Frankfurt. Joe Williams blatterte zwanzigtausend Dollar auf den Tisch, aber Captain Hugh Fortner blieb verschlossen.

«Joe, ich mache keine krummen Dinger«, sagte er.

«Das ist kein krummes Ding. Das ist mein Privateigentum.«»Und warum soll das heimlich weggebracht werden?«

«Wegen des Zolls, Hugh. «Joe tippte auf die Dollarscheine.»Auch das ist steuerfrei. Und in meinen Sexladen hast du auf Lebenszeit freien Eintritt und kannst dir umsonst jedes Madchen aussuchen. Freies Schie?en, Junge.«

Fortner uberlegte. Er war ein paarmal in Joes Bar und Stundenhotel gewesen, sie kannten sich gut, Joe hatte die schonsten Weiber von Frankfurt im Stall, das wu?te jeder, und zwanzigtausend Dollar in bar waren kein Regentropfen auf der Hand. Einmal in der Woche flog er die Atlas nach Genua, um im Hafen Nachschub abzuholen oder irgendwelche Dinge auf ein amerikanisches Schiff zu bringen. Die US-Transporte der Army oder Air Force hatten freie Durchfahrt, keiner kontrollierte sie, die Hafenwache kannte sie, und zwanzig Kisten waren uberhaupt kein Problem.

«Es ist kein schiefes Ding?«fragte Fortner noch einmal.

«Ich verspreche es dir, Hugh«, sagte Joe feierlich.»Ich mu? die Kisten nur zur Basis bringen — das ist es.«

«Da helfe ich dir. Ich schicke dir einen Truck.«

«Zwei, Hugh. Es sind gro?e Kisten. Zwei schwere Trucks.«»Okay, Wann?«

«Einen Tag, bevor du fliegst. Sie liegen in Alsfeld.«

Alles lief daraufhin reibungslos nach Plan. Zwei riesige Trucks der US-Air-Force holten die Kisten ab, brachten sie zur AirBasis, und dort wurden sie in Fortners Atlas-Maschine geladen. Sie bekamen die Bezeichnung» Umzugsgut«- was noch nicht einmal gelogen war —, nachdem Joe die Aufschriften» Wasserbaubehorde Konigsberg«ubermalt hatte, und am selben Tag, an dem Fortner nach Genua flog, waren auch Larry und Joe unterwegs nach Italien.

Fur den Puffbetrieb hatten sie vorlaufig einen Geschaftsfuhrer eingestellt, einen Jugoslawen mit guten Kenntnissen der Frankfurter Szene, und Joe hatte ganz klar zu ihm gesagt:

«Wir werden bestimmt ein halbes Jahr wegbleiben. Und nun hor genau zu, Jugo-Boy: Wenn die Abrechnungen nicht stimmen, wenn du denkst, du konntest uns aufs Kreuz legen, wenn hier durch deine Schuld irgend etwas schieflauft, kann deine Mami einen Kranz schicken! Verstehst du das?«

«Du sprichst deutlich genug«, antwortete der Jugoslawe und nickte.»Ich werd doch dein Vertrauen nicht ausnutzen.«

«Das sagen alle. Boy, pa? blo? auf!«

Nun dumpelte die Lukretia im Brackwasser des Genueser Hafens und sollte am nachsten Tag auslaufen. Man hatte die zwanzig Kisten geschickt unter die anderen Kisten mit Ersatzteilen und den Landmaschinen verteilt. Zum dritten Mal waren sie umbenannt worden. Jetzt hie? es:»Motoren und Ersatzteile«. Funfundzwanzigtausend Dollar steckten in der Tasche des griechischen Kapitans, noch einmal die gleiche Summe bekam er, wenn die Kisten in Mexiko an Land waren.

«Das gro?e Werk ist gelungen!«sagte Joe Williams am Abend zu Larry Brooks. Es klang wie der Beginn einer Ansprache.»Das Bernsteinzimmer ist weg aus Deutschland… jetzt wird es keiner mehr finden, und wenn sie hundert Jahre suchen. Es gibt keine Spuren mehr. «Er sah Brooks mit strahlendem Gesicht an.»Wenn du nur nicht ein so weiches Gemut hattest, Larry-Boy.«

Am nachsten Tag dampfte die Lukretia von Genua ab, hinaus ins Mittelmeer. Es war ein na?kalter, nebeliger Novembertag. Am gleichen Nachmittag flog Joe Williams von Genua nach Rom und von Rom weiter nach Mexiko.

Erst drei Tage spater entdeckte ein Hafenboot einen im Wasser treibenden Gegenstand, kam naher und zog ihn heraus. Es war ein Mensch mit einem kleinen Loch in der Stirn. Ein unbekannter Toter. Ein Mord, den man nie klaren wurde. Und als ein Unbekannter wurde Larry Brooks dann auch in Genua begraben.

Der dritte Tote des Bernsteinzimmers.

Joe

Es war alles so geworden, wie General Walker es vor Jahren vorausgesehen hatte: Bei seiner Ruckkehr nach Deutschland war aus dem US-Major Fred Silverman wieder Friedrich Silbermann geworden, der emigrierte Jude, der hoffte, in ein besseres, gelautertes Deutschland zu kommen. Die Dollars, die er mitbrachte, reichten aus, um uber Jahre hinweg ein unabhangiges Leben zu fuhren. Trotzdem bewarb er sich mit einem Empfehlungsschreiben an der Universitat von Wurzburg als Kunsthistoriker, und der Senat nahm ihn nach langer Beratung als Privatdozent in die Alma mater auf.

Er hatte nur wenige Studenten, aber umso mehr Zeit, die Spur des Bernsteinzimmers wieder aufzunehmen. Vierzehn Jahre lagen nun schon zwischen dem Verschwinden der drei Trucks auf dem Weg nach Frankfurt, und genauso lange waren alle Kunstexperten der Meinung, da? das Bernsteinzimmer fur immer verschollen sei. Alle bisherigen Hinweise und Spuren, die von Kunstliebhabern, Museumsdirektoren, staatlichen Kommissionen und den Geheimdiensten verschiedener Lander, vor allem aber der Amerikaner und Russen, verfolgt wurden, liefen ins Nichts. Immer wieder stie? man auf eine Mauer des Unwissens und den immer wiederkehrenden, altbekannten Spruch:»Ob die Kisten das Bernsteinzimmer enthielten, wei? keiner. Sicher ist nur, da? gro?e Kisten im Januar 1943 ankamen und im April wieder weggeschafft wurden.«

Es lagen Berichte aus vierunddrei?ig verschiedenen Stellen und Lagerstatten vor: Bergwerke, Schlosser, Burgen, unterirdische Bunker, Hohlen, sogar zwei Kloster waren dabei, aber sie waren nur eine Zwischenstation der unubersehbar verschlungenen Wege, welche die Kisten genommen hatten. Selbst die Schweiz wurde nicht mit Aifragen verschont, und die Regierung protestierte heftig. In Osterreich forschte man besonders intensiv, nachdem man in Alt-Aussee eines der gro?ten Nazidepots fur geraubte Kunst entdeckt hatte. Es war nicht so spektakular wie Grasleben oder Merkers, aber man vermutete, da? gerade in Osterreich noch viele Kunstschatze versteckt waren, die unter den» Fuhrervorbehalt «fielen… fur das gro?te Museum der Welt in Linz an der Donau. Hitlers verheerender Traum.

Silbermann staunte oft uber die Phantasie der Sucher und ihre Euphorie, wenn sie eine vermeintliche Spur zu finden glaubten. Sein Wissen nutzte ihm wenig, im Gegenteil, es machte ihn hochgradig verdachtig.

Ein Besuch im Hauptquartier von Frankfurt hatte ihn warnen mussen.

Die Zentrale Kunstsammelstelle der amerikanischen Streitkrafte war langst aufgelost worden. In den verschiedenen Dienststellen, die Silbermann aufsuchte, starrte man ihn verstandnislos an, hohere Offiziere erinnerten sich an gar nichts und bekamen nur einen lauernden Blick. Schlie?lich landete Silbermann dort, wo zu landen er schon immer vermutet hatte: beim amerikanischen Geheimdienst CIC.

Die ehemaligen Kollegen waren zu Silbermann freundlich, aber bei gezielten Fragen von einer geradezu kindlichen Unwissenheit. Vom Bernsteinzimmer hatten sie uberhaupt nur wenig gehort, nur, was in den Zeitungen stand. Im Archiv nach den Listen der gefundenen Kunstschatze nachzusehen erwies sich als sehr muhselig, ganze Aktenstucke waren verschwunden, und ein Colonel des CIC sagte zu Silbermann sogar:»Lieber Freund, warum beschaftigen Sie sich mit solchen Dingen? Das bringt doch nur Arger. Von mir aus konnen sie das Bernsteinzimmer auf den Mond schie?en, ich weine ihm keine Trane nach.«

Nach sechs Wochen, in denen er sich durch die Akten des Geheimdienstes gewuhlt hatte, stie? Silbermann auf die Kopie der Liste von Merkers. Welch ein Erfolg! Hier war endlich der Beweis, da? das Bernsteinzimmer in der Zeche Kaiseroda II/III gelagert gewesen war.

Aber schon nach einem Uberfliegen der Listenkopien lie? Silbermann die Blatter sinken und rieb sich die Augen.»Das ist doch nicht moglich«, sagte er betroffen.»Das ist doch meine Liste, von mir unterschrieben. So etwas gibt es doch nicht.«

Es war eine vollstandige Liste, die nur einen Schonheitsfehler hatte: Die zwanzig Kisten mit dem Bernsteinzimmer waren nicht enthalten. Die Zeilen waren geloscht und mit anderen Beschreibungen von Kunstwerken wieder gefullt worden.

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