hinubergehen und nach dem Bernsteinzimmer sehen. Ich komme als Schwester uberall hin. «Sie beugte sich uber ihn und streichelte sein bartstoppeliges Gesicht.»Eine gute Idee war das, Vaterchen«, flusterte sie an seinem Ohr.»Jana!«

«Niemand hort uns.«

«Das ist es nicht. Daran gewohnen sollst du dich, da? du mich nicht kennst. Zum ersten Mal hast du mich heute gesehen.«

An der Tur klopfte es. Sofort danach kam ein hochgewachsener Offizier in die Wohnung, stutzte, als er die Rote-Kreuz-Schwester an Wachters Bett sitzen sah, und trat dann naher.

«Wendler-«stellte er sich hoflich vor.»Ich bin Arzt. Wie geht es Ihnen, Herr Wachter? Was macht der Kopf? Wie ich sehe, sind Sie in bester Betreuung. «Ein strahlender Blick traf Jana. Sie senkte die Augen und drehte dem Arzt den Rucken zu. Es war ein Oberstabsarzt, aus dem Stab des XXVIII. Armeekorps.»Haben Sie mich verbunden, Herr Doktor?«fragte Wachter.»Wie sieht mein Kopf aus?«»Eine mittelgro?e Platzwunde… die Hirnschale ist nicht verletzt. Gott sei Dank. Verbunden hat Sie dann ein Sanitater. «Dr. Wendler rausperte sich, beugte sich uber Wachters Kopf und kontrollierte den Verband. Er war tadellos angelegt worden.»Sie sehen jetzt aus wie ein Muselmann«, versuchte er einen Scherz.»So ein Turban steht Ihnen gut. Nicht wahr, Schwester?«

«Ja — «antwortete Jana kurz.

«Ich habe mich noch einer Bitte zu entledigen. «Dr. Wendler schien ein Mensch zu sein, der gerne etwas gespreizt sprach.»General von Kortte la?t um Entschuldigung bitten, da? einige seiner Soldaten sich so ungebuhrlich Ihnen gegenuber benommen haben. Die Schuldigen werden zur Rechenschaft gezogen. Urlaubssperre ist das mindeste, was sie erwartet. Das soll ich Ihnen ausrichten.. das aufrichtige Bedauern des Herrn Generals.«

«Danke, Herr Doktor.«

«Der Herr General wird Sie heute noch besuchen.«

«Was macht mein Bernsteinzimmer?«

«Keine Ahnung. «Dr. Wendler hob die Schultern. Das Bernsteinzimmer war fur ihn von geringerem Interesse als die hubsche Schwester an Wachters Bett. Er blinzelte ihr zu; aber Jana ubersah es und nahm eine Haltung ein, die Abwehr signalisierte.»Was soll mit dem Zimmer los sein?«

«Hat man es zerstort… geplundert…«

«Moment mal. «Dr. Wendler zog die Augenbrauen zusammen.»Was sagen Sie da, Wachter? Ein deutscher Soldat zerstort nichts und plundert schon gar nicht. Ihre Meinung uber unsere Landser…«

«Verzeihung, Herr Doktor. «Wachter unterbrach den Oberstabsarzt sofort. Er stellte mit Erschrecken fest, da? man so etwas nicht sagen durfte. Ein guter Deutscher kritisierte niemals die Wehrmacht des Fuhrers. Zersetzung nannte man das. Wehrkraftzersetzung.»Aber man hat mich niedergeschlagen, weil ich einen Soldaten hindern wollte, aus der Bernsteinwand etwas herauszubrechen.«

«Mein Gott, ein kleines Andenken… fallt ja gar nicht auf bei so viel Bernstein. Es stimmt also: Sie haben den Landser zuerst angegriffen?«

«Ja. Er bohrte mit dem Seitengewehr…«

«Gut, gut, gut!«Dr. Wendler winkte ungeduldig ab.»Das wird alles untersucht werden. Wozu haben wir ein Feldgericht?«»Feldgericht?«fragte Wachter gedehnt. Der Druck in seinem Kopf verstarkte sich. Feldgericht — das bedeutete eine Verhandlung, und der Soldat wurde freigesprochen werden, das war ganz sicher. Freispruch wegen Notwehr. Das Herausbrechen des Bernsteins war kaum erwahnenswert.»Mu? das sein, Herr Doktor?«

«Die Entscheidung liegt bei dem General. «Dr. Wendler betrachtete wieder Jana Petrowna und lehnte sich am Kopfende des Bettes gegen die Wand.»Wie kommen Sie eigentlich hierher, Schwester?«

«Aus dem Lazarett. Irgend jemand aus dem Stab rief uns an und fragte nach einer Hilfe. «Ihr Reaktionsvermogen war hervorragend. Sie hob den Kopf, sah Dr. Wendler in die Augen, aber es war ein kuhler, abweisender Blick.»Mit dem Fahrrad bin ich dann zum Schlo? gefahren. Sie konnen es sich ansehen, es steht drau?en an der Hauswand.«

«Verruckt! Als ob wir hier nicht genug Sanitater bei der Truppe haben! Da kommen von der Front die Schwerverwundeten, die die beste Pflege brauchen, und man zieht eine Schwester ab, um einen Zivilisten zu betreuen! Idiotie!«

«Wenden Sie sich bitte an den Herrn General«, sagte Jana kuhl. Wie wild ihr Herz klopfte, konnte man ja nicht sehen.»Vom Stab rief man an — «

«Das wei? ich nun. «Dr. Wendler stie? sich von der Wand ab.»Wie lange bleiben Sie im Schlo?, Schwester?«

«Solange man mich hier braucht.«

«Wie hei?en Sie eigentlich?«

«Jana Rogowskij.«

«Klingt verdammt russisch — «

«Ich bin in Masuren geboren. In Lyck in Ostpreu?en.«»Naturlich wei? ich, wo Masuren liegt!«Dr. Wendler reagierte ausgesprochen beleidigt.»Schlacht an den Masurischen

Seen. Hindenburg vernichtet die russische Armee… 1914… im Ersten Weltkrieg. Jana Rogowskij, also doch ein paar Tropfen russisches Blut.«

«Nicht einen. «Und dann sagte Jana etwas, das Wachter nie fur moglich gehalten hatte.»Ich habe einen Ahnenpa?. Bis 1680. Meine Vorfahren waren brandenburgische Siedler. Wollen Sie den Ahnenpa? sehen? Ich hole ihn…«

«Danke! Danke!«Dr. Wendler winkte ab, nickte Wachter noch einmal zu und verlie? dann mit knarrenden Stiefeln die Wohnung. Einen Augenblick blieb Wachter ruhig liegen, aber dann schnellte er aus seinen Kissen empor.

«Das war das Tollste, was ich je gehort habe! Wer hat dir denn die Sache mit dem Ahnenpa? beigebracht?«

«Bitte bleiben Sie liegen, Herr Wachter. «Janas dunkle Augen blitzten vor Freude.»Irgendwann habe ich mal in der PRAWDA gelesen, da? die Deutschen ganz wild auf Ahnenpasse sind. Jeder will nachweisen, da? er ein Arier ist, nie ein Jude in seiner Familie war. Daran habe ich mich plotzlich erinnert.«

«Du… Verzeihung… Sie sind ein wunderbares Madchen, Jana. Und jetzt seien Sie noch wunderbarer, lassen Sie mich aufstehen und zu meinem Bernsteinzimmer gehen.«

Ein paar Minuten spater stand Wachter, gestutzt auf Janas Schulter, in dem Saal. Erschutterung lahmte seine Zunge, er war zu keinem Wort mehr fahig, nur seine Augen schimmerten feucht.

An vielen Stellen waren die Verkleidungen heruntergerissen, ha?liche Locher klafften in den Bernsteinwanden, Rosetten und Girlandenstucke fehlten — ein Anblick, der einem das Herz zerrei?en konnte. Aber das Zimmer war leer. De deutschen Soldaten hatten es raumen mussen. Was sie zuruckgelassen hatten, waren verdreckte Polster auf den Sesseln und Kanapees, einen durch Nagelstiefel beschadigten Fu?boden, eine Menge Papier, Dosen und Flaschen und an einer nackten Frauenfigur aus Bernstein ein Pappschild:»Wichsen verboten!«

«Ein deutscher Soldat zerstort nichts…«wiederholte Wachter leise die Worte Dr. Wendlers.»Und wir waren immer stolz darauf, Deutsche geblieben zu sein. Jetzt schame ich mich.«

Er senkte den Kopf, schlo? die Augen —, und Jana lie? ihn allein mit seinem Schmerz, sprach ihn nicht an, sagte kein Wort und bi? die Zahne zusammen.

Was sollte man auch sagen? Krieg war, und jeder Eroberer benimmt sich wie ein Eroberer… seit Jahrtausenden…

Sie schraken zusammen. Hinter ihnen klappte die Tur zu. Sie drehten sich schnell um und sahen, da? General von Kortte ins Zimmer gekommen war. Er warf einen kurzen Blick durch den Saal und hob in stummer Resignation die Schultern.

«Ich war bei Ihnen, Herr Wachter«, sagte er.»Aber Sie waren nicht in Ihrer Wohnung. Wo anders als im Bernsteinzimmer kann er sein, dachte ich, und so ist es. Ich wei?, was Sie sagen wollen… es bleibt mir nur die beschamende Pflicht, mich fur meine Soldaten zu entschuldigen. Davon haben Sie nichts, davon kommen die herausgebrochenen Stucke nicht wieder, vier Soldaten warten auf ihre Bestrafung, den anderen ist nichts nachzuweisen… ein Krieg fordert vielerlei Opfer. «General von Kortte schritt die Wande ab, betrachtete die freigelegten Bernsteinvertafelungen, die Figuren, Gemalde, Rosetten und Girlanden und blieb nach diesem Rundgang wieder vor Michael Wachter und Jana Petrowna stehen.

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