Gauleiter?«

«Sie sind schon unterwegs. 18 Lkws, mit meinen besten Fahrern. Von Pleskau sind die Kunstexperten des Einsatzkommandos >Hamburg< des AA unterwegs, dem der Fuhrerauftrag zugeteilt wurde. Rittmeister Dr. Wollters und Sonderfuhrer Dr. Runnefeldt werden die Aktion leiten. Der Kommandeur des 50. Armeekorps, General von Haldenberge, wird uns so viel Hilfskrafte zur Verfugung stellen, wie wir brauchen. In spatestens 14 Tagen werden wir das Bernsteinzimmer hier im Schlo? empfangen…«Koch go? sich auf diesen Triumph noch einmal den Kognakschwenker voll und leerte ihn in einem Zug, ohne Luft zu holen oder zu spucken.»Was sagen Sie nun, Dr. Findling?«

«Nichts — «

«Nichts?!«

«Ich kann nichts mehr sagen, Herr Gauleiter. Ich bin zu uberwaltigt. «Findling meinte es ehrlich. Der Gedanke, in 14 Tagen den gro?ten Bernsteinschatz in seinem Schlo?museum zu beherbergen, druckte ihm fast die Luft ab.»Ist es nicht moglich, da? ich auch nach Puschkin fahre?«

«Unzweckma?ig ware das. Ausbau und Transport sind militarische Aktionen, so ist es mit Generaloberst von Kuchler abgesprochen. Schon wegen Rosenberg. Der liegt auf der Lauer wie der Teufel auf eine Kardinalsseele. Erst wenn das Bernsteinzimmer in Konigsberg ist und bei Ihnen abgeladen wird, legen wir die Hande drauf. «Erich Koch begann im Zimmer hin und her zu wandern, die Hande auf dem Rucken verschrankt.»Sie sollten sich bis dahin uberlegen, wo Sie das Zimmer wieder aufbauen konnen.«

«Es kommt dafur nur ein Raum im dritten Gescho? des Sudflugels in Frage. «Dr. Findlings Stimme schwamm noch immer. Sein klopfendes Herz war kaum zu beruhigen.»Wenn man eine Wand herausnimmt, konnte er die ungefahren Ma?e von Puschkin haben.«

«Und was ist jetzt darin?«

«Der Raum gehorte zur Gemaldegalerie. Wir stellen dort Werke von Liebermann, Modersohn-Becker und Corinth aus.«»Entartete und judische Kunst!«fugte Wellenschlag eilfertig hinzu.»Sogenannte Kunst, Gauleiter, eine Schreckenskammer.«

«Raus damit!«Koch stie? den rechten Zeigefinger wie einen Dolch auf Dr. Findling.»Wieso gibt es diese Schmierereien uberhaupt noch? Warum sind sie nicht verbrannt worden?«»Auch im >Haus der Deutschen Kunst< in Munchen gibt es einen Saal mit entarteter Malerei und Plastik. Auf Wunsch des Fuhrers. Zur Abschreckung und zur Bildung einer gesunden volkischen Kunst. Man kann gute Kunst nur erkennen im Vergleich mit solchen Auswuchsen.«

«Dr. Findling, das ist wahr. «Koch nickte mehrmals.»Der Fuhrer sieht das richtig. Er war ja selbst ein Kunstler. Hat auch gemalt. Also, was machen Sie mit den judischen Schmierern?«

«Sie kommen in den Keller, Herr Gauleiter. «Dr. Findling atmete auf. Das ging knapp an einer Katastrophe vorbei, dachte er. Koch hatte alles verbrennen lassen konnen. Ein Gluck, da? mir die Sache mit Hitler einfiel. Man sollte sich in kritischen Situationen immer auf ihn beziehen. Eine bessere Ruckendeckung gibt es gar nicht.

Koch blieb abrupt vor Dr. Findling stehen und zog das Kinn an. Dadurch bekam er ein Doppelkinn, was dem Gesicht eine trugerische Gutmutigkeit verlieh.

«Sie werden einen Zeitungsartikel schreiben, Doktor«, sagte er.»Die Ruckkehr des Bernsteinzimmers in seine Heimat.«»Wie Sie wunschen, Herr Gauleiter. «Dr. Findling war bereit, schier alles zu tun, wenn diese Kostbarkeit in das Schlo?m u-seum kam. Es war der Hohepunkt seines Lebens, ein erfullter Traum, ein wahrgewordenes Marchen. Er stellte sich den Augenblick vor, in dem er mit seinen Handen uber die leuchtenden Bernsteinmosaiken, Figuren und Girlanden streicheln wurde. Welch ein ungeheures Gefuhl! Es machte ihn wieder atemlos.»Man soll es nur vorsichtig ausbauen, ganz vorsichtig… mit Gefuhl, wenn man so sagen darf.«

«Dafur wird Dr. Runnefeldt schon sorgen. «Gauleiter Koch lie? sich in einen Sessel fallen und streckte die Beine von sich. Diesmal war er in Uniform, trug weitausladende BreechesHosen, seine Reitstiefel glanzten wie Lackleder.»Reichsleiter Bormann konnte keinen Besseren empfehlen.«

«Soll das Bernsteinzimmer denn ausgestellt werden?«Dr. Findling hielt Wellenschlag sein Glas hin. Jetzt war der Alkohol wie Medizin fur ihn. Ein inneres Feuer nahm von ihm Besitz.»Soll es der Offentlichkeit zuganglich sein?«

«Warum nicht?«Koch zog die Augenbrauen hoch.»Dafur holen wir es doch! Erst Konigsberg, spater Linz… wenn es mir nicht gelingt, den Fuhrer umzustimmen und es in Konigsberg zu lassen. Als Symbol des >deutschen Goldes<.«

Die alte Weisheit, da? Diebe mit ihrer Beute niemals prahlen, galt nicht mehr. Die Eroberer waren stolz auf ihre Raubzuge, jeder sollte ihre Beute sehen und bewundern. Das Volk der Sieger durfte begeistert sein.

Rauber-Ehre.

Wer zweifelte jetzt noch am Endsieg?

Nur Wehrkraftzersetzer… und die richtete man hin.

Am 1. Oktober traf die kleine Kolonne des Au?enministeriums des» Einsatzkommandos Hamburg «in Puschkin ein. Den Weg zum Katharinen-Palast kannte man ja, hielt vor der Freitreppe und stieg etwas lahm von der langen Fahrt und unter Recken und Kniebeugen aus den Wagen. Koffer wurden ausgeladen und in einer exakten Reihe neben die Treppe gestellt.»Da sind sie…«sagte Michael Wachter. Mit Jana Petrowna stand er am Fenster eines kleinen Zimmers, das mit wei?em und blauem Email verziert war und das man die» Tabaksdose «nannte. Das einzige Mobelstuck, das in dem Zimmer stand, war ein gro?er, uberbreiter orientalischer Diwan. Auf ihm, wie auch nebenan im Schlafgemach, hatte Zarin Katharina II. ihre Liebhaber empfangen und mit ihrer unersattlichen Wollust ausgesaugt. Hinterher wurde geraucht… und deshalb hie? das kleine Zimmer» Die Tabaksdose«.

«Tatsachlich. Dr. Wollters ist gekommen«, sagte Jana.»Verstecken mu? ich mich jetzt. Nicht sehen darf er mich. Sein

Blick ist so merkwurdig.«

«Warten wir es ab, Jana. «Wachter beobachtete das Ausladen der Wagen. Ein Ordonnanzoffizier von General von Haldenberge war aus dem Schlo? gekommen und sprach mit einem Mann, der eine SS-Uniform trug mit silberglanzenden Schulterstucken, die schmaler waren als die ublichen Offizierslitzen.»Das mu? Dr. Runnefeldt sein«, sagte Wachter und verkrampfte die Finger ineinander.»Was… was hat die SS damit zu tun? Ich denke, sie kommen vom Au?enministerium? Jana, das sieht bose aus — «

«Was hast du vor, Vaterchen?«Ihre dunklen Augen suchten in seinem Gesicht nach einer Regung, aber es war wie eine starre, unbewegliche Maske.»Du kannst nichts mehr tun…«

«Ich werde Ihnen helfen«, sagte Wachter dumpf.

«Helfen, Vaterchen?«

«Beim Abnehmen der Vertafelungen werde ich ihnen helfen. Beim Einpacken, beim Verladen… nichts darf mehr beschadigt werden. Es ist schon genug zerstort worden.«

«Wenn sie dich noch an das Zimmer lassen…«

«Mit Dr. Runnefeldt werde ich sprechen. Der General sagt, er hat mehr zu sagen als Rittmeister Wollters. «Er blickte wieder hinunter auf die Wagen und starrte auf den Mann in der SS-Uniform. Der hatte die Beine etwas gespreizt, den Kopf in den Nacken gelegt und betrachtete die herrliche Fassade des Palastes. Man sah ihm an, da? er von diesem Anblick uberwaltigt war.»Ich glaube, mit ihm kann man sprechen. Er hat gute Augen.«

«Ein SS-Offizier…?«

«Es gibt auch Tiger, die man streicheln kann. «Wachter trat vom Fenster der» Tabaksdose «zuruck.»Ich gehe hinunter und begru?e sie. Alle mussen wissen, da? ich genauso zum Bernsteinzimmer gehore wie eine der geschnitzten Rosen oder Rosetten.«

Wachter zog seinen Rock an, streichelte der bleichen Jana Petrowna uber das nervos zuckende Gesicht und verlie? schnell das kleine Email-Zimmer.

General von Haldenberge hatte unterdessen die Herren vom

AA empfangen, uberflog kurz ihre Legitimationen und bot ihnen Platz auf den mit kostbaren Perlmuttbildern verzierten chinesischen Stuhlen.

«Sie wurden mir schon vom Armeestab angekundigt«, sagte er.»So schnell habe ich Sie nicht erwartet. Sind Sie auf einer Kanonenkugel wie weiland Munchhausen geritten?«

Dr. Runnefeldt lachte. Dr. Wollters verzog keine Miene. Er, der Humorlose, sah darin gar keinen Witz, eher eine perfide Anspielung auf seinen Titel Rittmeister. Erst dieser von Kortte, jetzt dieser von Haldenberge… ausgerechnet in der Generalitat gibt es eine Menge solcher Typen!

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