Eine Neonrohre zerbirst und schickt eine Sturzflut an Scherben von der Decke herab, so dass sich alle zu Boden werfen, um in Deckung zu gehen.

Endlich hort der Governor auf, steht einfach nur da, holt tief Luft und blinzelt, ehe er mit Bob unter dem Turrahmen spricht. »Bob, was sich uns hier bietet, ist die Chance, etwas zu lernen.«

Stinson hat sich in die Hose gemacht. Er ist noch immer zu Tode erschrocken, obwohl ihm nichts passiert ist. Er sitzt einfach nur da und weint sanft in seine Hande.

Der Governor humpelt zu dem gro?en Mann, hinterlasst eine Blutspur hinter sich auf dem Boden. »Verstehst du, Bob … Genau das, was in diesen Mannern schwelt, die Tatsache, dass sie so einen Schei? wie eben gerade versuchen, wird ihnen dazu verhelfen, Superstars in der Arena zu werden.«

Stinson blickt mit rotzverschmiertem Gesicht zum Governor auf, der uber ihm steht.

»Sie verstehen es noch nicht, Bob«, fahrt der Governor fort und zielt mit dem Lauf erneut auf Stinsons Gesicht, »aber sie haben gerade den ersten Test der Gladiatorenschule von Woodbury bestanden.«

Der Governor starrt Stinson finster an. »Offne deinen Mund.«

Stinson schluckt auf, zuckt vor Schluchzen und Angst zusammen, ehe er atemlos bettelt: »Bitte, biiittttteeeee …«

»Offne deinen verkackten Mund!«

Stinson tut, wie ihm gehei?en. Bob Stookey wendet sich ab angesichts des drohenden Unheils.

»Siehst du, Bob?«, sagt der Governor langsam und steckt Stinson den Pistolenlauf zwischen die Zahne. Es herrscht totale Stille, und die anderen Manner schauen entsetzt und doch fasziniert zu. »Gehorsam … Mut … Dummheit. Ist das nicht das Motto der Pfadfinder?«

Ohne Vorwarnung zieht der Governor den Lauf aus Stinsons Mund, dreht sich um und humpelt zu Bob. »Was hat Ed Sullivan immer gesagt …? Gonna be a really big sssshooooow!«

Die Anspannung verpufft im Nu und macht druckendem Schweigen Platz.

»Bob, tu mir doch bitte einen Gefallen … Bitte!«, drangt der Governor, als er auf dem Weg zu ihm uber die durchlocherte Leiche des Master Gunnery Sergeant Trey Barker steigt. »Mach hier sauber … Ich will aber nicht, dass du diesen Schwanzlutscher hier zum Krematorium bringst. Lade ihn auf der Krankenstation ab.« Er zwinkert Bob zu. »Ich kummere mich dann schon um ihn.«

Noch vor Sonnenaufgang am folgenden Tag liegt Megan Lafferty nackt auf dem Rucken in einem kaputten Bett in einem verwahrlosten Studio-Apartment. Ihr ist kalt. Wie hei?t die Wache noch mal, die hier wohnt? Denny? Daniel? Megan war letzte Nacht zu stoned, um sich noch irgendwelche Namen merken zu konnen. Jetzt sto?t der junge, schlanke Mann mit dem Kobra-Tattoo zwischen den Schulterblattern mit rhythmischer Regelma?igkeit in sie, dass das Bett stohnt und achzt.

Megan lasst die Gedanken schweifen, starrt zur Decke, konzentriert sich auf die toten Fliegen in der Lampe. Alles, um die schmerzvolle Reibung zu ignorieren, die der Mann mit seinem steifen Pimmel erzeugt.

Im Zimmer befindet sich ein Bett, eine heruntergekommene Kommode, von Motten zerfressene Vorhange vor dem offenen Fenster, durch das der eisige Dezemberwind pfeift, und Kisten uber Kisten mit Proviant. Einige davon sind fur Megan, gegen Sex, versteht sich. Von einem Haken an der Tur hangt eine Reihe fleischiger Objekte. Zuerst glaubt sie, es sind getrocknete Blumen.

Nach genauerer Untersuchung jedoch merkt sie, dass es sich um menschliche Ohren handelt. Wohl Trophaen von samtlichen Untoten, die ihm uber den Weg gelaufen sind.

Megan versucht, Lillys letzte Worte zu verdrangen, die sie ihr erst gestern Nacht an der brennenden Oltonne gesagt hat. »Das ist mein Korper, Freundin, und das sind verfickt schwierige Zeiten«, rechtfertigte Megan sich gegenuber Lilly, die aber angewidert antwortete: »Da verhungere ich lieber, als so eine Schlampe zu werden.« Und dann hat Lilly ihr die Freundschaft offiziell gekundigt. Fur immer. »Megan, es ist mir egal, du bist mir egal. Ich bin fertig mit dir, will nichts mehr von dir horen, nichts mehr mit dir zu tun haben.«

Jetzt hallen diese Worte in der riesigen Leere wider, die in Megans Seele herrscht. Das Loch in ihrem Inneren ist schon Jahre alt, ein gigantisches Vakuum der Trauer, ein bodenloses Fass von Selbsthass aus den Zeiten ihrer Jugend und Kindheit. Sie hat es nie geschafft, diese Leere auszufullen, und jetzt, zusammen mit der Plage, hat es sich wie eine eiternde, faulende Wunde geoffnet.

Sie schlie?t die Augen und stellt sich vor, wie sie in einem dunklen, tiefen Ozean ertrinkt, als ein Gerausch an ihre Ohren dringt.

Sie offnet die Augen. Das Gerausch ist unverkennbar, kommt von drau?en, direkt vor dem Fenster. Leise, aber doch eindeutig ertont es uber dem Wind, wird uber die Dacher getragen: Schritte. Schritte von zwei Personen, heimliche Schritte. Zwei Bewohner schleichen sich durch die Dunkelheit.

Das Kobra-Tattoo hat sich mittlerweile abgesto?en, wohl mude von seinen Bemuhungen, und ist von Megan heruntergestiegen. Er riecht nach getrockneten Samen, hat schlechten Atem. Kaum hat er sich auf die uringetrankte Matratze gelegt, fangt er zu schnarchen an. Megan steht langsam auf, achtet darauf, den erschopften Kunden nicht zu wecken.

Vorsichtig schleicht sie sich uber den kalten Boden zum Fenster und wagt einen Blick nach drau?en.

Der Ort ist noch ganz verschlafen, es herrscht eine graue Finsternis. Man kann die Silhouetten der Schornsteine gegen das dammrige Morgengrauen erkennen. Dann sieht sie zwei Gestalten, kaum sichtbar durch den Nebel, die sich gen Westen die Mauer entlang bewegen. Ihr Atem ist sichtbar in der kalten Morgenluft. Einer der beiden ist wesentlich gro?er als der andere.

Dann erkennt Megan Josh Lee Hamilton und Lilly, wie die beiden geisterhaften Gestalten an einer Ecke der Mauer in hundertfunfzig Meter Entfernung innehalten. Wellen der Wehmut durchfluten Megan.

Als die beiden hinter der Barrikade verschwinden, zwingt ein Gefuhl des Verlusts Megan auf die Knie, und sie heult in der stinkenden Finsternis fur eine halbe Ewigkeit leise vor sich hin.

»Wirf es mir zu, Kleines«, flustert Josh und blickt zu Lilly auf, die auf der Mauer herumbalanciert – ein Fu? in der Mitte, der andere unterstutzend an der Seite. Josh ist sich der schlummernden Wache hundert Meter ostlich von ihnen nur zu bewusst. Sie sitzt im Bulldozer, die direkte Sichtlinie ist von einer riesigen Eiche versperrt.

»Hier!« Lilly streift den Rucksack ungeschickt von der Schulter und wirft ihn dann zu Josh auf der anderen Seite. Er fangt ihn mit einer Hand. Darin sind Joshs .38er, ein Spitzhammer mit faltbarem Griff, ein Schraubenzieher, einige Schokoriegel und zwei Flaschen Wasser. Das Ding wiegt mindestens funf Kilo.

»Sieh dich vor!«

Lilly klettert die Mauer runter und kommt auf der harten Erde auf.

Sie verschwenden keine Zeit und machen sich so schnell wie moglich auf die Socken. Die Sonne geht schon auf, und sie wollen au?er Sicht sein, wenn Martinez und seine Kumpane ihre Positionen einnehmen. Josh hat kein gutes Gefuhl, was das Leben in Woodbury betrifft. Es scheint so, als ob er durch Arbeiten immer weniger verdient beziehungsweise einzutauschen hat. Gestern hat er mindestens drei Tonnen Material durch die Gegend gewuchtet, und trotzdem behauptet Sam der Metzger, dass Josh noch immer Schulden bei ihm hat, dass er sich durch das Tauschsystem einen unfairen Vorteil einhandeln will, und dass er nie und nimmer den Speck und das Obst abarbeiten kann, das er tagtaglich verschlingt.

Umso mehr Grund fur Josh und Lilly, sich aus der Stadt zu schleichen. Vielleicht finden sie ja ihre eigenen Vorrate.

»Bleib bei mir, Kleines«, ermahnt Josh sie, und fuhrt sie den Waldrand entlang.

Sie halten sich trotz der aufgehenden Sonne stets im Schatten, arbeiten sich an der einen Seite des riesigen Friedhofs zu ihrer Linken vor. Uralte Weiden uberdachen mit ihren Asten die Burgerkriegsdenkmaler, und das geisterhafte Licht der ersten Morgenstrahlen verleiht dem Ort einen unheimlichen, trostlosen Touch. Viele der Grabmaler liegen umgesturzt am Boden, einige der Graber sind geoffnet. Der Anblick des Friedhofs stellt Josh die Nackenhaare auf, und er drangt Lilly, endlich zur Kreuzung von Main und Canyon Drive zu gelangen.

Sie biegen nach Norden ab, hin zu den Pekannussfeldern vor den Stadtgrenzen.

»Halte Ausschau nach Verkehrsspiegeln«, bittet Josh sie, als sie eine sanfte Steigung zu den bewaldeten Hugeln emporsteigen. »Oder Briefkasten. Oder sonstigen Anzeichen von einer privater Auffahrt.«

»Und was ist, wenn wir nichts weiter als noch mehr Baume finden?«

»Da muss irgendwo ein Bauernhof sein … oder sonst etwas.« Josh sucht standig die Baume auf beiden Seiten der schmalen, geteerten Stra?e ab. Die Sonne ist nun endgultig uber dem Horizont aufgegangen, doch die Walder um Canyon Drive sind noch duster und voll tanzender Schatten. Gerausche vermischen sich, und raschelndes Laub klingt wie taumelnde Schritte. Josh halt inne, steckt die Hand in den Rucksack, holt seine Pistole hervor und

Вы читаете The Walking Dead 2
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату