kennenlernte. Sie war ein su?es, neunzehnjahriges Madchen gewesen mit schulterlangen blonden Haaren und hatte ihn seelisch vollig au?er Kontrolle geraten lassen, als sie die Nachte bei ihm blieb. Er uberschuttete sie mit Schokolade, Wein, Kognak und kleinen Kunstwerken, die er in Kirchen und Museen» sicherstellte«. Jetzt stand ihm eine schwarzhaarige Schonheit gegenuber, blinzelte ihn an, und unter seiner Kopfhaut juckte es.»Also dann morgen abend«, sagte Muller-Gie?en forsch.»Schwesterchen, ich zeige Ihnen alles, was Sie wollen.«

Die anderen Herren in seiner Begleitung, ausnahmslos Kunstwissenschaftler, grinsten breit. Ja, der Major, das war ein Draufganger… im wahrsten Sinne des Wortes.

Michael Wachter sa? in seinem Wohnzimmer auf dem Biedermeier-Sofa, seinem Lieblingsmobel, das er aus dem Gartensaal zu sich genommen hatte, nicht weil es besonders wertvoll war — da gab es im Schlo? hundertmal kostbarere Mobel, sondern weil es sich bequem darauf ausruhen lie?. Man konnte sich langstrecken, hatte immer einen warmen Rucken durch die hohe Lehne und ein festes Polster unter sich. Er hatte einen alten Katalog vor sich und blatterte darin herum. In ihm waren alle Kunstgegenstande aufgefuhrt, die im Katharinen-Palast einmal zu besichtigen gewesen waren, als ganz Zarskoje Selo noch ein riesiges, in der Welt einmaliges Museum gewesen war. Selbst jetzt, nachdem sich die russischen Sondereinheiten zuruckgezogen hatten, war noch genug vorhanden, um das Herz jedes Kunstsachverstandigen hoher schlagen zu lassen.

Wachter blickte auf, als Jana Petrowna in die Wohnung kam.»Sie sind da, Vaterchen«, sagte sie rnd lie? sich in einen Sessel fallen.

«Jana!«

Sie verzog den Mund und nickte.»Herr Wachter… ich wei?. Gefuhrt werden sie von einem alteren, geilen, widerlichen Offizier. Er will mich morgen abend abholen und mir alles zeigen. Ich wei?, was er mir zeigen will!«

«Naturlich gehst du nicht hin. «Wachter musterte sie forschend.»Oder…?«

«Verstecken werde ich mich. «Sie nahm einen Schluck von dem kalten Tee, der in einer gro?en Tasse auf dem Tischchen stand. Uberrascht zog sie das Kinn an und holte tief Atem.»Da ist ja Wodka drin!«

«Ja. Ein wenig.«

«So wenig, da? es einem die Kehle durchbrennt!«»Tochterchen — «

Jetzt rief sie:»Herr Wachter!«und hob mahnend die Finger. Doch dabei lachte sie.

«Fraulein Rogowskij… So ein Tee beruhigt die Nerven. Ich habe es notig. «Wachter legte den Katalog auf das Sofa.»Was haben Sie erfahren?«

«Sie tun so, als wollten sie morgen das Bernsteinzimmer ausbauen.«

«Haben sie das gesagt?«

«Ich habe gehort, wie einer der Offiziere zu einem anderen leise sagte: >Wie kriegen wir diese Deckenmalerei heil her-aus?< Das hei?t doch, da? sie das Zimmer mitnehmen. «Wachter erhob sich von seinem Sofa und zog seine dunne Jacke uber das Hemd.»Ich sehe mir das mal an«, sagte er mit belegter Stimme.»Vielleicht ist das unser Gluck. Da streiten sich zwei Nazi-Rauber um die gleiche Beute. Bis sie sich einig sind, wer wei?, wie dann die Welt aussieht? Sie verandert sich jetzt von Tag zu Tag.«

Er verlie? die Wohnung, ging langsam von seinem Wohntrakt durch das Schlo?. Die an ihm vorbeieilenden Soldaten, meist Offiziere der Stabe, beachteten ihn nicht. Aus zwei Salen, in denen Mannschaften sich niedergelassen hatten, erklangen Lachen, Stimmengewirr und zog der Geruch von vielen Zigaretten auf die Gange. Er begegnete dem Adjutanten von General von Kortte, der ihn freundlich gru?te, und betrat dann das Bernsteinzimmer. An der Tur blieb er stehen und sah eine Weile stumm zu, wie die Experten des» Einsatzstabes Reichsleiter Rosenberg«, die einige der Verkleidungen von den Wanden wieder herausgerissen hatten, nun voll staunender Bewunderung davorstanden. Sie sahen das Bernsteinzimmer zum ersten Mal. Bisher kannten sie es nur von Fotos und aus Beschreibungen.

Muller-Gie?en spurte, da? jemand den Raum betreten hatte und ihn musterte. Es war ihm, als sei ein Brennglas auf seinen Nacken gerichtet. Schnell drehte er sich um und starrte Wachter bose an.

«Wer sind Sie denn?!«fragte er in scharfem Ton.»Wie kommen Sie hier herein?!«

«Durch die Tur, Herr Major.«

«Lassen Sie diese damlichen Bemerkungen!«bellte MullerGie?en.»Raus mit Ihnen! Halt! Hiergeblieben! Wieso kommen Sie als Zivilist in dieses Schlo??!«

«Ich gehore zum Palais. Ich wohne hier.«

«Wie lange denn?«

«Von meiner Geburt an.«

«Aahh — «Das klang gedehnt und angriffslustig.»Ein Russe also?!«

«Nein, ein Deutscher. «Wachter machte eine weite Handbewegung, die das ganze Zimmer umfa?te. «Ich verwalte das Bernsteinzimmer.«

«Seit wann?!«

«Seit 1716…«

Muller-Gie?en verzog sein Gesicht, als habe er Essig getrunken. Doch dann brullte er los, und brullen konnte er vorzuglich. Er benutzte dabei wie ein Sanger die Zwerchfellatmung.

«Sie Idiot! Was nehmen Sie sich heraus?! Sie O-beiniger Zivilist! Ich werde Ihnen abgewohnen, sich uber andere lacherlich zu machen! Wer ist Ihr Vorgesetzter?!«

«Ich habe keinen Vorgesetzten.«

«Sie haben keinen… Mann, wer ernahrt Sie denn? Bei wem sind Sie angestellt?!«

«Zur Zeit lebe ich in einem Niemandsland.«

«In Deutschland leben Sie!«schrie Muller-Gie?en und wurde rot im Gesicht.»Wo wir sind, ist Deutschland! Das werden Sie noch begreifen lernen. «Er atmete tief ein.»Sie verwalten das Bernsteinzimmer? Na gut, werde ich nachforschen. Das Zimmer wird in den nachsten Tagen ausgebaut.«»Von wem?«

«Das geht Sie einen Schei?dreck an, Mann!«

«Aber ich wei? es, Herr Major: Das Sonderkommando des AA…«

Es war ein Hieb, der sa?. Genau in die Magengrube von Muller-Gie?en. Die anderen Herren hatten sich umgedreht und verfolgten interessiert die Auseinandersetzung ihres Chefs mit diesem schabiggekleideten Zivilisten.

«Ist das sicher?«bellte Muller-Gie?en.

«Ein Herr Dr. Wollters, Rittmeister Wollters, lie? das verlauten.«

«Wollters. Ausgerechnet Wollters!«schrie Muller-Gie?en. Gegen diesen Namen war er allergisch. Bauchschmerzen bekam er, wenn er an ihn dachte. Schon siebenmal war Dr. Wollters schneller gewesen als Muller-Gie?en, und immer hatte er von Reichsleiter Martin Bormann recht bekommen. Gegen Bormann kam keiner an, am wenigsten Rosenberg. Es gab eine Reihe von hohen Parteigenossen, die Bormann, nach au?en hin immer hoflich, innerlich aber fur sich abhakte: Neben Rosenberg war das vor allem auch Josef Goebbels. Aber jetzt, hier beim Bernsteinzimmer, wollte Muller-Gie?en Sieger bleiben. Er brauchte nur einige Lastwagen, vielleicht 20 oder 22 Stuck… und das war ein Problem, das er im Augenblick noch nicht losen konnte. Aber das AA auch nicht, das war sicher. Zwanzig Lastwagen zu bekommen, um Kunstschatze zu transportieren, war ebenso schwierig wie der Abbau der Deckengemalde.

«Was hat Wollters noch zu Ihnen gesagt?«Muller-Gie?en sprach den Namen so voller Ekel aus, als wollte er sich jeden Augenblick erbrechen.

«Nichts.«

«Termine?«

«Keine. Nur: So schnell wie moglich.«

«Das >wie moglich< beruhigt mich etwas. Er kann auch nicht zaubern.«

«Die Manner von Ribbentrop hatten ein Schreiben aus dem Fuhrerhauptquartier bei sich. Auf Veranlassung von

Bormann — «

«O Schei?e! Schei?e!«Muller-Gie?en schlug erregt die Fauste gegeneinander. Die anderen Herren zogen betretene Gesichter. Wiederholte sich zum achten Mal der Wettlauf der beiden Kunstsammler?» Wie rief Richard III. bei der Schlacht von Bosworth? >Ein Pferd! Ein Pferd! Ein Konigreich fur ein Pferd!< Ich brauche kein Pferd… ich brauche zwanzig Lastwagen! Meine Herren, wir werden doch noch fur den Fuhrer zwanzig Lastwagen auftreiben konnen!«

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