«Ich verstehe ja wenig davon«, sagte er.»Museen waren mir immer ein Greuel. Eine Ansammlung toter Gegenstande… ich habe es lieber mit lebenden Menschen zu tun. Aber das erkenne ich jetzt doch: Das hier ist von unschatzbarem Wert. Das ist ein Kunstwerk, das einen nicht kaltlassen kann. «Er zogerte und fugte dann hinzu:»Wie ich Ihnen schon gesagt habe, im Reich scheint man genauso zu denken.«

«Was… was meinen Sie damit, Herr General?«Wachters Stimme bekam einen besorgten Unterton.»Was haben Sie gehort?«

«Morgen treffen zwei Sonderkommissionen bei uns ein, ein >Sonderkommando AA<, das hei?t vom Au?enministerium, und Herren des >Einsatzstabes Rosenberg<. Samtliche Herren sind Kunstwissenschaftler, Museumskonservatoren, Kunstsachverstandige. Experten also. Warum wohl stromen sie aus allen Ecken nach Puschkin und ausgerechnet zum Katharinen-Palast?!«

«Ja, das ist kein schweres Ratsel, Herr General. «Wachter stutzte sich schwer auf Janas Schulter. Ihm war, als weichten die Knochen seiner Beine auf.»Was raten Sie mir? Was soll ich tun?«

«Nichts.«

«Das ist verdammt wenig.«

«Etwas anderes bleibt Ihnen gar nicht ubrig, Herr Wachter. «General von Kortte sah Jana fragend an. Eine Rote-Kreuz-Schwester zur Betreuung eines Niedergeschlagenen… wer hatte diesen Luxus angeordnet? Aber er fragte nicht weiter nach, wie alle anderen, fur die eine Schwester im Einsatz ein gewohntes Bild war.»Kann ich etwas fur Sie tun?«

«Die Sonderkommandos nicht in das Schlo? lassen, Herr General.«

«Wie stellen Sie sich das vor? Der Chef der 18. Armee, Generaloberst von Kuchler, hat sie mir angekundigt. Ich kann doch nicht zu dem Generaloberst sagen: Rufen Sie die Herren zuruck!«

«Warum nicht?«

«So kann nur ein Zivilist fragen. Erstens kann ich dem Generaloberst keine Vorschriften machen, und zweitens unterstehen die Sonderkommandos nicht der Befehlsgewalt des Heeres, sondern nur ihren Ministerien. Ich werde einen Teufel tun, Ribbentrop oder Rosenberg anzusprechen. «General von Kortte stie? wieder die Tur auf und wandte sich zum Weggehen. Aber im geschnitzten, vergoldeten Turrahmen drehte er sich noch einmal um.»Machen Sie keine Dummheiten!«sagte er ernst.»Ein Mensch ist ersetzbar, dieses Kunstwerk nicht… wo immer es stehen wird. Ihre Familie hat jahrelang vorbildlich ihre Pflicht getan. Auch das gibt es nicht wieder.«

Im Fuhrerhauptquartier» Wolfsschanze «bei Rastenburg in Ostpreu?en, im Norden der Masurischen Seenplatte, bereitete sich Reichsleiter Martin Bormann, der, Chef der Parteikanzlei und einer der wenigen Vertrauten Hitlers, auf die obligatorische Mittagstafel des Fuhrers vor.

Zwar a? Hitler nur wenig und vorwiegend vegetarisch, aber das beeintrachtigte in keiner Weise die tagliche Spannung, die diesem Mittagsmahl vorausging. Die Tischgesprache, die Hitler dabei fuhrte, diese endlosen Monologe uber seine Zukunftsgedanken, seine Ziele, seine Hoffnungen, seine Ansichten uber Kunst und Wissenschaft, Strategie und Weltpolitik, Wirtschaft und nationalsozialistischer Rechtsreform, Au?enpolitik und Baukunst entblo?ten von Tag zu Tag mehr das Wesen dieses Fuhrers, der angetreten war, die ganze Welt zu verandern.

An diesem 22. September 1941 stand es fest, da? Leningrad nicht erobert werden sollte, sondern der Sturm auf Moskau vordringlicher war. Der Ring war geschlossen, die Blockade konnte beginnen, das Aushungern von 1,5 Millionen Menschen. Was an dieser Front entbehrlich war, wurde herausgezogen und in die Schlacht um Moskau geworfen, zuerst die 4. Panzergruppe von General Hoepner. Es war eine Entscheidung, die weder Stalin noch Schukow glaubten, nichts als ein Tauschungsmanover, sagten sie, aber dann tauchte die 4. Panzergruppe im Norden Moskaus auf und bestatigte die Wahrheit: Leningrad wurde nicht mit Waffengewalt erobert… es sollte verhungern.

Martin Bormann ordnete ein paar Schreiben in einen Schnellhefter, kniff ihn unter den Arm und betrat kurz vor Hitler den E?raum des Fuhrers. Die Lagebesprechung war beendet, die Meldungen von den Fronten hatten Hitler erfreut, zwar war der Vormarsch der deutschen Armeen au?erst zah und der W-derstand der Sowjets wuchs von Tag zu Tag, aber das gro?e Ziel ruckte immer naher: der Einmarsch deutscher Truppen in Moskau. Was Napoleon mi?lungen war, wurde der Fuhrer in Kurze dem deutschen Volk und der Welt melden konnen: Zum ersten Mal in der Geschichte betrete ein europaisches Heer die Hauptstadt Ru?lands.

An diesem Tag war Hitler mit sich, seiner Welt und seinen Generalen zufrieden. Man konnte sich schoneren Dingen zuwenden, zum Beispiel den Kunsten.

Wie kaum ein anderer aus seiner Umgebung kannte Bormann den Fuhrer, seine Stimmungen und seine Schwachen. Er ahnte fast immer richtig voraus, was Hitlers Geist au?erhalb den militarischen Situationen beschaftigte. Oft lenkte er vorsichtig die Gesprache auf dieses oder jenes Thema, das er gerade fur wichtig hielt.

Die Mittagstafel verlief wie immer. Hitler a? wenig, trank zum Nachtisch eine Tasse Tee, unterhielt sich kurz mit seinem Leibarzt Dr. Morell und wandte sich dann Bormann zu. Ein langer Monolog war gerade beendet. Zur Freude Bormanns hatte Hitler uber seine Plane gesprochen, nach dem Endsieg in Linz an der Donau, der Stadt, die er besonders liebte, ein gigantisches Museum zu bauen, uber dessen Gestaltung sein Architekt Albert Speer schon nachdachte. Es sollte ein gigantischer Bau werden, der alles bisher Gesehene ubertreffen und gegen den das Reichsparteitagsgelande in Nurnberg wie eine Zwergenheimstatt wirken wurde. Die wertvollsten Kunstschatze der Welt sollten in diesem Museum versammelt sein, eine riesige Walhalla der Kunst, gefullt mit Plastiken und Gemalden, Teppichen und Gobelins, Goldschmiedearbeiten und Porzellanen, Mobeln und Buchern, Ikonen und Holzschnitzereien. Die unschatzbarsten Kulturguter aus ganz Europa wurden fur alle Zeiten der Menschheit erhalten bleiben, deutscher Besitz fur die kommenden tausend Jahre. Ein Erbe fur Hunderte Generationen… denn Europa gehorte dem Deutschen Reich, daran zweifelte Hitler nicht einen Augenblick. Vor allem die unsagbaren Schatze im Osten, in den Schlossern, Klostern und Kirchen, in den Zarenpalasten und den Palais der Fursten und des russischen Hochadels sollten die Glanzstucke dieses Museums werden.

Schon gleich zu Beginn des Krieges wurde eine Verfugung herausgegeben, da? alle Kunstschatze aus den eroberten Gebieten von Experten begutachtet und selektiert werden sollten. Die besten und wertvollsten Stucke wurden danach ausgesondert, um nach dem Sieg nach Linz gebracht zu werden.

«Fuhrervorbehalt «wurde diese Verfugung genannt. Hitlers Hand lag auf allem, was eine zweitausendjahrige Kunst hervorgebracht hatte.

An diesem 22. September hatte Hitler vor der Tischrunde seinen gro?en Traum von Linz ausgebreitet. Aus den besetzten Ostgebieten waren lange Listen mit» sichergestellten «Schatzen eingetroffen, die Hitler in Begeisterung versetzten. Er warf einen kurzen Blick zu Bormann hinuber und lehnte sich weit zuruck, die Hande uber dem Leib zusammengelegt.

«Sie mochten etwas vortragen?«sagte er und wies dabei auf den roten Schnellhefter, der neben Bormann lag.»Fangen Sie an.«

«Mein Fuhrer — «Bormann offnete den Schnellhefter und uberflog noch einmal schnell die Meldungen, die er darin gesammelt hatte.»Das Einsatzkommando >Hamburg< des Sonderkommandos AA, das sich bei Schlie?ung des Rings um Leningrad im Verband der 18. Armee befand, hat einen Vorbericht geschickt. Ein gro?er Teil der Kunstschatze von Puschkin, von Gatschina, Pawlowsk und Petrodworez, dem ehemaligen Peterhof, sind gerettet worden, zum gro?ten Teil unversehrt. Darunter befindet sich im Katharinen-Palast in Puschkin auch das wertvollste und schonste Kunstdenkmal: das Bernsteinzimmer. Es ware wert, in Linz einen eigenen Saal zu bekommen. Fotos des Bernsteinzimmers liegen vor. Bitte, mein Fuhrer.«

Bormann reichte Hitler vier gro?formatige Fotografien. Sie zeigten das Bernsteinzimmer von allen Seiten, die Deckengemalde und den eingelegten Fu?boden. Es waren Ajfnahmen vor dem Krieg mit allen Mobeln und Bernsteinschranken und dem auf einem hohen, mit soldatischen Marmorfiguren umringten Sockel stehenden Reiterstandbild Friedrich des Gro?en. Auch die alten chinesischen Vasen waren zu sehen, die Bernstein- Intarsientischchen und der wunderschone Bernsteinsekretar.

Lange sah sich Hitler die Fotos an. Dann gab er sie an Bormann zuruck, nickte kurz und knapp:»Ich werde das Zimmer in Linz als einen Mittelpunkt aufstellen. Veranlassen Sie das

Notwendige. Es soll mit gro?ter Sorgfalt vorgegangen werden. Wer soll die Leitung ubernehmen?«

«Ich denke an Dr. Herbert Wollters oder Dr. Hans-Heinz Run-nefeldt. Sie sind Experten, vor allem fur Bernstein.«

«Am besten beide. «Hitler trank einen Schluck Tee und schien sehr zufrieden zu sein. Man sah es an seinen Handen — er rieb sie aneinander.»Sie sollen sofort beginnen. Und die anderen Kunstwerke?«

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