Es zeigte sich, da? Muller-Gie?en die Lage unterschatzt hatte. Schon bei General von Kortte blitzte er eiskalt ab. Als MullerGie?en zu ihm sagte, er brauche sofort, sofort betonte er noch einmal, zwanzig Lkws, sah ihn von Kortte fast mitleidig an und tippte sich dann an die Stirn.

«Herr Major, Sie spinnen«, sagte er abgehackt.

«Ihr Armeekorps wird doch wohl zwanzig Wagen haben.«»Zum Munitionstransport. Fur Verpflegung, Nachschub, zur schnellen Verlegung von Truppen an die Front, zum Rucktransport von Verwundeten… aber doch nicht fur Wande aus Bernstein!«

«Es handelt sich um Besitztumer des Fuhrers!«

«Dann soll der Fuhrer mir personlich einen Befehl dazu geben.«

«Herr Reichsleiter Rosenberg — «

«Mein Vorgesetzter ist der Kommandierende der Armee und der Oberbefehlshaber der Wehrmacht.«

«Unser Sonderauftrag ist klar umrissen, Herr General.«

«Das kann ich nicht entscheiden. Wenden Sie sich an den Oberbefehlshaber der 18. Armee, Generaloberst von Kuchler. Wenn es Lkws gibt, dann nur mit seiner Genehmigung.«

«Das hei?t: Sie wollen nicht?«

«Ich kann nicht. «Von Korttes Stimme schwamm in Ironie. Es tat ihm in der Seele gut, Muller-Gie?en ebenso abfahren zu lassen wie diesen hochnasigen Dr. Wollters.»Als Akademiker sollten Sie den Unterschied zwischen Konnen und Wollen verstehen. Ich bedaure, Herr Major.«

Damit war Muller-Gie?en entlassen. Er stand stramm, gru?te kurz und verlie? wutschnaubend das Chinesische Zimmer. Auf dem breiten Flur, wo seine Herren warteten, machte er sich Luft.

«So ein Fatzke!«schrie er.»So ein Saboteur! Als ob wir Schei?haufen waren! Das gibt eine Meldung an den Reichsleiter, das kann ich Ihnen sagen. Diesem Kortte werden noch die Augen uberlaufen! Da werden sich jetzt andere Stellen um ihn kummern! Ha, der kennt uns noch nicht. «Er winkte.»Gehen wir, meine Herren. «Er sah sich um. Wachter, der ihn zu General von Kortte gefuhrt hatte, war nicht mehr da.»Wo ist dieser russendeutsche Zivilist?«

«Gegangen. Sollte er bleiben, Herr Major?«Ein Kunstexperte im Range eines Oberleutnants hob die Schultern.»Wir wu?ten nicht, da?…«

«Schon gut. Wir mussen sofort zum Hauptquartier der 18. Armee. Diesmal mussen wir die ersten sein!«Aber auch bei Generaloberst von Kuchler kamen sie zu spat. Dr. Wollters war schon da gewesen. Und wie ihm lie? von Kuchler durch einen seiner Adjutanten auch Muller-Gie?en sagen, da? wahrend der Kampfe um Leningrad noch nicht mal ein Rad fur au?erkriegerische Zwecke zur Verfugung gestellt wurde.

«Und jetzt geht's los!«sagte Muller-Gie?en angriffslustig.»Wer zuerst die Lkws hat, ist Sieger. Meine Herren, wir bleiben hart am Mann.«

Im Schlo? von Konigsberg hatte Gauleiter Koch seine» Gauleitung Ostpreu?en «eingerichtet. Fur ihn war das Schlo? der richtige und einzige Ort, an dem er wohnen und arbeiten konnte.

Drei Dinge liebte der ehemalige Maler und Anstreicher und jetzige Gauleiter und Reichskommissar fur die Ukraine besonders: die Macht, die Frauen und den Prunk. Genau in dieser Reihenfolge. Die Macht besa? er, regierte wie ein Konig in Ostpreu?en und der Ukraine, mit einer Grausamkeit, die Tausende von Mannern, Frauen und Kindern in den Tod trieb, in Konzentrationslagern verschwinden lie? und die ganze Dorfer zerstorte, verbrannte und einebnete. Seine Macht und sein Ha? auf die» slawischen Untermenschen «war so gro?, da? selbst Rosenberg und der Chef der Polizei der Ukraine, der Hohere SS- und Polizeifuhrer Hans Prutzmann, Beschwerde bei Hitler fuhrten. Nur erreichten sie nichts… Koch war machtiger.

Bei den Frauen hatte der Gauleiter selten mit Gegenwehr zu rechnen, aber nicht etwa, weil er ein schoner, charmanter Mann war. Koch war mittelgro?, hatte gro?e, leicht abstehende Ohren und trug unter der breiten Nase einen kurzen Schnurrbart, eine» Fliege«, ahnlich wie sein von ihm vergotterter Fuhrer Adolf Hitler, und saufen konnte er, als sei er ein endloser Schlauch. Seine Erfolge im Bett waren in den meisten Fallen auf die Angst der Frauen, ihm Widerstand zu leisten, zuruckzufuhren. Frauen nannte er grundsatzlich Weiber oder, wenn er in Stimmung war,»geile Wackelarsche «oder» Titten mit Beinen«. In Konigsberg und uber das ganze Land verstreut hatte er sich seine» Liebeslauben «eingerichtet. Am luxuriosesten war das alte, ehrwurdige Herrengut Nasza Polska (Unser Polen) zwischen Warschau und Nasielsk. Hier hatte Koch sein Schlafzimmer mit Spiegelwanden ausgestattet und uber dem breiten Himmelbett ebenfalls einen riesigen Spiegel an der Decke anbringen lassen. Wohin man also beim Liebesspiel blickte… man sah sich von allen Seiten: ein Zimmer voll von kopulierenden Paaren. Hier fuhlte sich Erich Koch wohl, hier war er der Sonnenkonig des Ostreiches. Weiber — das war Leben!

Mit der dritten Leidenschaft, dem Prunk, hatte er ein gespaltenes Verhaltnis. Seine Plane, sich wie ein echter Herrscher mit wertvollen Kunstschatzen zu umgeben, erfullten sich nur teilweise oder zogernd. Zu viele waren nach den Eroberungen unterwegs, um sich mit Gemalden, Gobelins, Mobeln, Teppichen, Goldschmiedearbeiten oder Bibliotheken und Porzellanen einzudecken. Goring raubte fur seine feudalen Landsitze Karinhall und Schorfheide, Rosenberg fur Hitler und sein Linzer Traummuseum, Himmler fur seine Villa auf dem Obersalzberg, Ribbentrop als Sammler fur den Fuhrer, Generalgouverneur Frank fur seine Hauser, nur Martin Bormann zeigte wenig Interesse an der Kunst, dafur aber um so mehr fur die Sammelleidenschaft der anderen. Immer wieder rugte er das Abtransportieren von unersetzlichen Kunstwerten, die dem» Fuhrervorbehalt «unterlagen, mahnte die unbedingte Befolgung des Fuhrerbefehls an und lie? alle oberen Reichsbehorden wissen, da? er sehr wohl uber alles unterrichtet sei und im Namen des Fuhrers eingreifen werde.

Gauleiter Koch beklagte im kleinen Freundeskreis sein Schicksal, immer nur die Brosamen einsammeln zu konnen, die ihm die Gro?en vom Kunsttisch ubrig lie?en. Naturlich reichte auch das aus, um seine Hauser mit herrlichen Kunstwerken zu schmucken, aber es war sozusagen die zweite Garnitur. Das verletzte Kochs Stolz ungemein… hier im Osten war er die Nummer eins, Ostpreu?en der schonste aller Gauen. Wem also stand daher das Schonste aus den eroberten Schlossern, Bibliotheken, Klostern und Museen zu?

Am 19. September 1941, als der Einschlie?ungsring um Leningrad geschlossen war und Generalfeldmarschall Ritter von Leeb, der Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Nord, den Artilleriebeschu? der Stadt zur Demoralisierung der Bevolkerung befahl — ein Bombardement, das 18 Stunden dauerte, 18 Stunden lang ein Regen von Granaten —, hatte Gauleiter Koch seinen Vertrauten, den Gauamtsleiter Bruno Wellenschlag und den Direktor der Kunstsammlungen der Stadt Konigsberg, Dr. Wilhelm Findling, zu einem Glas Wein in seine Wohnung eingeladen. Dr. Findling, mehr ein ernster und stiller Mensch, der die Wissenschaft liebte, als ein Zechkumpan, hatte vor der Einladung noch kraftig gegessen und sich Magnesiumpillen eingesteckt.»Das wird wieder eine Sauferei!«hatte er zu seiner Frau gesagt.»Koch hat angerufen.«

Sie sa?en nun in tiefen Sesseln, tranken zum Auftakt des gemutlichen Abends eine Flasche franzosischen Kognak und horten Erich Koch zu, der nichts Neues oder Bewegendes berichtete: Er lobte des Fuhrers Tatkraft, Ru?land in einem Sturmlauf ohne Beispiel niederzuzwingen. Die» Ostmark«, wie Koch die eroberten Gebiete nannte, wurden einmal die Kornkammer und das Gemusebeet des Reiches werden. Plotzlich aber unterbrach er sich selbst und beugte sich zu Dr. Findling vor.

«Kennen Sie Puschkin?«fragte er.

«Ja. Das alte Zarskoje Selo, Herr Gauleiter.«

«Schlo? an Schlo?, nicht wahr?«

«Vor allem zwei: Der Katharinen-Palast und das AlexanderPalais.«

«Sie waren schon dort?«

«Dreimal, Herr Gauleiter.«

«Dann kennen Sie ja auch das Bernsteinzimmer.«

«Aber bestens. So etwas gibt es nie wieder. Das gro?te Kunstwerk, das jemals aus Bernstein hergestellt wurde. Wie der Fuhrer es ausdruckte: Das deutsche Gold der Ostsee. Seit Jahrhunderten nennt man es auch den >Sonnenstein<.«

Dr. Findling nahm einen tiefen Schluck Kognak. An Bernstein konnte er sich begeistern wie Koch an einer schonen Frau. Die beruhmte Konigsberger Bernsteinsammlung lagerte in seinen Stadtischen Kunstsammlungen, atemberaubende kunstlerische Bernsteinarbeiten und ein Kleinod von Millionenwert: ein Kabinettschrank mit Flugelturen und Schubladen, alles in leuchtendem Bernsteinmosaik. Er hatte ein paar enthusiastische Bucher geschrieben und war seither als Bernsteinfachmann international angesehen.

«Ich wei?, Herr Gauleiter«, sagte er jetzt,»woran Sie denken.«

«Genau an das, Dr. Findling. «Koch war in bester Stimmung. Der Kognak war gut, und die Frau, die Bruno

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