Wellenschlag ihm fur den Rest des Tages zugefuhrt hatte, schien vorzuglich. Sie wartete im Schlo? in einem abgelegenen Zimmer, das Koch seinen Reitstall nannte.

«Das Bernsteinzimmer. Sie mochten es gern in Konigsberg haben…«

«Mochten? Ich will! Hierher gehort es, hier ins Schlo?, und nirgendwo anders hin! Dr. Findling, konnen Sie sich vorstellen, wie das sein wird: Das Bernsteinzimmer hier bei uns im Schlo??!«

«Ein geradezu marchenhafter Gedanke, Herr Gauleiter.«

«Kein Marchen! Ich lasse es wahr werden! Ich schaffe das.«»Da gibt es doch fur au?ergewohnliche Kunstwerke den >Fuh-rervorbehalt<. Das Zimmer fallt bestimmt darunter.«

«Und wenn… ich werde mit Bormann sprechen. Nur ich kann das. Habe ich nicht dafur gesorgt, da? am dritten Mai 1933 ein Gesetz zum Schutze des Bernsteins erlassen wurde?«

«Das war eine epochale Tat, Herr Gauleiter.«

Dr. Findling meinte das ehrlich. Wenn es um Bernstein ging, schob sein Enthusiasmus alles andere beiseite, auch seine politischen Ansichten. Er war weder Parteimitglied noch in sonst einer Organisation, mit Ausnahme des NS-Beamtenbundes, und das auch nur, um seine Stellung als Museumsdirektor zu behalten und die Kunstschatze nicht in die Hande eines Heil-Hitler-Nazis fallen zu sehen. Er hatte keinen NS-Rang, hatte nie eine Uniform getragen mit Ausnahme im Ersten Weltkrieg, wo er es bis zum Unteroffizier gebracht hatte, weil — so sagte man ihm — er zu damlich sei, um Offizier zu werden. Er sah lieber einen van Gogh an als ein Maschinengewehr — mit einer solchen Einstellung konnte man kein Soldat sein. Nicht in der kaiserlichen Armee. Mit Gauleiter Koch verband ihn nur, da? dieser auch im Schlo? residierte und den Bernstein besonders liebte. Sonst hielt er auf Distanz bis auf die Saufabende, denen er nicht immer ausweichen konnte, denn so viele Ausreden hatten selbst Koch nachdenklich gemacht.

Dr. Findling zuckte dennoch zusammen, als Koch mit gro?er Betonung sagte:

«Fahren Sie nach Puschkin und verhindern Sie, da? sich jemand anderes unser Bernsteinzimmer untern Nagel rei?t. «Er sagte tatsachlich» unser Bernsteinzimmer«, als sei es schon in seinem Besitz.

«Zunachst wird man mich gar nicht nach Puschkin lassen. «Dr. Findling trank wieder einen Schluck Kognak.»Das ist absolutes Kampfgebiet. Da kommt keiner rein, ein Zivilist sowieso nicht. Die erste Kontrolle wird mich schon festnehmen.«

«Ich sorge dafur, da? Sie nach Puschkin kommen. «Erich Koch erhob sich, holte den Eiskubel mit den Weinflaschen von einem anderen Tisch und schuttelte den Kopf, als Bruno Wellenschlag aufsprang, um den Kuhler zu tragen. Bei solchen Gesprachen verzichtete Koch auf seine ihn sonst bedienenden Ordonnanzen. Hier wollte er ungestort sein, ohne fremde Aj-gen und Ohren, genau wie im Bett, wenn er sich schnaufend in den Spiegeln betrachtete.»Ich werde Bormann anrufen oder — das ist vielleicht am besten — gleich ins Fuhrerhauptquartier fahren. In der >Wolfsschanze< habe ich immer offene Turen. Und was hei?t hier Fuhrervorbehalt, Dr. Findling?! Naturlich wird der Fuhrer fur sein Riesending in Linz das Bernsteinzimmer von uns bekommen. Es sei denn, ich kann ihn uberzeugen, da? das gro?te Kunstwerk aus Bernstein dorthin gehort, wo man den Bernstein findet… nach Ostpreu?en, also nach Konigsberg!«

«Wissen Sie, was wir zum Abtransport brauchen, Herr Gauleiter?«

«Sagen Sie es, Dr. Findling.«

«Mindestens zwanzig Lastwagen.«

«Haben wir!«Koch lachte und bog sich dabei nach hinten.»Wenn keiner sie hat, ich habe sie! Ganz offiziell. Ich werde eine >Transportstaffel Koch< zusammenstellen, und dann geht's los, meine Lieben. «Er entkorkte die erste Flasche, eine Rudesheimer Auslese von 1931, roch am Flaschenhals, go? sich einen Schluck ein, roch am Korken und in das Glas, nahm einen kleinen Schluck und kaute den Wein, ehe er ihn hinunterschluckte.»Ein Himmelstropfchen, wirklich«, sagte er mit echter Begeisterung.»Was gehort zum Schonsten dieses Lebens? Eine geile Frau, ein herrlicher Wein und — «

«Und die notige Potenz!«sagte Wellenschlag respektlos.»Bruno, hat es je daran gefehlt?!«Koch go? die Weinglaser voll und stie? dann Wellenschlag die Faust in den Rucken.»Bist ja nur neidisch. Nach der ersten Nummer liegst du da und schnarchst. Ich werde erst ab Nummer vier so richtig munter! Prost! Auf unser Bernsteinzimmer!«

Sie hoben die Glaser und stie?en an. Dr. Findling seufzte innerlich. Er mochte solche Reden nicht, er fand sie ordinar und obszon, aber wer mit Koch auskommen wollte, mu?te sich daran gewohnen. Nicht einmal seine Nichte entging den anzuglichen Bemerkungen und vulgaren Ausdrucken, mit denen Koch alle Frauen auf ihre Gebarfunktion reduzierte. Er fand das wunderbar und nannte es volkstumlich.

Die Sauferei dauerte bis drei Uhr morgens.

Dr. Findling tastete sich an den Wanden entlang durch die Schlo?gange bis zu seiner Wohnung, es fiel ihm schwer, sich aufrecht zu halten, zumal er gro?te Lust verspurte, auf allen vieren vorwarts zu kriechen. Aber er erreichte ohne Kratzer oder Beulen sein Zuhause, fiel neben seiner Frau aufs Bett, hatte keine Kraft mehr, sich auszuziehen, stammelte nur noch:»Wenn das gelingt… wenn das gelingt…«und schlief sofort ein. Das fast kindliche Lacheln blieb auf seinem Gesicht.

Bruno Wellenschlag begleitete seinen Gauleiter zu dem Lie-beszimmer, in dem die von ihm besorgte Frau schon seit Stunden wartete. Sie lag halb ausgezogen auf dem Bett und schlief. Eine hubsche Frau mit langen rotlichen Haaren.

«Du bist ein Fachmann, Bruno«, sagte Koch und zog seine Jacke aus, streifte die Hosentrager herunter und begann, seine Hose aufzuknopfen.»Genau das richtige zum Nachtisch. Und jetzt raus, du Zuhalter!«

Wellenschlag verlie? schnell das Zimmer. Beleidigen konnte man ihn nicht mehr. Wer jahrelang mit Koch arbeitete, hatte verlernt, sich aufzuregen. Zur Beruhigung trug bei, da? man unkundbar war… man wu?te zu viel. Nur der Tod konnte die Verbindung ausloschen, nur war auch das fur den Gauleiter kein besonderes Problem.

Im Zimmer stand Koch nackt vor der schlafenden Frau und wippte auf den Zehen auf und nieder. Er fuhlte sich pudelwohl… die richtige Menge Alkohol machte ihn zum LiebesChampion.

Aber auch Gauleiter Koch kam nicht weiter mit» seinem «Bernsteinzimmer. Martin Bormann war nicht zu erreichen, weder in Rastenburg im Fuhrerhauptquartier, noch in der Parteikanzlei. Ihn privat in seiner Villa auf dem Obersalzberg anzurufen, wo Bormann neben Goring und Himmler auf einem Hugel mit wundervoller Fernsicht wohnte, wagte er nun doch nicht.

Erst am 22. September bekam Koch nach lautem Gebrull mit einem Adjutanten Martin Bormann ans Telefon und trug ihm seine Vorschlage vor. Bormann, der gerade von Hitlers Mittagstafel kam, schien ein offenes Ohr fur Kochs Vorstellungen zu haben.

«Der Fuhrer hat eben von den Museen in und um Leningrad gesprochen«, sagte er.»Die noch vorhandenen Kunstschatze sollen selbstverstandlich gerettet werden. Auf Wunsch des Fuhrers hat Generalfeldmarschall Keitel sofort eine Weisung an die Heeresgruppe Nord erlassen, den bronzenen Neptunbrunnen im Oberen Garten von Schlo? Peterhof auszubauen. Ein Nurnberger Bildhauer aus dem 17. Jahrhundert hat ihn geschaffen, und der Fuhrer sagt ganz richtig: Er gehort nach Nurnberg! Er wird sofort zusammen mit der beruhmten Samsonstatue und anderen Figuren der gro?en Kaskade ausgebaut. Das Bernsteinzimmer… hm, ich werde mit dem Fuhrer daruber sprechen. Warten Sie weitere Weisungen ab, Gauleiter.«

Hoffnungsfroh legte Koch auf. Kein striktes Nein… das bedeutete ein halbes Ja. Rosenberg, Ribbentrop, Goring und alle anderen Interessenten schienen ausgeschaltet. Der» Konig von Ostpreu?en «besa? den besseren Draht zum Fuhrerhauptquartier.

Inzwischen argerte sich Major Muller-Gie?en grundlich und fand sich nur schwer mit seiner Enttauschung ab. Er hatte mit seinen Kunstexperten ein paar Zimmer im Sommerpalais des Zaren Alexander bezogen, hatte sich gebadet und die Uniform von seinem Burschen ausbursten lassen, a? vorsorglich vier Spiegeleier und trank eine halbe Flasche Rotwein dazu und fuhlte sich danach kraftig genug, das hubsche Schwesterchen herumzufuhren und — wie versprochen — ihr alles zu zeigen. Die Erinnerung an seine franzosischen Erlebnisse machte ihn geradezu beschwingt.

Im Bernsteinzimmer aber traf er das tolle Schwesterlein nicht an. Der widerliche Zivilist, dieser Russendeutsche Wachter, sa? auf einem Hocker neben der Tur und wartete auf ihn. Mu l-ler-Gie?en blieb ruckartig stehen.

«Was machen Sie hier?«fragte er schnarrend.»Sie sind Ihrer Aufgabe, auf das Zimmer aufzupassen, enthoben!«

Michael Wachter verzichtete darauf, mit Muller-Gie?en uber dieses Thema einen Streit anzufangen. Hoflich erhob er sich von seinem Sitz und sagte:

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