senkt dann den Kopf zu Boden.
»ICH GLAUBE, WIR HABEN EINEN SIEGER!«
Die Stimme schallt durch das Stadion, wird von schrillem Feedback und elektronischem Knacken begleitet. Bob schaut zum Governor hoch, der sich jetzt hingesetzt hat und in ein Mikrofon spricht. Selbst aus dieser gro?en Entfernung kann Bob die bosartige Befriedigung des Mannes sehen, die in dessen Augen leuchtet. Bob wendet sich wieder ab.
»ABER NEIN! FREUEN WIR UNS NICHT ZU FRUH! MEINE DAMEN UND HERREN, ICH GLAUBE, WIR ERLEBEN GERADE EIN COMEBACK!«
Bob hebt erneut den Kopf.
In der Mitte hat sich der gro?e, teigige Mann, der gerade noch leblos auf dem Boden lag, wieder erhoben. Er torkelt zur Machete, ergreift sie mit seiner blutigen Hand und wackelt unstet auf den Metzger zu, der ihm den Rucken zugedreht hat. Stinson sturzt sich mit jedem ihm verbleibenden Quantchen Kraft auf seinen Kontrahenten. Der Metzger dreht sich um und versucht, sein Gesicht zu schutzen, als die Machete auf ihn zuschnellt.
Die Klinge bohrt sich tief in den Hals – so tief, dass sie stecken bleibt.
Der Metzger kommt ins Wanken, fallt auf den Rucken. Die Machete steckt noch immer in seinem Hals. Stinson wirft sich voller Wut auf ihn, der Blutverlust lasst ihn wie betrunken durch die Gegend taumeln, beinahe so wie ein Zombie. Die Menge grolt vor Aufregung. Stinson zieht die Machete aus Sams Hals, um erneut auszuholen, diesmal gezielt und mit aller Kraft, und die Wucht seines Hiebs durchtrennt den Hals zwischen dem funften und sechsten Halswirbel. Oder sonst wo, egal.
Das Publikum kann kaum noch an sich halten, als der herrenlose Kopf des Metzgers uber den Rasen rollt.
Bob wendet sich ab. Er fallt auf die Knie, halt sich mit einer Hand am Zaun fest. Sein Magen verkrampft sich, und er ubergibt sich auf dem Betonboden. Die Flasche gleitet ihm aus den Handen, zerbricht aber nicht. Bob kotzt seinen gesamten Mageninhalt aus. Er wurgt und wurgt, und immer wieder kommt etwas aus seinem Mund. Der Larm der Menschenmenge tritt in den Hintergrund. Er kann nichts mehr erkennen vor lauter Tranen in den Augen. Er kotzt und kotzt, bis nur noch Gallensaft ubrig bleibt, der ihm in langen Faden aus dem Mund hangt. Er fallt mit dem Rucken zuerst gegen eine Bande, tastet nach der Flasche, findet sie und leert den Rest des Inhalts.
Dann ertont erneut die Stimme: »UND DAS, LEUTE, IST, WAS WIR GERECHTIGKEIT NENNEN!«
In diesem Augenblick sind die Stra?en von Woodbury wie ausgestorben. Man konnte denken, dass man in einem x-beliebigen Kaff irgendwo in Georgia gelandet ist. Als ob die Plage hier ebenfalls alles Leben ausgerottet hatte.
Auf den ersten Blick scheint jeder einzelne Bewohner wie vom Erdboden verschluckt zu sein. Aber das ist nicht der Fall – sie sind noch alle in der Arena, in den Bann des Kampfes gezogen. Selbst der Burgersteig vor dem Lebensmittellager ist bereits wieder aufgeraumt. Samtliche Anzeichen des Mordes wurden von Stevens und seinen Leuten beseitigt, und Josh liegt ja langst in der Leichenhalle.
Lilly Caul spaziert in der Dunkelheit umher, hort die von dem Wind an ihre Ohren getragenen Schreie der Menschen. Sie tragt ihr Fleece, die kaputten Jeans und ihre abgewetzten Basketballschuhe. Sie kann nicht schlafen, kann nicht denken, kann nicht mit dem Weinen aufhoren. Sie kriegt eine Gansehaut von dem Larm aus der Arena, als ob Scharen von Insekten ihr uber den Korper krabbeln. Das Schlafmittel, das Bob ihr gespritzt hat, scheint nicht zu wirken, dient lediglich dazu, den Schmerz zu dampfen. Es kommt ihr beinahe so vor, als ob ihre Gedanken in Verbandsmull eingewickelt sind. Sie zittert vor Kalte und halt vor der mit Brettern verschlagenen Drogerie inne.
»Es geht mich ja nichts an«, ertont eine Stimme aus den Schatten. »Aber eine junge Frau wie Sie sollte um diese Zeit nicht allein durch die Stra?en wandern.«
Lilly dreht sich um, sieht den Schimmer einer metallenen Brille. Sie seufzt, wischt sich die Augen und blickt zu Boden. »Das ist mir jetzt auch egal.«
Dr. Stevens tritt in das flackernde Fackellicht, die Hande in den Taschen seines Arztkittels, der bis zum Kragen zugeknopft und von einem Schal gekront ist. »Wie geht es Ihnen, Lilly?«
Sie blickt ihn durch Tranen an. »Wie es mir geht? Na, wunderbar.«
Sie versucht zu atmen, aber es ist, als ob ihre Lungen voller Sand sind. »Nachste dumme Frage.«
»Sie sollten sich ausruhen.« Er geht zu ihr, untersucht ihre Verletzungen. »Sie stehen noch immer unter Schock, Lilly. Sie mussen schlafen.«
Sie bringt ein mudes Lacheln zustande. »Ich werde schon genug schlafen, wenn ich tot bin.« Sie zuckt zusammen, starrt erneut zu Boden. Die Tranen brennen in ihren Augen. »Das Merkwurdigste ist, dass ich ihn kaum gekannt habe.«
»Er scheint ein guter Mann gewesen zu sein.«
Sie schaut ihn an. »Aber, ist so etwas denn uberhaupt noch moglich?«
»Was denn?«
»Gut zu sein.«
Der Arzt seufzt: »Wahrscheinlich nicht.«
Lilly schluckt und konzentriert sich wieder auf den Boden zu ihren Fu?en. »Ich muss hier weg.« Sie spurt, wie sich das Schluchzen erneut in ihr aufbaut. »Ich werde damit einfach nicht mehr fertig.«
»Willkommen im Club.«
Eine unbehagliche Stille.
Lilly reibt sich die Augen, fragt dann: »Wie schaffen Sie es denn?«
»Wie schaffe ich was?«
»Hierzubleiben … Diese ganze Misere uber sich ergehen zu lassen. Sie machen den Eindruck, als ob Sie noch einigerma?en normal sind.«
Der Arzt zuckt die Schultern. »Manchmal trugt der Schein. Aber wie auch immer … Ich bleibe aus dem gleichen Grund wie die anderen auch.«
»Und der soll sein?«
»Angst.«
Lilly zahlt die Pflastersteine, sagt kein Wort. Was gibt es auch zu sagen? Die Fackeln von der anderen Stra?enseite nahern sich dem Ende, die Dochte sind aufgebraucht. Die Schatten vertiefen sich zwischen den Gebauden. Lilly kampft gegen einen Schwindelanfall an, der droht, sie aus dem Gleichgewicht zu bringen. Sie will nie wieder schlafen, nie wieder.
»Es wird nicht mehr lange dauern, bis sie kommen«, gibt der Arzt zu bedenken und nickt in Richtung Arena. »Sobald sie genug von der kleinen Horrorshow haben, die Blake fur sie aufgetischt hat.«
Lilly schuttelt mit dem Kopf. »Das hier ist ein Irrenhaus, und der Typ, dieser Governor, ist der Krankeste von allen.«
»Ich mache Ihnen einen Vorschlag, Lilly«, fahrt Stevens fort und deutet in die andere Richtung. »Warum machen wir nicht einen kleinen Spaziergang … Weg von der Menschenmenge.«
Sie atmet gequalt aus, zuckt dann die Achseln und murmelt: »Wie auch immer …«
In jener Nacht laufen Dr. Stevens und Lilly uber eine Stunde lang durch die kalte, erfrischende Luft, gehen mehrmals an der Barrikade im Osten der Stadt entlang, ehe sie den stillgelegten Schienen folgen, aber nur innerhalb der Sicherheitszone. Wahrend sie spazieren und sich unterhalten, verliert sich die Meute, verschwindet in ihren Hausern und Wohnungen, die Blutlust ist vorerst gestillt. Der Arzt ist es, der die meiste Zeit erzahlt in jener Nacht, stets mit gedampfter Stimme, denn die Wachen mit ihren Maschinengewehren, Fernglasern und Handsprechfunkgeraten sind uberall entlang der Barrikade an strategischen Orten positioniert.
Sie halten standigen Kontakt mit Martinez, der seine Manner extra darauf hingewiesen hat, insbesondere bei den Schwachstellen der Mauer und vor allem im Suden und im Westen Vorsicht walten zu lassen. Martinez macht sich Sorgen, dass der Larm der Spiele mit den Gladiatoren die Zombies anlocken konnte.
Auf ihrem Spaziergang belehrt Stevens Lilly uber die Gefahr, sich mit dem Governor anzulegen. Steven gibt ihr zu verstehen, dass sie ihr Mundwerk unter Kontrolle halten muss, und er benutzt Redewendungen und Analogien, die Lilly ganz schwindlig werden lassen – von Kaiser Augustus uber diverse Beduinenherrscher aller Jahrhunderte und daruber, wie die widrigen Umstande in einer Wuste stets brutale Regime, Coups und blutige Aufstande hervorgebracht haben.
Schlie?lich kommt Stevens auf die grasslichen Tatsachen der Zombie-Plage zu sprechen und gibt zu bedenken, dass blutrunstige Anfuhrer wohl ein notwendiges Ubel in diesen Zeiten und somit uberlebenswichtig