Er starrt zu Boden, geht weiter und grubelt. »Wie ware es mit einer Entschuldigung? Dass du lange daruber nachgedacht hast, und du vielleicht nur Angst hast, dass du jemandem sehr nahe kommst, weil du nicht willst, dass du ihm wehtust, weil dir schon einmal wehgetan wurde. Und dass du alles zurucknimmst und mich genauso liebst wie ich dich? Wie ware es damit?«

Sie starrt ihn an. Ihr Rachen brennt vor Rauch und dem erlebten Horror. Sie hat einen solchen Durst. Sie ist mude, durstig, verwirrt und hat Angst. »Und woher hast du die Idee, dass mir schon einmal wehgetan wurde?«

»Habe nur geraten.«

Sie lasst den Blick nicht von ihm ab. Jetzt schnurt Wut ihr den Magen zusammen. »Du kennst mich doch nicht einmal.«

Jetzt erwidert er ihren Blick. Seine Augen sind weit aufgerissen, drucken seinen Schmerz aus. »Willst du mich auf den Arm nehmen?«

»Wir sind jetzt seit – was – zwei Monaten zusammen? Wenn uberhaupt. Ein paar Leute, die sich vor Angst in die Hose machen. Niemand kennt niemanden. Wir versuchen alle nur, das Beste daraus zu machen.«

»Du willst mich also auf den Arm nehmen. Nach all dem, was wir durchgemacht haben? Und ich soll dich nicht kennen?«

»Josh, so habe ich das nicht …«

»Du siehst mich also im gleichen Licht wie Bob und den Junkie? Megan und die Typen in der Zeltstadt? Bingham?«

»Josh …«

»Die ganzen Sachen, die du mir diese Woche ins Ohr geflustert hast … Was soll das? Hast du etwa gelogen? Hast du all das nur gesagt, damit ich mich besser fuhle?«

»Ich habe jedes Wort so gemeint«, murmelt sie leise. Die Schuld in ihr macht ihr zu schaffen. Fur einen Moment erinnert sie sich an den grasslichen Moment, als sie Sarah Bingham verloren hat – wie die Untoten sich vor dem gottverlassenen Zirkuszelt uber sie hergemacht haben. Die Hilflosigkeit. Sie war wie gelahmt gewesen, den ganzen Tag lang. Der Verlust, die Trauer, der Gram, so tief wie ein Brunnen. Und Josh hat recht. Lilly hat ihm so manches wahrend ihrer nachtlichen Liebesakte ins Ohr geflustert, das nicht unbedingt der Wahrheit entspricht. Auf irgendeine Art liebt sie ihn, sorgt sich um ihn, besitzt starke Gefuhle fur ihn … Aber sie projiziert etwas Krankes tief aus sich heraus, etwas, das mit Angst verbunden ist.

»Super, einfach super«, meint Josh Lee Hamilton schlie?lich und schuttelt den Kopf.

Sie kommen zur Lucke in der Barrikade. Der Eingang, ein breites Loch zwischen zwei unfertigen Mauerteilen, ist nichts weiter als ein holzernes Tor, das an einer Seite mit etwas Seil gesichert ist. In etwa funfzig Metern Entfernung sitzt eine Wache auf dem Dach eines Bauwagens und starrt in die entgegengesetzte Richtung, das Maschinengewehr an der Hufte.

Josh marschiert zum Tor und zerrt wutend am Seil, ehe er das Tor aufrei?t. Bei dem Gerausch zuckt Lilly zusammen, kriegt Gansehaut vor Panik. »Josh, sei vorsichtig, die werden uns noch horen«, flustert sie.

»Mir doch schei?egal«, entgegnet er und halt ihr das Tor auf. »Ist das denn ein Gefangnis hier? Die konnen uns nicht davon abhalten, rein- und rauszuspazieren, wie und wann wir es fur richtig halten.«

Sie folgt ihm durch das Tor und entlang einer Seitenstra?e Richtung Hauptstra?e.

Zu dieser Zeit ist kaum noch jemand unterwegs. Die meisten Bewohner Woodburys sind jetzt in den eigenen vier Wanden und essen zu Abend oder knallen sich die Birne mit irgendeinem Schnaps voll. Hinter der Rennstrecke ertont das unheimliche Surren der Generatoren. Einige der Flutlichter beginnen zu flimmern. Der Wind pfeift durch die nackten Baume auf dem Marktplatz, fegt die toten Blatter auf dem Burgersteig vor sich her.

»Aber du sollst es genau so kriegen, wie du es haben willst«, meint Josh schlie?lich, als sie rechts in die Hauptstra?e abbiegen und auf ihre Wohnung zusteuern. »Wir sind einfach nur Fickfreunde. Ab und zu poppen, zur Entspannung. Blo? keinen Stress …«

»Josh, das will ich …«

»Dasselbe konntest du dir naturlich mit einer Flasche Schnaps und einem Vibrator besorgen … Aber was soll’s? So ein warmer Korper hat doch auch was, oder?«

»Josh, was soll das? Warum mussen wir uns jetzt so benehmen? Ich will doch nur …«

»Ich will nicht mehr daruber reden«, unterbricht er sie und bei?t die Zahne zusammen. Er meint es ernst.

Als sie zum Lebensmittellager kommen, steht eine Gruppe Manner davor und warmt sich die Hande uber einem Feuer in einer alten Tonne. Sam der Metzger ist unter ihnen, tragt seine mit Blut verdreckte Schurze, daruber einen abgewrackten Mantel. Sein hageres Gesicht zieht sich vor Abneigung zusammen. Er kneift seine diamantblauen Augen zusammen, als er die beiden von Westen her naher kommen sieht.

»Okay, Josh, wie du willst.« Lilly steckt die Hande noch tiefer in die Taschen und stapft neben dem gro?en Mann her. Kopfschuttelnd sagt sie: »Was immer du auch sagst.«

Sie passieren die Gruppe.

»Hey! Green Mile!« Das war Sam der Metzger, die Stimme so kratzig, hart, unnachgiebig wie ein Messer, das auf einem Wetzstein geschliffen wird. »Komm mal kurz her, Gro?er.«

Lilly halt inne, die Haare strauben sich ihr im Nacken.

Josh geht zu ihm. »Ich habe auch einen Namen«, ermahnt er ihn ohne Emotion in der Stimme.

»Oha! Tja, da werde ich wohl auf Knien um Vergebung bitten mussen«, gibt der Metzger zum Besten. »Wie lautet der gleich noch mal? Hamilburg? Hammington?«

»Hamilton.«

Der Metzger lachelt ihn kalt an. »Gut, sehr gut. Mr. Hamilton, Sir. Durfte ich Sie ganz kurz storen, wenn Sie gerade einen Moment Zeit fur mich hatten?«

»Was wollen Sie?«

Das kalte Lacheln des Metzgers verharrt in seinem Gesicht. »Nur so aus Neugier – was haben Sie denn da in Ihrem Rucksack?«

Josh starrt ihn an. »Nichts … Nur dieses und jenes.«

»Dieses und jenes? Wie soll ich mir das vorstellen, dieses und jenes?«

»Nur Sachen, die wir gefunden haben. Nichts, das fur irgendjemanden von Interesse sein konnte.«

»Sie sind sich schon der Tatsache bewusst, dass Sie noch immer Schulden bei mir haben – fur all ›dieses und jenes‹, das ich Ihnen wahrend der letzten Tage uberlassen habe.«

»Von was reden Sie?« Josh starrt ihn weiterhin an. »Ich habe jeden Tag hart dafur gearbeitet.«

»Aber nicht genug, Junge. Das Heizol wachst nicht auf Baumen, nur dass Sie wissen, woher der Wind weht.«

»Sie haben gesagt, vierzig Stunden wurden reichen.«

Der Metzger zuckt die Achseln. »Sie haben mich wohl missverstanden. Soll vorkommen.«

»Wie bitte?«

»Ich habe gesagt, vierzig Stunden plus. Also vierzig Stunden au?er dem, was Sie schon gearbeitet haben. Jetzt verstanden?«

Die beiden starren sich noch eine Weile an, und jegliche Unterhaltung bei der Tonne verstummt. Samtliche Augen haben sich jetzt auf die beiden Manner gerichtet. Lilly kriegt eine Gansehaut, als sie bemerkt, wie Joshs Schulterblatter sich unter seiner Holzfallerjacke anspannen.

Endlich zuckt Josh mit den Achseln. »Dann arbeite ich noch etwas mehr.«

Sam der Metzger neigt sein hageres, markantes Gesicht in Richtung Tasche. »Und ich danke Ihnen sehr, dass Sie uns ›dieses und jenes‹ fur die Sache spenden.«

Der Metzger streckt die Hand nach dem Rucksack aus.

Der aber dreht sich zur Seite, au?er Reichweite des anderen Manns.

Die Stimmung kippt abrupt, als ob jemand einen Schalter umgelegt hatte. Die anderen Manner, hauptsachlich alteren Baujahrs mit ausgelaugten Augen und grauen Strahnen im Gesicht, ziehen sich langsam zuruck. Die Spannung steigt. Die Stille heizt die Lage nur noch mehr an, kochende Wut brodelt unter der vermeintlichen Ruhe. Man kann lediglich das vereinzelte Prasseln der Flammen im Wind horen.

»Josh, ist gut …« Das kommt von Lilly. Sie steht jetzt neben Josh und versucht, die Situation zu entscharfen, legt eine Hand auf den Rucksack. »Wir brauchen doch nicht …«

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