatelang mit Steak und Eiern ernahren konntest.«
Der Rest der Manner fangt laut zu lachen an, aber der Metzger verzieht kaum seine grimmige Miene. Sein teilnahmsloses Starren ist mit der Intensitat eines Schwei?ers auf Josh gerichtet. Lilly spurt, wie ihr Herz zu rasen beginnt.
Sie legt eine Hand auf Joshs Arm, und sie spurt, wie jeder seiner Muskeln unter der Holzfallerjacke bis aufs Au?erste gespannt ist. »Los, Josh«, haucht sie ihm zu. »Ist schon gut. Nimm deine Uhr, und wir verschwinden von hier.«
Josh lachelt die Kerle an. »Steak und Eier. Der ist nicht schlecht. Aber hort zu, ihr konnt die Uhr behalten. Wir nehmen das Angebot an.«
»Los, holt ihr Essen«, befiehlt der Metzger, ohne die Augen von Josh zu nehmen.
Die beiden Wachen verschwinden fur einen Moment im Lager und sammeln alles zusammen. Kurz darauf erscheinen sie mit einer holzernen Kiste voller fettiger, brauner Papiertuten. »Vielen Dank«, sagt Josh und ubernimmt die Kiste. »Dann gehen wir mal wieder. Schonen Tag noch.«
Josh fuhrt Lilly zur Tur, aber sie kann jeden einzelnen Blick der Manner spuren, die jedes Wippen ihres Hinterteils auf dem Weg nach drau?en genauestens verfolgen.
Am Nachmittag lockt ein Tumult auf einem der unbebauten Grundstucke die Aufmerksamkeit der Bewohner auf sich.
Au?erhalb der sicheren Zone, hinter einem Waldchen, ertont eine Reihe ekelerregender Schreie. Auch Josh und Lilly kriegen es mit und rennen den Zaun entlang zum Rand der Bauarbeiten, um zu sehen, was dort vorgeht.
Als sie einen kleinen Schotterhugel erklimmen und in die Ferne schauen, dringen drei Schusse an ihre Ohren. Sie stammen aus der Richtung hinter dem Waldchen in circa hundertfunfzig Metern Entfernung.
Sie gehen in Deckung. Die Sonne ist bereits kurz vorm Untergehen. Der Wind weht ihnen ins Gesicht, wahrend sie in die Ferne stieren und funf Manner in der Nahe eines Lochs im Zaun sehen. Einer der Manner – Blake, der selbst ernannte »Governor« – tragt einen langen Mantel und halt eine Waffe in der Hand. Sie konnen die Anspannung bis zu ihrem Versteck spuren.
Auf dem Boden vor Blake, in den Maschen und Drahten des kaputten Zauns verheddert, liegt ein Teenager. Das Blut sprie?t aus seinen Bisswunden. Er kratzt den Boden mit seinen Fingern auf, versucht verzweifelt, sich zu befreien, endlich wieder nach Hause zu gelangen.
Im Schatten des Waldes, direkt hinter ihm, sind drei tote Zombies auf einen Haufen gestapelt, die Kopfe von Kugeln durchlochert. Lilly sieht das erst kurzlich Geschehene plotzlich vor ihrem inneren Auge:
Der Junge ist wohl allein in den Wald gegangen, wollte ihn erkunden und ist angegriffen worden. Jetzt, schlimm verletzt und infiziert, versucht er, wieder in Sicherheit zu gelangen, zuckt vor Schmerzen und Entsetzen zusammen, wahrend Blake ohne jegliche Emotionen uber ihm steht und ihn mit den teilnahmslosen Augen eines Bestatters anblickt.
Lilly zuckt, als der Schuss von Philip Blakes 9-mm bis an ihre Ohren vordringt. Der Schadel des Jungen explodiert, und der Korper sackt leblos zu Boden.
»Ich mag das hier nicht, Josh. Uberhaupt nicht.« Lilly sitzt auf der hinteren Sto?stange von Bobs Truck und nippt an einem lauwarmen Kaffee in einem Pappbecher.
Die Dunkelheit ist hereingebrochen, legt sich uber ihren zweiten Abend in Woodbury. Die Stadt hat Megan, Scott und Bob bereits in sich aufgesogen, wie ein komplexer Organismus, der sich von Furcht und Verdacht ernahrt und standig neue Lebensformen akquiriert. Man hat den Neuankommlingen eine Wohnung angeboten – ein Studio- Apartment uber einem mit Brettern verschlagenen Laden an einem Ende der Hauptstra?e. Es ist zwar ein gutes Stuck von der sicheren Zone entfernt, aber hoch genug, dass sie zumindest vor Zombies sicher sind. Megan und Scott haben bereits die meisten ihrer Sachen hochgeschleppt und ihre Schlafsacke gegen ein bisschen Gras eingetauscht.
Bob ist indessen uber eine Kneipe innerhalb der sicheren Zone gestolpert und hat die Halfte seiner Walmart-Rationen gegen ein paar Schnapse und etwas besoffener Gesellschaft verhokert.
»Ich bin auch nicht gerade entzuckt, Kleine«, stimmt Josh zu, wahrend er hinter dem Camper-Aufsatz auf und ab geht. Sein Atem ist in der kalten Winterluft sichtbar. Seine Hande sind von dem Bacon ganz fettig, den er zum Abendessen auf dem Camping-Kocher zubereitet hat. Er wischt sie an seiner Holzfallerjacke sauber. Die beiden haben sich den ganzen Tag lang nicht weit vom Truck entfernt und versucht, die Vor- und Nachteile von Woodbury abzuwagen. »Sieht aber nicht so aus, als ob wir gerade viele Optionen oder Alternativen offen haben. Hier ist es immer noch besser als auf der Stra?e.«
»Glaubst du?« Lilly zittert vor Kalte und schlagt sich den Kragen ihrer Daunenjacke auf. »Bist du dir da sicher?«
»Zumindest befinden wir uns hier in Sicherheit.«
»Sicher? Wovor? Ich mache mir weniger Sorgen um die Zombies als …«
»Ich wei?, ich wei?.« Josh zundet sich einen Zigarrenstumpen an und zieht einige Male daran. »Die sind alle ganz schon aufgedreht hier. Und das ist das Gleiche uberall, ganz egal, wohin wir gehen.«
»Verdammt.« Lilly beginnt erneut zu zittern und nimmt einen weiteren Schluck Kaffee. »Wo zum Teufel treibt Bob sich eigentlich rum?«
»Dreimal darfst du raten – hangt mit seinen Saufkumpanen in der Kneipe ab.«
»Hatte ich mir denken konnen.«
Josh geht ruber zu ihr und legt ihr eine Hand auf die Schulter. »Mach dir keine Sorgen, Lil. Wir ruhen uns jetzt erst einmal vernunftig aus, legen Vorrate an … Ich werde dafur arbeiten … und Ende nachster Woche verschwinden wir von hier.« Er wirft seinen Zigarrenstumpen fort und setzt sich neben sie. »Ich werde schon darauf achten, dass dir nichts passiert.«
Sie blickt ihn flehend an. »Versprochen?«
»Versprochen.« Er kusst sie auf die Wange. »Ich werde dich beschutzen, mein Kleines. Fur immer. Fur immer …«
Sie erwidert seinen Kuss.
Dann legt er die Arme um sie und kusst sie auf die Lippen. Lilly tut es ihm gleich, und schon entwickelt sich etwas, das sie nicht mehr aufhalten konnen. Seine riesigen und doch so zarten Hande fuhlen sich ihren Rucken auf und ab, und ihre Kusse werden immer hei?er, immer begehrender. Sie sind ineinander verschlungen, und Josh drangt Lilly in den Camper-Aufsatz, in ihre kleine, dunkle Privatsphare.