«Sie werden im Rahmen der Aktion Bernsteinzimmer sichergestellt werden. «Bormann warf wieder einen Blick in seinen Schnellhefter.»In den Schlossern Puschkin und Pawlowsk sind es vor allem noch seltene Bucher aus vier Jahrhunderten… man schatzt uber 50 000 Bande. Daneben hat man noch eine sensationelle Ikonensammlung entdeckt. Auch das ware etwas fur Linz, mein Fuhrer.«

Hitler nickte wieder.»Kummern Sie sich darum«, sagte er.»Ikonen… darin lebt Ru?lands Seele.«

Er begann einen langen Monolog uber Ikonen, Kirchenschatze und den ungeheuren Einflu? des Christentums auf die Kunst des Mittelalters.

Bormann entschuldigte sich und verlie? den E?raum. Er war einer der wenigen, der die Mittagsrunde vor Hitler verlassen durfte.

Am 26. September bekam der Oberbefehlshaber des Heeres ein Schreiben von der Adjutantur der Wehrmacht beim Fuhrer. Darin hie? es:

«Der Fuhrer hat nach Vortrag von Reichsleiter Bormann entschieden, da? der Leiter des Au?enamtes der staatlichen Museen, Dr. Hans-Heinz Runnefeldt, der zur Zeit als Sonderfuhrer die Betreuung der Kunstschatze in Reval ausubt, so eingesetzt wird, da? er auch fur weitere Aufgaben auf dem Gebiet, z. B. Sicherstellung der Kunstschatze von Zarskoje Selo, Peterhof und Oranienbaum und spaterhin auch Petersburg zur Verfugung steht…«

Das» deutsche Gold der Ostsee«, wie Hitler den Bernstein von jeher genannt hatte, das gro?te Kleinod, das Bernsteinzimmer in Puschkin, war» Fuhrervorbehalt «geworden. Bestimmt fur das gigantischste Museum, das die Welt besitzen sollte, den» ewigen Bau «in Linz an der Donau.

Die beiden Expertenkommissionen, das Sonderkommando AA und der Einsatzstab Rosenberg trafen im Abstand von zwei Tagen im Katharinen-Palast ein. Sie meldeten sich bei General von Kortte und legten ein Schreiben von Generaloberst von Kuchler vor, dem Oberbefehlshaber der 18. Armee, die den Einschlie?ungsring um Leningrad errichtete und zu deren Verwaltungsgebiet nun auch Puschkin gehorte. Von Kortte las das Schreiben und machte eine weite Handbewegung.

«Sehen Sie sich um, meine Herren«, sagte er.»Ich kann's nicht andern.«

Der Leiter des Sonderkommandos AA, das zuerst in Puschkin auftauchte, uberhorte hoflich den Sarkasmus des Generals.»Dr. Herbert Wollters«, stellte er sich vor.»Ich handele im Auftrag des Herrn Reichsau?enministers von Ribbentrop und einer Sondervollmacht der Parteikanzlei.«

«Das haben Sie eben schriftlich gegeben, Herr Hauptmann. «Von Korttes Stimme war abweisend.»Ich habe es zur Kenntnis genommen.«

«Rittmeister, Herr General…«

«Wie bitte?«Der General hob die Augenbrauen, der Ton war wie vereist.

«Ich bin Rittmeister, Herr General.«

«Ist das nicht das gleiche wie Hauptmann?«Die Stimme wurde schroff und die Worte zerhackend.»Ihre Belehrungen habe ich nicht notig. Ich war selbst Rittmeister, da ochsten Sie noch auf der Penne.«

«Ich bitte um Verzeihung, Herr General.«

«Schon gut. «Von Kortte winkte ab.»Eine Ordonnanz wird Sie durchs Schlo? fuhren. Wo fangen Sie an?«

«Ich habe die Grundri?plane bei mir. «Dr. Wollters klopfte gegen die lederne Aktentasche, die er unter dem Arm trug.»Beim Bernsteinzimmer.«»Das habe ich erwartet. «Von Kortte ging zum Telefon auf seinem Schreibtisch, drehte eine Nummer und sagte kurz:»Viebig, kommen Sie zu mir.«

Als hatte er vor der Tur darauf gewartet, trat sofort ein junger Leutnant ein.»Herr General?«fragte er in strammer Haltung.»Der Herr Rittmeister vom AA — «von Kortte betonte das Rittmeister besonders deutlich und genu?lich —»mochte zum Bernsteinzimmer und dann durch das ganze Schlo? gefuhrt werden. Begleiten Sie ihn.«

Dr. Wollters verabschiedete sich zackig mit einem Nicken, dem er den Hitlergru? hinzufugte. Es war fur von Kortte das erste Mal, da? er einen Offizier damit gru?en sah und nicht mit der Hand am Mutzenschirm. Er verkniff sich eine neuerliche Bemerkung, drehte sich um und wandte Dr. Wollters den Rucken zu. Es war ein stummer, aber deutlicher Hinauswurf. Michael Wachter sa? auf einem Schemel im Bernsteinzimmer, als wollte er seinen Namen in die Tat umsetzen: er bewachte es. Notdurftig hatte er die Holz- und Pappverschalungen wieder geflickt, hatte den herrlichen Fu?boden vom Sand befreit und gesaubert und hatte versucht, die Schmutzflecken von den Seiden- und Damastbezugen der Mobel zu entfernen. Jana Petrowna half ihm dabei. Sie war noch immer im Katharinen-Palast und wohnte bei ihrem zukunftigen Schwiegervater — falls Nikolaj die Belagerung Leningrads und den Krieg uberlebte.

Vor kurzem hatte sie Wachter den Verband abgenommen. Er trug jetzt ein breites Pflaster auf dem Kopf, nachdem man ihm die Haare kreisrund wie eine Tonsur abrasiert hatte. Einige Witzbolde nannten ihn seitdem» Pater Michaelus «und baten um einen Beichttermin. Wachter machte das Spiel mit; die Hauptsache war, man fragte nicht mehr und sah ihn als Faktotum, als ein Teil der Einrichtung des Schlosses an.

Dr. Wollters blieb mitten im Saal stehen und sah sich um. Den Intarsienfu?boden kann man ausbauen, dachte er. Die gro?en Bernsteintafeln, die Plastiken der Krieger und Gottinnen, vor allem die Masken der» Sterbenden Krieger «am oberen Vries, die, wie man vermutete, sogar von dem beruhmtesten Bildhauer der damaligen Zeit, Andreas Schluter, stammen sollten, waren ebenfalls ohne Schwierigkeiten abzutransportieren, nur die Deckengemalde bereiteten ihm einige Sorgen. Es wurde au?erst schwierig sein, die bemalte Deckenschicht herauszuschalen.

Dr. Wollters kannte dieses Zimmer bis ins Detail, und das nicht nur von Fotos. Noch 1937 war er als Gast des Leiters des Stadtischen Museums in Leningrad gewesen, hatte die Schatze in den Ausstellungssalen bewundert und war dann mit ihm hinaus nach Puschkin gefahren, zum Katharinen-Palast. Voll stummer Bewunderung, ja mit echter Ergriffenheit hatte er im Bernsteinzimmer gestanden und das goldene Farbenspiel auf sich wirken lassen.

«Guten Tag!«sagte Wachter laut.

Dr. Wollters, der gru?los ins Zimmer gekommen war, als hatte er den Mann auf dem Schemel nicht gesehen, warf einen Blick zur Seite, wie wenn er angespuckt worden ware. Er erwiderte den Gru? nicht, sondern fragte hochmutig:

«Wer sind denn Sie?«

«Sie mu?ten mich kennen, mein Herr«, sagte Wachter und blieb auf seinem Schemel sitzen.

«Ich — Sie? Nicht da? ich wu?te. Woher denn?«

«Sie waren schon einmal hier. Mit dem Direktor der Leningrader Stadtischen Sammlungen. War's 1937… ich wei? es nicht mehr genau. Aber ich habe Ihr Gesicht nicht vergessen.«»Behalten Sie all die Gesichter der Tausenden, die das Bernsteinzimmer besucht haben?«fragte Dr. Wollters und lachelte mokant.

«Nein. Nur wenige, aber Ihres ist dabei: Damals haben Sie gesagt: >Das ist das wundervollste aus Bernstein, das es auf der Welt gibt!< Fast genau an der gleichen Stelle wie jetzt standen Sie damals. Das habe ich nicht vergessen.«

«Sie sind hier einer der Museumsdiener?«

«Ich bin der Verwalter des Bernsteinzimmers. Mein Vorfahr Friedrich Theodor Wachter hatte diesen Auftrag von Konig Friedrich Wilhelm I. erhalten und ist mit dem Bernsteinzimmer zu Zar Peter I. nach Sankt Petersburg gekommen.«»Der letzte einer Dienerdynastie. Sieh an!«Dr. Wollters Hochmut schien ohne Grenzen.»Die Nachwelt wird Ihnen dankbar sein, da? Sie das Bernsteinzimmer so gut gepflegt haben.«

«Was geschieht jetzt mit dem Zimmer?«fragte Wachter. Die Arroganz von Dr. Wollters tropfte an ihm ab wie von einer Wachstuchhaut. Vielleicht hatte sein Vater Igor Ger-manowitsch an seiner Stelle zugeschlagen und diesen Herrn mit Faustschlagen aus dem Saal getrieben. Aber was brachte das? Nur Arger, nur eine Verhaftung, lange Verhore, eine Entfernung von Puschkin, eine Strafversetzung nach Deutschland, sogar an die Front konnte man ihn noch schicken mit seinen 55 Jahren, er war ja ein Deutscher… also war es kluger, den Demutigen zu spielen.

«Was geht Sie das an?«Dr. Wollters betrachtete wieder die Deckengemalde. Ohne Beschadigungen gelingt der Ausbau nie, dachte er. Man wird sie nachher vorsichtig restaurieren mussen. Im Notfall malt man sie nach den vorhandenen Detailbildern nach. Es gibt nun mal Grenzen, jeder Experte mu? mir da recht geben.

«Ich habe die Verpflichtung, beim Bernsteinzimmer zu bleiben.«

«Kaum zu glauben, da? der Fuhrer sich auch verpflichtet fuhlt! Aber Sie konnen sich ja bewerben. Das ist nicht meine Sache. Nur mache ich Ihnen wenig Hoffnungen, da? man Sie nach Linz holt.«

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