uberpruft, ob sie geladen ist.
»Was ist denn?«, will Lilly wissen, die Augen fragend auf die Waffe gerichtet, ehe auch sie den Wald absucht. »Hast du etwas gehort?«
»Alles ist gut, Kleines.« Er steckt sich den Revolver in den Gurtel und klettert weiter die Steigung hinauf. »Solange wir uns schon ruhig verhalten, nicht anhalten … Alles wird gut.«
Sie marschieren einen halben Kilometer, ohne ein Wort miteinander zu wechseln. Im Entenmarsch, einer hinter dem anderen, stets auf der Hut. Sie beaugen die schwingenden Aste im Wald, beobachten selbst die Schatten hinter den Schatten. Seit dem Vorfall im Eisenbahnlager haben sich die Zombies nicht mehr in Woodbury sehen lassen, und Josh kann das Gefuhl nicht abschutteln, dass es mal wieder Zeit fur einen Angriff ist. Er wird schon nervos, dass sie so ungeschutzt im Freien sind, als er einen Hinweis auf ein bebautes Grundstuck sieht.
Der riesige, metallene Briefkasten in Form einer kleinen Blockhutte steht am Ende einer unbeschilderten Auffahrt. Lediglich die Buchstaben L. HUNT verraten die Identitat des Besitzers. Daneben sind die Zahlen 20034 in das rostige Metall gepragt.
Circa funfzig Meter hinter dem bizarren Briefkasten finden sie weitere, uber ein Dutzend an der Zahl – an einer Einfahrt stehen gleich sechs auf einmal –, und Josh glaubt, den Jackpot getroffen zu haben. Er holt den Hammer aus dem Rucksack und reicht ihn Lilly. »Den Hammer immer schon griffbereit haben, Baby. Wir schauen uns mal diese Auffahrt mit den vielen Briefkasten an.«
»Ich folge dir auf Schritt und Tritt«, antwortet sie und geht dann mit ihm die Auffahrt hoch.
Das erste Ungetum wird gleich einer Fata Morgana im Morgenlicht hinter den Baumen sichtbar, steht inmitten einer Lichtung, als ob es aus dem All stammt. Wenn das Haus irgendwo an einem von Baumen gesaumten Boulevard in Connecticut oder Beverly Hills stunde, wurde es gar nicht erst auffallen, aber hier, mitten auf dem Land, verschlagt es Josh beinahe die Sprache. Das Haus erstreckt sich uber drei Stockwerke, ist von einem englischen Rasen umgeben, auf dem sich mittlerweile Unkraut ausgebreitet hat, und stellt ein architektonisches Wunder aus frei tragenden Raumen und Balustraden dar. Es weist mehr Dachschragen auf, als man an zwei Handen abzahlen kann, sieht aus wie ein verschollenes Meisterstuck von Frank Lloyd Wright. Im Hinterhof kann man gerade so einen mit Laub bedeckten Infinity-Pool mit verdeckter Wasserkante erspahen. Auch den riesigen Balkons sieht man die Vernachlassigung an – Eiszapfen hangen von ihnen herab, und uberall liegt dreckiger Schnee. »Das ist wohl die Sommerresidenz von irgendeinem gro?en Macker«, mutma?t Josh.
Sie folgen der Stra?e, die weiter in den Wald fuhrt, und finden noch mehr verlassene Hauser.
Eins sieht aus wie ein viktorianisches Museum mit gigantischen Turmchen, die aus den uberall auf dem Grundstuck verstreut stehenden Pekannussbaumen zu schie?en scheinen. Ein weiteres Haus scheint aus Glas gebaut zu sein. Au?erdem besitzt es eine Veranda, die sich uber einen Hugel erstreckt und eine atemberaubende Aussicht bietet. Jede Villa besitzt ihren eigenen Pool und Remise, eine Garage gro? genug fur sechs Autos und einen riesigen Rasen. Au?erdem sind alle verlassen, dunkel, verschlossen, verbarrikadiert und tot wie Mausoleen.
Lilly halt vor dem in dunklem Glas gerahmten Wunder inne und starrt hinein. »Glaubst du, dass wir da reinkommen?«
Josh grinst. »Reich mir doch mal den Hammer, Kleines … und geh in Sicherheit.«
Sie finden sich in einem Schlaraffenland wieder. Trotz all der verdorbenen Lebensmittel und Anzeichen fruherer Einbruche – wahrscheinlich auf Anlass des Governors und seiner angeheuerten Schlager – finden sie noch immer halb volle Speisekammern, Bars und Wascheschranke, die bis zum Rand mit frischer Bettwasche vollgestopft sind. Sie stolpern uber Werkstatten mit mehr Werkzeug und Ausrustung als in einem Handwerkerladen. Sie finden Waffen, Schnaps, Benzin und Arzneimittel. Sie konnen es kaum glauben, dass der Governor und seine Schergen diese Oasen der Fulle noch nicht vollstandig ausgeraubt haben. Und das Beste an allem ist, dass weit und breit keine Zombies zu sehen sind.
Spater schaut sich Lilly im Eingangsbereich eines noch vollig intakten, einstockigen Holzhauses um und bestaunt die kunstvollen Tiffany-Lampen. »Wei?t du, was ich denke?«
»Keine Ahnung, Liebes. Was denkst du denn?«
Sie wirft ihm einen ernsten Blick zu. »Wir konnten hier
»Hm, ich wei? nicht …«
Sie sieht sich um. »Wir konnen ruhig sein, kein Aufsehen erregen. Wir mussen es doch nicht in die Welt hinausposaunen, dass wir hier sind.«
Josh uberlegt einen Augenblick. »Vielleicht sollten wir das langsam angehen. Dumm spielen, schauen, ob jemand anders Wind davon bekommen hat.«
»Aber das ist doch das Coole an der Sache, Josh. Die sind schon hier gewesen … und kommen nicht wieder.«
Er seufzt. »Lass mich daruber nachdenken, Kleines. Vielleicht sollten wir Bob zurate ziehen.«
Sie schauen sich in den Garagen um und finden eine Handvoll Luxuskarossen unter Planen, schmieden Zukunftsplane, uberlegen, ob sie wieder auf die Stra?e sollten. Sie einigen sich darauf, erst mit Bob zu reden und dann eine Entscheidung zu treffen.
Abends kehren sie in die Stadt zuruck, schleichen sich unbemerkt durch die Bauarbeiten am sudlichen Ende der Barrikade hindurch, bis sie sich wieder in der sicheren Zone befinden.
Von ihrer Entdeckung teilen sie niemandem etwas mit.
Unglucklicherweise ist weder Josh noch Lilly der eine entscheidende Nachteil ihrer Luxusenklave aufgefallen. Die meisten Garten reichen gute drei?ig Meter bis an den Rand eines Abhangs. Dahinter geht es dann steil und steinig bergab in einen tiefen Canyon. In seinem trockenen Flussbett, inmitten toter Kletterpflanzen, stolpert eine Horde Zombies umher, mindestens hundert an der Zahl.
Die Kreaturen brauchen keine achtundvierzig Stunden – wenn sie erst mal Menschenfleisch gerochen und den Larm von oben mitgekriegt haben –, um einen Zentimeter nach dem anderen an der Canyonwand hochzuklettern.
Elf
Ich will es immer noch nicht einsehen, dass wir nicht einfach hierbleiben konnen«, fangt Lilly am nachsten Nachmittag erneut an und wirft sich auf das butterweiche Ledersofa, das an ein riesiges Panoramafenster in der glasernen Villa gestellt ist. Die Fensterfront verlauft entlang der gesamten hinteren Halfte und gibt den Blick auf den nierenformigen Pool im Garten frei, der mit einer schneebedeckten Plane versehen ist. Der eiskalte Wind lasst die Fenster knarzen, gegen die Scheiben schlagt ein feiner Eisregen.
»Ich will ja nicht sagen, dass wir es nicht in Betracht ziehen sollten«, entgegnet Josh, der gerade feines Silber aus der Anrichte in die Tasche packt. Der Abend bricht herein, und sie haben mittlerweile genug Proviant, Werkzeuge und Sonstiges, um ein eigenes Haus damit auszurusten. Den Gro?teil ihrer Beute haben sie au?erhalb der sicheren Zone von Woodbury versteckt, in Hutten und Scheunen. Waffen und Werkzeuge sowie Dosen mit Lebensmitteln sind in Bobs Camper, und sie wollen eine der Luxuskarossen zum Laufen bringen.
Josh seufzt, geht zu Lilly und setzt sich neben sie. »Ich kann mir immer noch nicht sicher sein, dass uns hier nichts passieren kann.«
»Was soll denn das? Schau dich doch nur um … Diese Hauser sind wie Festungen gebaut. Die Besitzer haben sie hermetisch abgeriegelt, ehe sie in ihren Privatjets gefluchtet sind. Josh, ich kann nicht eine einzige weitere Nacht in dieser unheimlichen Stadt verbringen.«
Josh wirft ihr einen traurigen Blick zu. »Baby, ich verspreche dir … Eines Tages wird das alles vorbei sein.«
»Ehrlich? Glaubst du das wirklich?«
»Dessen bin ich mir sicher, Kleines. Irgendjemand wird der Sache auf den Grund kommen … herausfinden, was schiefgelaufen ist. So ein Eierkopf im Gesundheitsministerium wird ein Gegenmittel erfinden, damit die Leute in ihren Grabern bleiben.«
Lilly reibt sich die Augen. »Ich wunschte, ich hatte die gleiche Zuversicht.«
Josh legt seine Hand auf die ihre. »Auch das wird vorubergehen, Baby. Es ist genau so, wie Mama immer gesagt hat: ›Das Einzige, worauf du dich in dieser Welt verlassen kannst, ist, dass nichts so bleibt, wie es ist, dass