Einige glauben, dass sich die Untoten wie Bienen in einem Bienenstock verhalten und von etwas viel Komplexerem als blo?em Hunger angetrieben werden. Es gibt Theorien, die behaupten, dass sie sogar von unsichtbaren, pheromonahnlichen Signalen gesteuert werden und ihr Verhalten der chemischen Substanz ihrer Beute anpassen. Andere wiederum sind der Meinung, dass es nichts mit blo?en Sinnesorganen wie den Augen oder der Nase zu tun hat, sondern dass es viel tiefer geht und sie ihr Verlangen uberhaupt nicht steuern konnen. Keine einzelne Mutma?ung hat sich bisher als besser als die anderen erwiesen, aber die meisten Bewohner Woodburys sind sich einer Sache sicher, was das Verhalten der Untoten angeht: Man sollte vor jeder Herde – ganz gleich wie gro? – Angst haben und muss sie mit der gro?tmoglichen Vorsicht behandeln. Sie versammeln sich wie aus dem Nichts und haben fatale Auswirkungen. Eine Herde, selbst eine kleine, wie die paar Zombies, die sich jetzt etwas nordlich von Woodbury versammeln und von dem Geschrei und Getose gestern Abend in der Arena angelockt wurden, kann einen Truck umwerfen, Zaunpfosten wie Streichholzer zerknicken oder selbst die hochsten Mauern zum Einsturz bringen.
Die letzten vierundzwanzig Stunden hat Martinez damit verbracht, seine Truppen zusammenzutrommeln und sich auf den bevorstehenden Angriff vorzubereiten. Wachen auf den nordostlichen und -westlichen Wachturmen haben die Zombies keine Minute aus den Augen gelassen, die sich erst circa eineinhalb Kilometer vor Woodbury zu einer Herde zusammengefugt haben. Weiterhin haben sie berichtet, dass aus den anfangs noch circa zehn Zombies mittlerweile funfzig geworden sind, und dass sie im Zickzack durch die Baume entlang der Jones Mill Road taumeln und dabei etwa zweihundert Meter die Stunde zurucklegen. Und es werden immer mehr. Sie konnten auch beobachten, dass eine Herde immer langsamer als ein einzelner Untoter ist. Diese Herde hier hat funfzehn Stunden gebraucht, um sich bis auf vierhundert Meter zu nahern.
Jetzt stolpern die Ersten aus dem Wald hervor, trauen sich auf die brach daliegenden Felder, die den Wald von Woodbury trennen. Im diesigen Licht der Abenddammerung gleichen sie kaputten Puppen, erinnern an mechanische Spielsoldaten zum Aufziehen, die standig ubereinanderpurzeln. Ihre schwarzen Mauler offnen und schlie?en sich wie Augenlider. Selbst aus dieser Entfernung wird das entfernte Mondlicht von ihren milchig-wei?en Augen geisterhaft reflektiert.
Martinez hat dank des geplunderten National-Guard-Lagers drei Browning .50-Kaliber-Maschinengewehre zu seiner Verfugung, die er an strategisch gunstigen Punkten entlang der Barrikade aufgestellt hat. Eine befindet sich auf der Motorhaube eines Baggers am westlichen Ende, die andere auf einer hydraulischen Arbeitsbuhne im Osten. Die dritte wartet auf dem Dach eines Sattelschleppers neben der Baustelle auf die Zombies. Alle drei Maschinengewehre sind bemannt mit Schutzen und verbunden uber Sprechfunk.
Schier unendlich lange, glitzernde Patronengurte mit Munition, die Stahl durchschlagen konnte, hangen von jeder Waffe weg. Daneben stehen Stahlboxen mit weiteren Munitionsvorraten.
Weitere Wachen haben sich bereits entlang der Mauer aufgestellt – auf Leitern und in Bulldozerschaufeln. Ausgerustet mit MGs oder Scharfschutzengewehren Kaliber 7.62, die Metallbleche oder Trockenbauplatten durchschlagen wie Butter. Diese Manner haben keine Headsets, achten aber auf jedes Handzeichen von Martinez, der auf einem Kran in der Mitte des Parkplatzes mit einer Sprechfunkanlage sitzt. Zwei riesige Buhnenlampen, fruher mal im ortlichen Theater, sind an den Generator angeschlossen, der im Schatten der Ladebuhnen der Post vor sich hin rattert.
Eine Stimme ertont in Martinez’ Ohr. »Martinez, bitte melden.«
Martinez druckt auf den Knopf. »Alles klar, Chef. Wir sind bereit.«
»Bob und ich sind jetzt auf dem Weg zu euch, wollen noch ein wenig Frischfleisch abholen.«
Martinez runzelt seine mit einem Kopftuch bedeckte Stirn. »Frischfleisch?«
Der Governor ignoriert die Nachfrage. »Wie lange haben wir, ehe der Spa? beginnt?«
Martinez wirft einen Blick zum Horizont. Die Zombies sind noch knappe dreihundert Meter entfernt. Er druckt erneut auf den Sprechknopf. »Wird wohl noch eine Stunde oder so dauern, bis sie nahe genug sind, um ihnen die Kopfe wegzuballern. Vielleicht ein bisschen weniger.«
»Gut«, antwortet die Stimme. »Wir sind in funf Minuten da.«
Bob folgt dem Governor die Hauptstra?e entlang in Richtung der Wagenburg, die in einem Kreis vor dem ausgeplunderten Menards Hobby & Garten Center steht. Der Governor geht schnellen Schrittes durch die eisige Winterluft. Er scheint richtiggehend beflugelt. »In Zeiten wie diesen«, meint der Governor zu Bob, »mit dem ganzen Schei?, der abgeht, kann man beinahe denken, man ware zuruck in Afghanistan. Meinst du nicht, Bob?«
»Da hast du recht. Ich muss zugeben, dass es mir manchmal beinahe so vorkommt. Ich kann mich noch erinnern, als ich zur Front fahren musste. Ich sollte ein paar Marines abholen, die gerade von der Wachablosung kamen. Es war mitten in der Nacht, kalt genug, dass einem ums Schamhaar die Eier abgefroren sind. Genau wie jetzt. Plotzlich heulten die Sirenen auf, Luftangriff. Alle sprangen aus ihren Lochern hervor, bereit zu kampfen. Habe den Jeep in einen verfickten Graben gefahren. Dachte schon, ich ware in Sicherheit, aber was finde ich? Afghanische Huren, die unseren Soldaten gerade die Schwanze blasen!«
»Mach keinen Schei?!«
»So wahr ich hier stehe.« Bob schuttelt missmutig den Kopf, wahrend er neben dem Governor herstapft. »Mitten wahrend eines Luftangriffs. Also sage ich ihnen, dass sie es sein lassen und lieber mit mir mitfahren sollen, sonst lasse ich sie zuruck. Eine der Huren steigt mit ein, und ich kann es kaum glauben. Ich meine, was soll das? Aber egal, ich wollte einfach nur weg.«
»Durchaus verstandlich.«
»Ich fahre los, und die beiden treiben es noch immer auf der Ruckbank. Aber du wirst nie raten, was dann passiert ist.«
»Spann mich nicht auf die Folter, Bob«, entgegnet der Governor und grinst ihn an.
»Plotzlich hore ich einen enormen Knall von hinten. Erst dann fallt der Groschen … Die Schlampe war eine Rebellin und hat sich selbst in die Luft gesprengt.« Bob schuttelt erneut den Kopf. »Gott sei Dank hatte ich eine gepanzerte Wand hinter mir, sonst ware ich jetzt nicht mehr hier. Der Jeep sah vielleicht aus … Einer unserer Jungs hat ein Bein verloren.«
»Unglaublich!« Der Governor staunt, als sie zum Kreis der Sattelschlepper kommen. Mittlerweile ist es stockduster, und der Governor richtet den Schein seiner Taschenlampe auf eine LKW-Plane von einer Fleischfirma – ein Schwein schielt sie glucklich durch die Dunkelheit an. »Warte mal eine Sekunde, Bob.« Der Governor schlagt mit den Fausten gegen die Plane. »Travis? Du da? Hey! Ist irgendjemand zu Hause?«
Plotzlich offnet sich ein Spalt in der hinteren Klappe, und eine Wolke Zigarrenrauch entweicht in die frische Luft. Ein dicklicher schwarzer Mann steckt den Kopf hinaus. »Hey, Boss … Was gibt es?«
»Fahr einen leeren LKW zur nordlichen Mauer, und zwar sofort. Wir treffen uns da, und ich sag dir, was es sonst noch zu tun gibt. Verstanden?«
»Klar doch, Boss.«
Der schwarze Mann hupft aus dem Anhanger und verschwindet hinter dem Truck. Der Governor holt tief Luft und fuhrt Bob dann um den Kreis Sattelschlepper in eine Seitenstra?e, die gen Norden zur Barrikade fuhrt. »Schon ganz schon verruckt, was ein Mann nicht alles fur ein bisschen Sex tut«, wundert sich der Governor.
»Kann man wohl sagen!«
»Diese beiden Madchen, die bei dir waren, als du gekommen bist, Bob. Wie hei?en sie? Lilly und …?«
»Megan?«
»Genau, die. Die Kleine lasst es ganz schon krachen, was? Die ist hei?. Hab ich recht?«
Bob wischt sich den Mund. »Jep, ist eine ganz Su?e.«
»Und flirtet, was das Zeug halt … Aber was soll’s? Ich will sie nicht verurteilen.« Ein laszives Grinsen macht sich in seinem Gesicht breit. »Wir alle tun, was wir tun mussen, um zu uberleben. Hab ich nicht recht, Bob?«
»Schon.« Bob sagt eine Weile lang nichts, fahrt dann aber fort: »Nur zwischen uns beiden … die Kleine gefallt mir.«
Der Governor blickt den alten Mann mit einer Mischung aus Uberraschung und Mitleid an. »Diese Megan? Na und, Bob? Deswegen muss man sich doch nicht schamen.«
Bob blickt zu Boden. »Wurde so gerne eine Nacht mit ihr verbringen, nur eine Nacht.« Dann noch einmal, leiser: »Nur eine Nacht.« Dann wendet er sich an den Governor. »Aber was zum Teufel, ich wei?, dass es fur immer ein Traum bleiben wird.«
Philip neigt den Kopf, schaut dem alten Mann in die Augen. »Vielleicht aber auch nicht, Bob … Vielleicht aber auch nicht.«
Ehe Bob antworten kann, ertont eine Reihe lauter Schusse. Die gewaltigen Lichtkegel der Buhnenlampen