«Sind Sie sich sicher?«fragte der Colonel, als Silbermann ihm die Falschung zeigte.»Wissen Sie, da? sie den CIC verdachtigen? Sie, ein US-Major und Diplomat?! Haben Sie irgendeinen Beweis fur ihre Anklage?!«

«Die Originallisten, Sir.«

«Das sind die Originallisten! Andere gibt es nicht!«

«Meine Liste!«

«Es ist Ihre. Ihre Unterschrift steht ja darunter.«

«Die Liste ist manipuliert worden!«

«Eine ungeheure Behauptung, Mr. Silbermann! Das mussen Sie beweisen!«

«Ich werde nach den Beweisen suchen, Sir. Ich habe einen unbestechlichen Zeugen: Prasident Eisenhower! Er war damals 1945 zusammen mit General Patton und General Bradley im Bergwerk Merkers, und ich habe ihm vom Bernsteinzimmer berichtet und eine Kiste offnen lassen. Er hat es gesehen und erschuttert >Jesus!< ausgerufen.«

«Sie wollen den Prasidenten als Zeugen benennen?«Der Colonel erstarrte geradezu.»Sie bringen wirklich die Frechheit auf, den Prasidenten der Vereinigten Staaten als Zeugen fur einen angeblichen Kunstraub aufzurufen. Mr. Silbermann, ich beginne mich zu schamen, da? so jemand wie Sie einmal US-Offizier gewesen ist. Und dann auch noch beim OSS!«

«Die Wahrheit hangt nicht von Personen und Positionen ab, Sir!«

«Die Wahrheit ist, da? Sie ein ubler Nestbeschmutzer sind!«Das Gesicht des Colonel wurde rot.»Die Wahrheit ist, da? Sie nie Amerikaner geworden sind, sondern immer der deutsche Jude geblieben sind. Und die letzte Wahrheit ist, da? Manner wie Sie zum Kotzen sind… fur mich! Danke!«

Silbermann wunderte sich nicht uber diese Reaktion des CIC. Was nach 1945»wiedergefunden «und» dem rechtma?igen Besitzer ubergeben worden ist«, war nur ein Bruchteil dessen, was die Nazis ausgelagert hatten. Wo die Mehrzahl der

Kunstwerke geblieben war, blieb ein Ratsel, wurde mit einem Achselzucken beantwortet oder mit der lapidaren Antwort: Na ja, es war eben Krieg. Was da nicht alles verschwindet…

Vier Wochen spater fand ein Motorradfahrer auf einer Landstra?e zwischen Munchen und dem Ammersee, am Stra?enrand verkrummt liegend, einen blutenden Mann und benachrichtigte die Polizei. Ein Rettungswagen brachte den Schwerverletzten in das nachste Krankenhaus, man zog ihn aus und stellte fest, da? er sechs Messerstiche in den Unterleib bekommen hatte. Die Kriminalpolizei ubernahm sofort den Fall, aber der Niedergestochene war nicht vernehmungsfahig. Wie durch ein Wunder uberlebte er und sagte am vierten Tag nach seiner Einlieferung aus:»Ich hei?e Friedrich Silbermann. Ich bin noch amerikanischer Staatsburger, wohnhaft in Wurzburg. Die Verletzungen habe ich mir selbst beigebracht, ich wollte Selbstmord begehen. Das ist alles, was ich sagen kann… und sagen will.«

Was hatte Silbermann auch erzahlen sollen? Da? man im Flur seines Hauses plotzlich einen Sack uber ihn geworfen und ihn weggeschleppt hatte in ein Auto. Da? das Auto nach Stunden irgendwo hielt, da? man ihn herauszerrte, gegen einen Baum lehnte und eine Stimme sagte:»Heute ist es nur eine Warnung, aber sie soll wirksam sein. Du wei?t, wovor wir dich warnen, Fred Silverman. «Und dann hatte man sechsmal zugestochen, ihn zu Boden fallen lassen, den Sack vom Kopf gezogen und war ohne Scheinwerfer abgefahren. Er konnte weder die Autonummer noch die Automarke oder Farbe e-kennen.

Es sind Profis, hatte Silbermann noch gedacht. Dann war er bewu?tlos geworden.

Sollte er das erzahlen? Ein Protokoll wurde es geben, das bald in einem Aktenschrank verstaubte. Ein ungeklarter Uberfall mehr; ein unerklarbarer dazu.

Vier Wochen blieb Silbermann im Krankenhaus, dann wurde er entlassen.

Als er aus dem Gebaude kam und in das bestellte Taxi stieg, hatte er das Gefuhl im Nacken, da? er beobachtet wurde. Er kannte dieses Gespur von fruher, aber er sah keinen Wagen, der ihnen folgte Es waren eben Profis -

Es stellte sich heraus, da? Wassilissa Iwanowna Jablonskaja nicht nur uber beste Beziehungen in Moskau und Leningrad verfugte, sondern auch vom sowjetischen Kultusministerium und sogar vom KGB mit weitreichenden Vollmachten ausgestattet war, die es ihr erlaubten, jede sowjetische Dienststelle, sei sie zivil oder militarisch, um volle Unterstutzung zu bitten. Das zeigte sich deutlich bei den Kreuz- und Querfahrten, die sie mit Michael Wachter begonnen hatte. Vorher gab es noch eine erregte Diskussion, denn Nikolaj wollte seinen siebzigjahrigen Vater nicht allein auf die anstrengenden Reisen schicken, und selbst Jana Petrowna uberlegte ernsthaft, ob sie nicht ihr Vaterchen begleiten sollte. Die Kinder waren schon selbstandig genug, um unter Aufsicht eines im Ruhestand lebenden Lehrers aus Puschkin eine Zeitlang allein gelassen zu werden. Peter war neun, Janina sieben Jahre alt, es waren kluge und vernunftige Kinder, die schon jetzt in ihrer Jugend von der Schonheit ihrer Mutter zeugten. Die Jablonskaja hatte es einmal ausgesprochen, was Gro?vater Michael im stillen schon gedacht hatte, voller Stolz, wie Gro?vater nun mal sind:»Peter und Janina hatten fruher Modelle fur Raffael und Tiepolo abgegeben.«

Nun also wollten Nikolaj und Jana den alten Wachter begleiten und uberfielen ihn drei Tage vor der geplanten Abreise aus Puschkin mit der Eroffnung:»Vaterchen, alles ist geregelt. Nikolaj ist beurlaubt, die Kinderchen bleiben unter Aufsicht von Arkadij Trofimowitsch, dem alten Lehrer, im Schlo? — alles ist gut.«

«Nichts ist gut!«hatte Wachter argerlich gerufen.»Was, frage ich, soll da gut sein? Da? ein Wachter seinen Posten als Betreuer des Bernsteinzimmers verla?t? Da? eine Mutter ihre Kinder in Pflege gibt?! Das ist gut?!«

«Soll ich einen leeren Saal bewachen, Vater?«rief Nikolaj zuruck.

«Ware das Zimmer da — ich ruhrte mich nicht von der Stelle. Das wei?t du! Unmoglich aber ist's, dich allein auf die Suche zu schicken.«

«Wassilissa Iwanowna ist bei mir.«

«Genugt das vielleicht? Wenn du krank wirst, wenn du ausrutschst und dir ein Bein brichst, wenn irgend etwas anderes passiert… Janka ist eine gute Krankenschwester geworden. Und vergi? nicht, Vaterchen… ein alter Mann bist du.«

«Was bin ich?!«Auf sein Alter hingewiesen zu werden war Wachter ein Greuel. Er war kein Greis, er fuhlte sich nicht so, er war nicht im Geringsten klapprig in den Knochen und den Muskeln. Sein Herz schlug kraftig wie vor vierzig Jahren, seine Adern waren nicht verstopft und das Denken war ihm nicht schwerer geworden. Nur die linke Schulter war etwas schief seit dem Feueruberfall der Tiefflieger, und da? es gerade sowjetische Flieger gewesen waren, die ihn, einen Wachter, die seit 230 Jahren in Ru?land lebten, zusammengeschossen hatten und indirekt und unwissend schuld daran waren, da? er das Bernsteinzimmer aus den Augen verloren hatte, argerte ihn immer wieder. Aber ein alter Mann, auf den man aufpassen mu?te wie auf einen Saugling, nein, das war er keinesfalls.

«Ihr seht mich als einen Tattergreis?!«rief er emport.»Ha, zeigen werde ich's euch! Wer bin ich denn? Soll eine eigene Krankenschwester brauchen? Einen starken Sohn, der mich auf den Schultern herumtragt?«

«Vaterchen, so ist das nicht. «Jana Petrowna versuchte, Wachter milde zu stimmen.»Acht Augen sehen mehr als vier Augen, und sechs Ohren horen besser als vier…«

«Jeder auf seinem Platz!«sagte Wachter streng.»Ich fahre und suche mit Wassilissa Iwanowna allein…«

Als sie von Puschkin abfuhren nach Leningrad, um dort ein Flugzeug nach Ost-Berlin zu besteigen, war zwar Jana im Katharinen-Palast bei den Kindern geblieben, aber Nikolaj war mitgekommen und hatte dem Alten allen Wind aus den Segeln genommen, indem er sagte:»Ein Wachter gehort zum Bernsteinzimmer. Bin ich ein Wachter? Ohne Zweifel. Wo ist das

Bernsteinzimmer? Verschollen. Wer hat die Pflicht, es zu suchen? Ein Wachter. Ich wiederhole: Bin ich ein Wachter? Was kannst du dagegen sagen, Vaterchen?«

«Du bist ein Dickkopf wie ich. «Michael Wachter stie? mit der Faust gegen die Brust seines Sohnes, und die Kraft des Alten war noch so stark, da? Nikolaj etwas schwankte.»Gut ist's. Keine Diskussion mehr! Froh bin ich, da? Janinka zu Hause bleibt. Wir alle wissen, wie schwer es wird, was wir vorhaben. Sogar gefahrlich kann's werden. Es gibt Menschen, die wissen, wo das Bernsteinzimmer geblieben ist, und sie werden unsere Feinde sein und vor nichts zuruckschrecken.«

«Und deshalb ist es gut, da? ich bei dir bin«, sagte Nikolaj.

In Berlin blieben sie nur drei Tage, wohnten als Gaste des sowjetischen Stadtkommandanten im Gastehaus der Roten Armee in Karlshorst und studierten die Detailplane, die man in Moskau erstellt hatte und mit denen die Jablonskaja jahrelang beschaftigt gewesen war. Drei wichtige Spuren gab es, auf denen man dem Bernsteinzimmer folgen wollte: nach Grasleben, nach Merkers und nach Osterreich im Raum Alt-Aussee,

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