«Ich soll Ihnen mitteilen, Herr Major, da? Schwester Jana nicht kommen kann.«

«Ach!«Muller-Gie?en schnaufte durch die Nase.»Das kann sie mir nicht selbst sagen?«

«Dann ware sie ja hier.«

«Und wo ist sie?«

«Das wei? ich nicht. Sie mu? dringend in ein Lazarett, sagte sie.«

«In welches?«

«Das hat sie nicht gesagt. Ich habe auch nicht gefragt, sie war sehr in Eile.«

«Schei?e!«Muller-Gie?en stampfte im Bernsteinzimmer hin und her, versuchte, seine Enttauschung zu dampfen, gab sich dann einen sichtbaren Ruck und verlie? gru?los den Saal. Er fragte sich im Schlo? durch, bis er den Oberstarzt im Stabe der Division gefunden hatte und bat um Auskunft.

«Wieviel Lazarette haben wir in Puschkin?«sagte er.

«In Puschkin selbst oder auch in der Umgebung?«

«Im naheren Gebiet, Herr Oberstarzt.«

«Oje! So aus dem Armel schutteln kann ich das nicht. Mit den zuruckliegenden Hauptverbandsplatzen, Krankensammelstellen und Feldlazaretten konnten es im Gebiet um Puschkin mindestens neunzehn sein. «Der Oberstarzt sah MullerGie?en verwundert an.»Wozu wollen Sie das wissen?«

«Es geht mir darum, ob Lazarette in Schlossern eingerichtet sind, in denen sich noch wertvolle Kunstschatze befinden«, sagte Muller-Gie?en glaubwurdig. Seine Enttauschung wuchs. Neunzehn mindestens… unmoglich, sie alle abzuklappern und das Schwesterchen zu suchen. Jana hie? sie. Ein Name, so schon wie sie selbst. Jana, das pa?te genau zu ihr. Jana…»Unsere Arzte und Sanitater interessieren sich fur die Verwundeten, nicht fur Gemalde oder Antiquitaten. «Der Oberstarzt wurde verschlossener. Muller-Gie?en sah ein, da? es keinen Sinn hatte, noch mehr zu fragen. Vorbei, dachte er bitter. Vorbei, ohne da? es angefangen hat. Ubermorgen mu?te man weiter nach Petrodworez, wo der Sonderfuhrer Dr. Hans-Heinz Runnefeldt den Neptunbrunnen ausbaute. Er hatte von der 18. Armee die notigen Lastwagen bekommen… kein Kunststuck, wenn es der Fuhrer selbst befahl.

Muller-Gie?en gru?te, sagte artig:»Danke, Herr Oberstarzt «und wandte sich aus dem Zimmer. Auf dem Flur sagte er wieder laut sein Lieblingswort:»Schei?e!«und verlie? den Katharinen-Palast. Vor der Treppe parkte sein Wagen. Der Fahrer, ein Unteroffizier, las in der Soldaten-Illustrierten Die Wehrmacht, was Kriegsberichterstatter von allen Kriegsschauplatzen schrieben, fotografierten oder zeichneten. Er warf sie sofort auf den Nebensitz, als Muller-Gie?en aus dem Schlo? sturmte.

«Zuruck zum Alexander-Palais!«schnarrte Muller-Gie?en. Er lie? sich auf den Rucksitz fallen und lehnte sich zuruck.»Nein… fahren Sie in die Stadt. Halten Sie auf der Bolschaja, dem Gro?en Platz. Aber flott, flott, ehe es ganz dunkel wird. «Die Nacht verbrachte er dann mit einem drallen Bauernmadchen, das er an der Stra?e nach Puschkin auflas. Sie regte ihn nicht sonderlich auf; sie lag da wie ein Brett, hatte die Augen geschlossen und erduldete den schwitzenden deutschen Offizier. Ein unbefriedigender Ersatzfick, so sah es auch Muller-Gie?en. Er schenkte dem Madchen drei Tafeln Schokolade, zwei Pakete mit Dauerkeks und eine kleine runde Blechkonserve mit Leberwurst. Das Madchen war glucklich, ku?te ihm die Hand und rannte dann davon. Nur deshalb hat sie's getan, sagte sich Muller-Gie?en und wusch sich ihren Geruch vom Korper. Wie anders ware das mit Jana gewesen. Wie himmelhoch jauchzend. Aber 19 Lazarette abklappern — ein Wahnsinn!

«Und morgen — «, sagte er laut ins Zimmer hinein,»organisiere ich zwanzig Lkws! Ich werde mit Kuchler selbst sprechen!«

Es blieb ein frommer Wunsch. Generaloberst von Kuchler

«Er ist weg«, sagte Wachter und rieb sich die Hande.»Mit Dampf vor der Nase wie ein wutender Stier. Der kommt nicht wieder.«

Jana Petrowna sa? vor dem kleinen Radio, als Wachter zuruck in seine Wohnung kam. Sie hatte den Ton ganz leise gestellt und sich zum Lautsprecher vorgebeugt. Sie horte Radio Leningrad, die Aufrufe an die Bevolkerung, die Berichte von den Verteidigungsma?nahmen und den Kampfen an der Ringfront. Nichts wurde beschonigt oder verschwiegen. Die Einwohner von Leningrad wu?ten, was sie bei der Blockade erwartete: Hunger, Tod, Bomben und Granaten und im kommenden Winter das Erfrieren. Aber nie, nie wurde man die Hande hochheben und sich ergeben. Leningrad blieb russisch. Sie schaltete das Radio aus, richtete sich auf und fuhr sich, wie immer, wenn sie innerlich erregt war, mit gespreizten Handen durch die Haare.

«Danke, Herr Wachter«, sagte sie gehorsam. Ihr war eher zumute, aufzuspringen, zu ihm hinzulaufen und ihm um den Hals zu fallen.

Drei Tage lang blieb Jana in Wachters Wohnung und traute sich nicht hinaus. Erst als es sicher schien, da? Muller-Gie?en mit seinem» Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg«, ERR, nicht mehr in Puschkin herumschnuffelte, wagte es Jana, wieder als Rote-Kreuz-Schwester im Katharinen-Palast herumzulaufen. Wie erwartet: Sie fiel wieder niemandem auf. Keiner fragte, woher sie kam und was sie hier wollte. Man fragte nur, ob sie Zeit habe… Eine Menge Offiziere bemuhte sich darum, ihr die langweiligen Abende zu vertreiben. Sie blieb standhaft bei aller Freundlichkeit und allem aufreizenden Lacheln, und so wurde sie zum Wettobjekt im Offizierskasino.

Wem gelingt es, das su?e Schwesterchen ins Bett zu tragen? Wer wird der Sieger sein beim Sturm auf ihren Unterleib? Sie war doch nicht etwa noch unschuldig? Du lieber Himmel, was sind denn das fur Arzte, die solch einen Engel noch als Jungfrau herumlaufen lassen?! Kameraden, die Degen

heraus -

Am 28. September wechselte die Besetzung des Schlosses. General von Kortte verabschiedete sich von Wachter, als lie?e er einen guten Freund zuruck. Sein Armeekorps wurde in den ostlichen Teil des Einschlie?ungsringes verlegt. Dafur bezog der Stab des 50. Armeekorps den Katharinen-Palast.

«Ich wunsche Ihnen alles Gute«, sagte von Kortte zum Abschied.»Vielleicht sehen wir uns einmal wieder… irgendwo… Sie sind ja leicht zu finden. Wo das Bernsteinzimmer ist, sind auch Sie.«

«Wenn wir den Krieg uberleben, Herr General. «Wachter schluckte, seine Stimme wurde unsicher.»Ich danke Ihnen fur alles. Wenn Beten hilft, dann werde ich fur Sie beten. Vielleicht wacht Gott auf… jetzt schlaft er…«

«Sagen Sie das nicht so laut, Wachter, das ist Defatismus. Wehrkraftzersetzung. Das wird mit dem Tode bestraft. Denken und reden Sie nur vom Endsieg, dann uberleben Sie. Das Bernsteinzimmer braucht Sie doch. «Von Kortte klopfte Wachter auf die Schulter.»Sie haben keine Kinder, keine Erben?«»Nichts, Herr General. «Wachter versuchte ein kumpelhaftes Grinsen.»Aber es ist noch nicht zu spat… bin ja erst funfundfunfzig Jahre alt.«

«Beeilung, mein Lieber, Beeilung!«Von Kortte lachte und gab Wachter noch einmal die Hand.

«Und wer kommt jetzt hierher, Herr General?«

«Das 50. Korps. Kommandeur General Jobs von Haldenberge.«

«Kennen Sie ihn?«

«Mehr oder weniger. Mit ihm kann man reden. Ich werde ihn auf Sie hinweisen. Ein ernster, aber angenehmer Mann. Sie werden ihn von dem Bernsteinzimmer uberzeugen konnen, bei mir haben Sie's ja auch geschafft…«

Am Abend traf die lange Kolonne des Stabes des 50. Armeekorps beim Katharinen-Palast ein. General Jobs von Haldenberge bezog wie von Kortte das Chinesische Zimmer. Sein Schlafzimmer schlug er im Schlafraum von Katharina II. auf. Ein Zimmer, das ein kleines Heer von Liebhabern der Zarin gesehen hatte und dessen Wande, konnten sie sprechen, von ungeheuren Liebesrauschen erzahlen wurden.

Am nachsten Morgen lie? sich Wachter bei General von Haldenberge melden. Zur Verbluffung des Adjutanten empfing ihn der Kommandeur ohne lange Wartezeit. Haldenberge war bekannt dafur, jede unnutze Storung als eine personliche Beleidigung anzusehen.

«Sie wurden mir schon empfohlen, Herr Wachter«, sagte er. Aber er gab ihm nicht die Hand, wie es von Kortte getan hatte. Ein Handedruck war fur ihn schon eine Art von Vertraulichkeit.»Ich habe eine halbe Stunde Zeit. Sie konnen mir das sagenhafte Bernsteinzimmer zeigen.«

Jana Petrowna, die im Zimmer stand, um General von Haldenberge kennenzulernen, wurde von ihm uberhaupt nicht beachtet. Eine Krankenschwester, die in ihrer Freizeit Kunstschatze ansieht… was soll's?!

«Phanomenal!«sagte von Haldenberge, als Wachter ihm unter einer losen Verkleidung eine der Wandtafeln und Figuren zeigte.»So etwas habe ich noch nie gesehen. Kein Wunder, da? der Fuhrer so etwas fur das Reich retten will. Das gibt's nicht wieder.«

«Der Fuhrer?«fragte Wachter dumpf.

«Ja. Hat Ihnen von Kortte nicht gesagt, was da lauft?«General von Haldenberge starrte an die Decke mit den

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