kriegen kann.« Bob wagt einen Blick auf den dunnen Arzt. »Ich verstehe schon, wenn Sie nicht wollen, dass ich mich auch nur in der Nahe Ihrer Patienten …«

»Bob, entspannen Sie sich. Sie verstehen nicht. Ich finde es fantastisch.«

»Ha?«

»Trinken Sie nur weiter. Trinken Sie so viel, wie Sie wollen.«

»Wie bitte?«

»Wurde es Ihnen etwas ausmachen, etwas davon zu teilen?«

Bob holt langsam seinen Flachmann hervor und starrt Stevens staunend an.

»Vielen Dank.« Er nimmt den Flachmann, nickt Bob dankend zu und nippt daran, ehe er sich mit dem Armel uber den Mund fahrt und den Flachmann Alice reicht.

Die Schwester winkt ab. »Nein, danke. Das ist noch ein bisschen fruh fur mich.«

Stevens nimmt einen weiteren Schluck, ehe er Bob den Flachmann zuruckreicht. »Wenn man langer hierbleibt, ist es absolut notwendig, sich jeden Tag die Birne vollzuknallen.«

Bob steckt den Flachmann wieder ein und sagt kein Wort.

Stevens lachelt ihn an, und es hat etwas Herzzerrei?endes an sich. »Ich verordne Ihnen hiermit, stets so betrunken wie moglich zu sein, Bob.«

Auf der anderen Seite der Rennstrecke, hinter der nordlichen Tribune, erscheint eine drahtige, stark angespannte Gestalt aus einer nicht beschrifteten Metalltur und starrt gen Himmel. Der Regen hat kurzzeitig aufgehort, der Himmel hangt voller niedriger, dunkler Wolken. Der drahtige Gentleman tragt ein kleines Paket, eingewickelt in einer abgenutzten, grasfarbenen Wolldecke. Zusammengehalten wird das Packchen von einem Lederriemen.

Der drahtige Mann uberquert die Stra?e und geht den Burgersteig entlang. Sein rabenschwarzes Haar glanzt vor Nasse und ist zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden.

Wahrend er so vor sich hinspaziert, sucht er mit den Augen sein gesamtes Umfeld ab, ist stets auf der Hut. Ihm entgeht nichts, was um ihn herum passiert. Wahrend der letzten Wochen sind die Emotionen wieder etwas abgeklungen, unter denen er so sehr gelitten hat, die Stimme in seinem Kopf verstummt. Jetzt fuhlt er sich stark. Dieses Stadtchen ist sein Lebensinhalt, sein Raison d’etre, der eigentliche Grund dafur, dass er weiterhin scharfsinnig und in Form bleibt.

Er will gerade um die Ecke der Kreuzung von der Canyon- und der Hauptstra?e biegen, als er im Augenwinkel eine Gestalt wahrnimmt. Der altere Mann – der Saufbruder, der vor ein paar Tagen mit dem Schwarzen und dem Madchen hier aufgetaucht ist – kommt aus der Krankenstation im Sudflugel der Rennstrecke. Der wettergegerbte, alte Mann halt fur einen Moment inne, nimmt einen Schluck aus seinem Flachmann, und der drahtige Mann kann die Miene des alten Trinkers sehen, nachdem er die brennende Flussigkeit die Gurgel hinuntergeschuttet hat.

In der Ferne lachelt der Alte, als der Alkohol seine Kehle benetzt, und der drahtige Mann kennt den Gesichtsausdruck irgendwoher. Die Grimasse – voller Scham und Trostlosigkeit – lasst den drahtigen Mann ganz sentimental, beinahe mitfuhlend werden. Der Alte steckt den Flachmann wieder ein und macht sich angetrunken halb gehend, halb stolpernd in Richtung Hauptstra?e auf – ein Gang, wie viele Obdachlose ihn nach Jahren auf der Stra?e haben. Der drahtige Mann folgt ihm.

Bald schon kann er sich nicht mehr zuruckhalten, ruft dem Spritti hinterher: »Hey, Kumpel!«

Bob Stookey hort eine Stimme – rau, mit dem typischen Akzent einer sudlichen Kleinstadt –, aber er kann nicht ausmachen, woher sie kommt.

Bob halt mitten auf der Hauptstra?e inne und schaut sich um. Die Stadt ist wie leer gefegt. Liegt wohl am Regen, der die Bewohner vom Ausgehen abhalt.

»Bob, oder?«, fragt die Stimme. Sie ist naher gekommen, und Bob erspaht endlich den Mann, der hinter ihm die Stra?e entlanglauft.

»Oh, hi … Alles klar?«

Der Mann schlendert zu Bob und schenkt ihm ein gequaltes Lacheln. »Mir geht es blendend, Bob. Danke.« Kohlschwarze Strahnen hangen ihm ins markante Gesicht. Er tragt etwas. Es ist nass, tropft auf den Burgersteig. Die Leute in der Stadt nennen den Mann den »Governor« – zumindest der Name ist ihm geblieben –, und das findet er gut so. »Lebst du dich denn ganz gut ein hier in unserem kleinen Stadtchen?«

»Kann man so sagen.«

»Schon Doc Stevens getroffen?«

»Jawohl, ein guter Mann.«

»Nenn mich einfach den ›Governor‹.« Das Lacheln wird etwas herzlicher. »So scheinen mich alle hier zu nennen. Ich will mich nicht beschweren. Hort sich gar nicht so schlecht an, finde ich.«

»O.k., Governor«, meint Bob und schaut auf das Bundel in den Handen des Mannes. Blut tropft auf den Burgersteig. Bob wendet rasch den Blick ab. Damit hat er nicht gerechnet, will sich aber nichts anmerken lassen. »Sieht ganz so aus, als ob es aufgehort hat zu regnen.«

Das Lacheln scheint dem Mann ins Gesicht geatzt. »Komm, Bob. Komm mit mir.«

»Klar doch.«

Sie gehen den kaputten Burgersteig entlang auf die Barrikade zu, die zwischen den Laden und den Stra?en weiter au?erhalb verlauft. Das Gerausch von Kompressoren und Nagelpistolen wird vom Wind an ihre Ohren getragen. Die Barrikade wachst und wachst, fuhrt jetzt schon bis ans sudliche Geschaftsviertel. »Du erinnerst mich an jemanden«, sagt der Governor schlie?lich nach einer langen Pause.

»Hm, Kate Winslet wird es wohl nicht sein, oder?« Bob hat genug Alkohol intus, um locker von der Leber reden zu konnen. Er gluckst in sich hinein. »Und Bonnie Raitt auch nicht. Wette ich drauf.«

»Touche, Bob.« Der Governor blickt auf sein Bundel, bemerkt das Blut, das immer wieder auf den Burgersteig tropft. »Ach, ich mache ja alles ganz dreckig.«

Bob schaut woandershin, versucht, das Thema zu wechseln. »Macht ihr euch eigentlich keine Sorgen, dass der ganze Larm mit dem Mauerbau die Zombies anlockt?«

»Das haben wir unter Kontrolle, Bob. Deswegen brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Wir haben Wachen am Waldrand stationiert und versuchen, den Larm so niedrig wie moglich zu halten.«

»Das ist beruhigend … Hort sich an, als ob ihr hier alles recht gut organisiert habt.«

»Wir tun unser Bestes, Bob.«

»Ich habe Doc Stevens gesagt, dass er freie Verfugung uber meine samtlichen Arzneimittel hat.«

»Bist du auch Arzt?«

Bob erzahlt dem Mann von Afghanistan, vom Marines-Zusammenflicken und seiner ehrenhaften Entlassung.

»Hast du Kinder, Bob?«

»Nein … Nur Brenda und ich, fur eine halbe Ewigkeit – Brenda war meine Frau. Wir hatten einen Wohnwagen kurz vor Smyrna. Ach, das war noch ein Leben.«

»Bob, dich interessiert wohl mein kleines Packchen hier. Du starrst die ganze Zeit darauf.«

»Ah, nein. Was auch immer es ist, das hat mich nichts anzugehen. Ist mir vollig egal.«

»Wo ist denn deine Frau?«

Bob wird langsamer, als ob das Thema Brenda Stookey ihm zur Last fallt. »Habe sie wahrend einer Zombie- Attacke verloren. Das war kurz nach dem Anfang der Plage.«

»Tut mir leid.« Sie kommen zu einem Tor in der Wand. Der Governor halt an, klopft einige Male, und das Tor offnet sich einen Spalt. Der Wind wirbelt etwas Mull auf dem Boden auf, als der Arbeiter das Tor aufmacht und die beiden passieren lasst. »Ich wohne in die Richtung«, meint der Governor und neigt den Kopf gen Osten. »Kleines, zweistockiges Apartment-Gebaude … Komm doch gleich mit, ich spendier dir auch einen Drink.«

»Oha, in der Villa des Governors?«, witzelt Bob. Er kann es nicht lassen. Seine Nerven und der Alkohol drehen mit ihm durch. »Gibt es denn keine Gesetze, die Sie erlassen mussen?«

Der Governor halt inne, dreht sich zu Bob um und lachelt. »Duz mich doch einfach. Und jetzt wei? ich endlich, an wen du mich erinnerst.«

In diesem Augenblick, in dem grauen Licht des bewolkten Tages, erfahrt der drahtige Mann – der von nun an sich nur noch als »Governor« wahrnimmt – eine seismische Verlagerung in seinem Gehirn. Er steht einfach da und mustert diesen groben, tief gezeichneten, alkoholkranken Typen aus Smyrna, der ein Abziehbild von Ed Blake ist – dem Vater des Governors. Ed Blake besa? die gleiche dicke Nase, die gleiche hervortretende Stirn und die gleichen Lachfaltchen um seine rot umrandeten Augen. Auch Ed Blake hat viel getrunken, genau wie dieser Typ hier, und

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