«Jeder Tag ist wichtig!«sagte er deshalb mit dem gebotenen Ernst.»Puschkin liegt im Kampfgebiet, da kann allerhand passieren.«

«Wie wahr und scharf beobachtet. «Von Haldenberge bot Z-garetten an. Wollters lehnte ab, Dr. Runnefeldt griff mit geradezu suchtiger Gier zu.»Wo geschossen wird, kann was passieren. «Der Spott war so dick, da? Wollters sich wie verhohnt vorkam.»Sie fangen sofort an?«

«Ja. Morgen schon, Herr General.«

«Wieviel Hilfskrafte brauchen Sie?«

«Ein paar nur. «Dr. Runnefeldt rauchte drei tiefe Zuge, inhalierte den Rauch und stie? ihn dann sto?weise aus.»Zuviel stehen sich im Weg. Sechs, hochstens zehn Mann. Manner mit Gefuhl in den Handen. Das ist eine diffizile Arbeit. Da braucht man Fingerspitzengefuhl. Vielleicht haben Sie sogar Kunstler in ihrer Truppe?«

«Das la?t sich feststellen. Auch in den Lazaretten lasse ich nachfragen. Bestimmt haben wir Kunstler hier. Es wird aber langer als einen Tag dauern.«

Wollters wollte schon fragen, wieso man mehr als einen Tag dafur brauchte, aber Dr. Runnefeldt schnitt ihm vorher das Wort ab.»Wir werden uns unterdessen mit dem Bernsteinzimmer befassen und die Verkleidungen entfernen lassen. Dazu brauchen wir keine Fachleute. «Er warf einen schnellen Blick zur Seite.»Sie wollten auch etwas sagen, Herr Rittmeister?«»Nein!«Wollters schob das eckige Kinn vor. Er war beleidigt. Was bildet sich dieser Sonderfuhrer ein, dachte er wutend. Sonderfuhrer… noch nicht mal ein Offizier! Ein neugeschaffener Dienstgrad, um auch ewige Zivilisten in die Ehre zu versetzen, eine Uniform zu tragen. Eine Beleidigung fur jeden Offizier. Fur jeden ehemaligen Kadetten. Und so einer will hier kommandieren? Spielt sich auf und blaht sich wie ein Puter?! In der Tasche schleppt er einen Fuhrerbefehl herum — wenn schon, das berechtigt ihn zwar zu Aktionen, die von oberster Stelle abgesegnet sind, aber es berechtigt ihn nicht dazu, einen Rittmeister wie einen Stallburschen zu behandeln.

Eine Ordonnanz brachte auf einem Tablett Kaffee und Geback. Silberne Kannen, zartes Mei?ner Porzellan, blanke silberne Bestecke. Besitz der Zarin Elisabeth… die Zimmer waren voll davon.

Dr. Wollters nahm seinen Kaffeeloffel und fuhrte ihn an die Augen. Dann drehte er die Tasse herum und sah die gekreuzten Schwerter. Wirklich, echtes altes Mei?en.

«Und die Kannen stammen aus der besten Silberschmiede von Petersburg«, sagte von Haldenberge mokant und klemmte sein Monokel ins Auge.»Sie sollen schon Zar Peter dem Gro?en gehort haben.«

Geht auch mit, dachte Dr. Wollters, ohne auf die Bemerkung des Generals einzugehen. Alles geht mit: die Ikonen, das Silber, die Edelsteinsammlung, die aus Gold, Bergkristall und Edelsteinen hergestellten Kronleuchter in den Prunksalen. Nichts bleibt hier. Mein lieber General, ich wei? genau, welch ungeheuren Schatze noch im Katharinen-Palast lagern. Nicht einmal Dr. Runnefeldt wei? das, und das beruhigt. Drei oder vier der altesten und besten Ikonen werden einmal in meinem Arbeitszimmer hangen… und ich werde mich noch nicht einmal schamen.

Er wurde aus seinen angenehmen Gedanken aufgeschreckt, als er von Haldenberge sagen horte:»Eine Ordonnanz wird Sie zu Herrn Wachter bringen.«

«Wer ist Wachter?«fragte Dr. Runnefeldt erstaunt.

«Ein Spinner. «Dr. Wollters winkte lassig ab.»Er wartet das

Bernsteinzimmer… seit uber 200 Jahren, wie er sagt. Familientradition. Benimmt sich, als sei er der Besitzer. Auf ihn konnen wir verzichten.«

«Ich mochte ihn trotzdem kennenlernen. «Dr. Runnefeldt e-hob sich und druckte seine Zigarette in einem vergoldeten Aschenbecher aus. Er gehorte einmal dem Zaren Alexander II.»Vielleicht kann er uns Ratschlage geben?«

«Ratschlage? Ein Museumsdiener, ein Lakai — «sagte Wollters hochmutig.

«Ich bin fur jeden Ratschlag dankbar. Ein Museumsdiener wei? manchmal besser Bescheid uber die ihm anvertrauten Kunstschatze als ein Museumsdirektor. Ich hatte mal einen SaalWachter, der hat sogar eine Falschung entdeckt. Wir gro?en Experten hielten es fur echt und hatten jede Expertise unterschrieben.«

Sie gru?ten stramm, von Haldenberge tippte kurz an seine Stirn, was einen Gru? bedeuten konnte oder auch etwas anderes, auf jeden Fall war es doppeldeutig. Dann standen sie drau?en, warteten auf den Ordonnanzoffizier und schwiegen sich an.

Im Bernsteinzimmer stand nur ein alterer Mann, als sie die Tur offneten. Der Offizier drehte sich wortlos um und lie? sie allein. Dr. Runnefeldt streckte seine Hand aus, Dr. Wollters ging provokativ an die freigelegte Bernsteintafel und betrachtete sie. Dabei pfiff er leise vor sich hin:»So leben wir, so leben wir, so leben wir alle Tage…«

«Sie sind Herr Wachter, nicht wahr?«sagte Dr. Runnefeldt freundlich.»Der Herr General hat uns von Ihnen erzahlt. Sie gehoren zum Bernsteinzimmer?«

«So ist es. «Wachter nickte und wunderte sich.»Sie sind Dr. Runnefeldt…«

«Ja.«

«Von der SS?«

«Nein. Wieso? Ach deshalb!«Er sah an seiner Uniform hinunter.»Ich bin der Leiter des Au?enamtes der Staatlichen Museen von Berlin. Der Fuhrer hat mir einen Sonderauftrag erteilt. Ich bin kein Soldat und kein Offizier und kann daher den Ehrenrock nicht tragen. Da hat man mir den SS-Habitus verliehen und mich zum Sonderfuhrer gemacht. «Dr. Runnefeldt hob die Schultern.»Uniform mu? eben sein.«

Dr. Wollters pfiff lauter. Unerhort, maulte er in Gedanken. Diese Kumpelhaftigkeit mit einem niedrigen Angestellten. Und so etwas setzt man mir, einem Rittmeister, vor die Nase! Uberhaupt dieser Wachter! Hat man ihn uberpruft? Wer hat ihn uberpruft? Wo ist die Personalakte? Der kann ja Wunder was erzahlen, die Wolken vom Himmel lugen, und ist in Wirklichkeit ein sowjetischer Agent! 225 Jahre im Dienste der Russen… das ist doch mehr als ungewohnlich! Und will nie in den Jahrhunderten ein Russe geworden sein? Wer glaubt das denn? Wenn von dem Burschen keine Personalakte besteht, werden wir ihm eine verpassen lassen und seine Vergangenheit aufrollen! Vielleicht quellen uns dann die Augen uber, was fur ein Burschchen das ist.

«Sie wollen also das Bernsteinzimmer ausbauen und mitnehmen?«fragte Wachter. Er war nun doch ein wenig beruhigt, da? es nicht die SS war, die das Zimmer als Siegesbeute beschlagnahmte und es damit fur alle Zeit verschwinden lassen wurde.

«Ja«, antwortete Dr. Runnefeldt.»Morgen geht's los. Wir werden das Zimmer ganz vorsichtig in die einzelnen Wandtafeln zerlegen, gut in speziell dafur anzufertigende Kisten verpacken und wegbringen. Wir sollen dafur achtzehn Lkws bekommen. «Dr. Runnefeldt starrte auf den Rucken Dr. Wollters, der noch immer pfiff. Jetzt war es der Paradiermarsch.»Helfen Sie uns dabei, Herr Wachter?«fragte er betont laut.

«Wenn ich darf — «

«Wenn jemand das Bernsteinzimmer kennt wie sich selbst, dann sind Sie es.«

«Die wenigsten kennen sich selbst, Herr Doktor.«

«Da haben Sie recht. Viele sind sich selbst gegenuber blind. «Das war auf Dr. Wollters abgeschossen. Er verstand es sofort richtig und pre?te die Lippen zusammen. Sein Pfeifen verendete in einem Zischlaut.

«Und wohin bringen Sie das Zimmer jetzt?«fragte Wachter.

Gro?e Hoffnung, das zu erfahren, hatte er nicht.

Aber Dr. Runnefeldt machte kein Geheimnis daraus.»Nach Konigsberg«, sagte er.

«Konigsberg. «Wachters Gehirn arbeitete fieberhaft. Konigsberg. Ostpreu?en. Das Bernsteinzimmer blieb im Osten! Eine winzige Hoffnung stieg in ihm auf… nach Konigsberg konnte man mitkommen. Dr. Runnefeldt war nicht jemand, der sofort nein sagen wurde. Wirklich, mit ihm konnte man reden. Schon da? es zwischen ihm und Dr. Wollters offensichtliche Spannungen gab, war eine kleine Tur in die Zukunft.

«Spater, nach dem Endsieg, wird es im gro?ten Museum der Welt aufgebaut. «Dr. Runnefeldt machte eine weite Armbewegung durch den ganzen Saal.»Das Bernsteinzimmer wird das Glanzstuck sein. Ein Museum, das der Fuhrer in Linz bauen wird, ein Kunsttempel fur tausend Jahre..«

«Davon habe ich schon gehort. Linz an der Donau, in Osterreich.«

«In der Ostmark, mein lieber Wachter. Aber diese Feinheiten kennen Sie noch nicht. «Dr. Runnefeldt lachelte breit.»Ihre Familie war immer in russischen Diensten… warum sind Sie nicht Russe geworden?«

«Das war ein Auftrag von Konig Friedrich Wilhelm I. Wo das Bernsteinzimmer auch sein mag, ein Wachter, der immer ein Deutscher bleibt, soll es betreuen.«

«Und Sie sind nun der letzte?«

«Ja — «sagte Wachter zogernd.»Ja, Herr Doktor. Es ist mir nie gelungen, Kinder zu zeugen. Meine Frau

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