Das blasse Gesicht verandert sich, die Augen werden schmaler, die schwarzen Lippen offnen sich, um den Blick auf die verrottenden Milchzahne zu gewahren.

Bob nimmt einen Schritt auf ihn zu. »Aufpassen …«

Die Penny-Kreatur schnappt nach dem entblo?ten Fleisch vor ihrer Nase, aber der Governor zieht das Handgelenk gerade noch rechtzeitig fort. »Hoppla!«

Der kleine Zombie zerrt an den Ketten, rafft sich auf die Beine und greift nach dem Governor, der sich aber schon langst in Sicherheit gebracht hat. Als ob er mit einem Baby spricht, fahrt er fort: »Du freches, freches Ding … Hast Daddy beinahe erwischt!«

Bob wird ganz schummrig. Er spurt, wie ihm die Galle hochkommt.

»Bob, bitte tu mir einen Gefallen und greif mal in das Bundel, in dem der Kopf war.«

»Ha?«

»Tu mir den Gefallen und hol den letzten Leckerbissen aus dem Paket.«

Bob schluckt die Kotze wieder runter, dreht sich um, beugt sich zu dem Bundel hinab und schaut hinein. In einer Lache trocknenden Blutes sieht er einen menschlichen Finger, wohl von einem Mann. Haare sprie?en von den Knocheln, und aus einem Ende lugt der Rest eines Knochens hervor.

Irgendetwas passiert mit Bob – es ist, als ob etwas in ihm rei?t. Er holt sein Taschentuch hervor, kniet sich hin und holt den Finger aus dem Packchen.

»Warum gibst du ihn ihr nicht, mein Freund?«, schlagt der Governor vor und stemmt stolz die Hande in die Huften, wahrend er sich uber dem in der Luft schnappenden Zombie-Madchen aufbaut.

Bob kommt es so vor, als ob sein Korper sich von ganz alleine bewegt. »Yeah, klar.«

»Dann mal los.«

Bob steht nur wenige Zentimeter vor dem Zombie, der sich mit aller Kraft in die Ketten wirft und versucht, Bob zu bei?en. »Yeah … warum nicht?«

Dann streckt er den Arm mit dem Finger in der Hand aus und futtert die Kreatur.

Der kleine Leichnam verschlingt den Leckerbissen, fallt auf die Knie, stopft sich den Finger mit beiden Handen in den Mund. Die furchterlichen Fressgerausche und das Knacken von Knochen fullen die Waschekammer.

Die beiden Manner stehen nebeneinander da und schauen zu. Der Governor legt den Arm um seinen neuen Freund.

Am Ende der Woche haben die Manner die Mauer bis an die Ecke des dritten Hauserblocks entlang der Mill Road ausgeweitet, in dem sich das mit Brettern zugenagelte und mit Graffiti bespruhte Postgebaude befindet. Auf der gegenuberliegenden Mauer hat irgendein Witzbold, der wohl irgendwann mal einen Literaturkurs am College besucht hat, die Worte UND SO GEHT DIE WELT ZUGRUND, NICHT MIT GEWALT: MIT EINEM BISS – eine standige Erinnerung daran, dass die Gesellschaft oder die Regierung, so wie es sie einmal gegeben hat, nicht mehr existiert.

Am Samstag fangt Josh Lee Hamilton endlich bei einem Arbeitstrupp an und schafft Bauholz von einem Burgersteig zum gegenuberliegenden. Damit verdient er sich genugend Essen, dass Lilly und er weiter etwas zwischen die Zahne kriegen. Mittlerweile hat er keine Wertsachen mehr zum Eintauschen. Die letzten Tage hat er damit verbracht, einfache Tatigkeiten zu verrichten, Toiletten sauber zu machen oder Tiere auszuschlachten. Nicht dass es ihm Spa? machen wurde, aber fur Lilly tut er es gerne.

Josh hat sich so sehr in die Frau verliebt, dass er nachts in der trostlosen Einsamkeit ihrer Wohnung heimliche Tranen weint, nachdem Lilly in seinen Armen eingeschlafen ist. Er kann es kaum fassen, dass er inmitten dieser chaotischen Welt, dieses Armageddons die Liebe gefunden hat. Gefullt mit einer waghalsigen Hoffnung zusammen mit den traumerischen Begleiterscheinungen seiner ersten wahren Beziehung in seinem Leben, bemerkt Josh kaum, dass die anderen Mitglieder ihrer Gruppe nicht mehr da sind.

Die kleine Clique scheint sich in alle Himmelsrichtungen zerstreut zu haben. Ab und zu erhascht Josh einen Blick von Megan – normalerweise nachts, wenn sie halb nackt und stoned von einem Balkon zum anderen steigt. Josh wei? nicht, ob sie noch mit Scott zusammen ist, der im Ubrigen wie vom Erdboden verschluckt zu sein scheint. Niemand hat ihn gehort oder gesehen, und die traurige Wahrheit ist, dass ihn auch niemand vermisst. Megan hingegen scheint gut im Geschaft zu sein. Von den ungefahr funfzig Einwohnern in Woodbury sind weniger als ein Dutzend Frauen – und davon haben nur vier ihre Wechseljahre noch vor sich.

Viel schlimmer aber ist Bobs Aufstieg zum Stadtmaskottchen. Anscheinend hat der Governor – Josh traut diesem Soziopathen von Anfuhrer ungefahr genauso viel wie einem Zombie mit einem Fu?ballteam Jugendlicher – Gefallen an dem alten Mann gefunden und halt ihn mit Whiskey, Barbituraten und gesellschaftlicher Anerkennung bei Laune.

An diesem Samstagnachmittag jedoch stellt Josh samtliche Bedenken hinten an, als er eine Palette mit Schindeln und Brettern vor der Barrikade entladt. Andere Arbeiter nageln das Material fest und bauen die Mauer aus. Manche benutzen Hammer, andere Nagelpistolen, die an zwei Kompressoren angeschlossen sind. Der Larm nervt zwar, ist aber ertraglich.

»Lad es dahinten ab, bei den Sandsacken, Kumpel«, weist Martinez Josh an und nickt ihm freundlich zu. An seiner Hufte hangt ein M1-Maschinengewehr.

Er tragt noch immer sein Kopftuch und das armellose Tarnhemd, ist noch immer der gutgelaunte Typ, den sie im Walmart getroffen haben. Josh kann ihn nicht wirklich einschatzen. Er scheint der ausgeglichenste Mann in ganz Woodbury zu sein, aber das soll nicht viel hei?en. Er ist verantwortlich fur die standig wechselnden Wachen bei der Mauer. Martinez scheint dem Governor sehr nahe zu stehen, aber man sieht die beiden so gut wie nie zusammen. »Und versuch, so wenig Larm wie moglich zu machen, Kumpel«, fugt er mit einem Augenzwinkern hinzu.

»Alles klar«, antwortet Josh und nickt, ehe er die Palette abladt. Er zieht seine Holzfallerjacke aus – in der niedrig stehenden Wintersonne hinterlassen Schwei?perlen eine feuchte Spur auf seinem Rucken – und stapelt alles innerhalb von wenigen Minuten auf.

Martinez gesellt sich zu ihm. »Warum holst du dir nicht noch eine Ladung und machst dann Mittag?«

»Wird gemacht«, gehorcht Josh, zieht den Handhubwagen unter der Palette hervor, dreht sich um und geht zuruck zur anderen Stra?enseite. Seine Jacke samt seiner .38er Police Special lasst er an einem Zaunpfosten baumeln.

Josh vergisst ab und zu, dass die Waffe in der Jacke steckt. Er hat sie nicht mehr benutzt, seitdem sie in Woodbury angekommen sind; die Wachen sind vollig ausreichend.

Wahrend der letzten Woche gab es nur wenige Angriffe – hauptsachlich am Waldrand oder an den Stra?en, die aber relativ einfach und schnell von der gut bewaffneten Truppe Wochenendsoldaten abgewehrt wurden. Laut Martinez haben die Anfuhrer von Woodbury ein ganzes Arsenal in einem Gebaude der National Guard gar nicht so weit entfernt gefunden. Lauter Militarzeug, die der Governor weise verteilt hat.

In Wahrheit aber sind die Zombies das kleinste Problem, das der Governor hat. Die Menschen in Woodbury scheinen unter dem Druck des postapokalyptischen Lebens langsam, aber sicher zusammenzubrechen.

Es dauert weniger als funf Minuten, bis Josh im Lager angekommen ist. Er denkt uber Lilly nach, uber ihre gemeinsame Zukunft. In Gedanken versunken, bemerkt er nicht den Geruch, der ihn umgibt, als er das holzerne Gebaude am Rande der Eisenbahngleise erreicht.

Das Lager diente einmal als Vorratsschuppen und Speicher fur den sudlichen Endbahnhof der Chattooge and Chickamauga Railway. Im zwanzigsten Jahrhundert transportierten sie die gesamte Tabakernte der Umgebung nach Fayetteville zur Weiterverarbeitung.

Josh geht an der Seite des langen, schmalen Gebaudes entlang und lasst den Handhubwagen vor der Tur stehen. Der hochste Punkt des steilen, verwitterten Dachs liegt zehn Meter uber der Stra?e. Der Verschlag ist uralt, heruntergekommen, an einigen Stellen sogar stark beschadigt. Das einzige gro?e Fenster unweit der Tur ist mit Brettern zugenagelt. Das Lager macht eher den Eindruck eines ruinierten Museums, ein Relikt des alten Sudens. Jetzt benutzen die Arbeiter es, um das Holz trocken zu halten und Baumaterialien zu lagern.

»Josh!«

Josh halt kurz vor dem Eingang inne, als er eine ihm bekannte Stimme hinter sich hort. Er dreht sich gerade noch rechtzeitig um, um Lilly in ihren abgefahrenen Klamotten – Schlapphut, bunter Schal und Fellmantel, den sie von einer alteren Frau in Woodbury eingetauscht hat – auf ihn zueilen zu sehen. Sie tragt ein mudes Lacheln auf dem Gesicht.

»Meine Kleine! Na, bin ich vielleicht glucklich, dich zu sehen«, begru?t Josh Lilly und umarmt sie. Sie

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