starb sehr fruh. Ich habe sie sehr geliebt und an eine andere, neue konnte ich mich nicht gewohnen. Ich wei?, das ist ein Fehler. Seit 225 Jahren haben die Wachters Sohne gehabt, nun erlischt mit mir der Auftrag des Konigs. «Er schwieg einen Moment, dachte an Nikolaj, der vielleicht jetzt in der Eremitage in Leningrad wohnte und mit viel Gluck diesen morderischen Krieg uberleben konnte. Wenn nicht… dann hatte er jetzt nicht gelogen.

Er nahm allen Mut zusammen und sah Dr. Runnefeldt voll in die Augen. Gute Augen hat er, dachte er wieder. Nur die SS-Uniform machte ihn so gefahrlich.

«Und deshalb… deshalb hatte ich eine Bitte«, sagte Wachter und atmete tief durch.»Als letzter der Wachters… kann man mich da gebrauchen? Kann ich mitfahren nach Konigsberg?«Dr. Wollters drehte sich auf den Absatzen um. Die Sohlen seiner Reitstiefel knirschten uber das kostbare Intarsienparkett.»Unerhort!«sagte er emport.»Was bildet sich dieser Mensch blo? ein?! Das leere Schlo? kann er spater bewachen und Ratten, Wanzen und Kakerlaken jagen.«

Er schwieg abrupt, und ihm war plotzlich klar, da? er einen gro?en, nie wieder gutzumachenden Fehler begangen hatte. Prompt reagierte Dr. Runnefeldt.

«Ich will mich fur Sie verwenden, Herr Wachter«, sagte er.»Aber ich bin nur zustandig bis Konigsberg, bis zur Ablieferung. Was dann kommt, entscheidet Museumsdirektor Dr. Findling in eigener Verantwortung. Unter uns — Dr. Findling ist ein sehr angenehmer Mensch, und vor allem der gro?te Bernstein-Experte, den wir haben.«

«Ich kann also Hoffnung haben?«

«Ohne Hoffen ware das Leben sinnlos.«

«Und Sie… Sie nehmen mich mit nach Konigsberg?«

«Das wei? ich noch nicht«, Dr. Runnefeldt legte die Hand auf Wachters Schulter. Es war soviel wie ein stummes Versprechen.»Richten Sie sich auf jeden Fall darauf ein.«

Kurz nach diesem Gesprach sturzte Wachter in seine Wohnung, ri? Jana Petrowna in seine Arme, ku?te sie, als sei er ein junger sturmischer Liebhaber, drehte sich mit ihr im Kreis und strahlte vor Gluck.

«Ich werde mitfahren, Tochterchen!«rief er.»Nach Konigsberg werde ich mitfahren… mit meinem Zimmer… Bei ihm werde ich sein… bis Nikolaj aus dem Krieg zuruckkommt und ihr einen Sohn habt. Vielleicht ist es wirklich besser, da? es aus dem Schlo? wegkommt. Gerettet wird es und nicht unter Granaten und Bomben begraben. Jana, mein Tochterchen, das Schicksal meint es gut mit uns!«

An diesem Tag trug der fur das Tagebuch des 50. Armeekorps verantwortliche Offizier auf einer Au?enstelle des Korps in das Buch ein:

1.10.1941 Krasnogwardejsk:

Zur Sicherstellung der Kunstgegenstande im Befehlsbereich des L.A.K. sind vom A.O.K. 18 Rittmeister Dr. Wollters und Sonderfuhrer Dr. Runnefeldt eingesetzt.

Und an diesem Abend — wer hat nicht Verstandnis dafur — betrank sich Michael Wachter nach langer Zeit. Aus dem Schlafzimmer der Zarin Maria-Feodorowna holte er seine letzte Wodkaflasche. Er hatte sie im Bett aus Ahornholz versteckt.

Eintragung in das Kriegstagebuch des 50. Armeekorps:

14.10.1941 Krasnogwardejsk

Abtransport der durch die Kunstsachverstandigen Rittmeister Dr. Wollters und Sonderfuhrer Dr. Runnefeldt in Puschkin sichergestellten Kunstgegenstande, u.a. der Wandverkleidung des Bernsteinsaales aus Schlo? Puschkin (Zarskoje Selo), nach Konigsberg…

Es waren 14 Tage, in deren Nachten Michael Wachter kaum Ruhe fand, und wenn er ubermudet auf ein Feldbett sank und drei Stunden erschopft und unruhig schlief, dann nur im Bernsteinzimmer. Das Feldbett hatte er mit einem zum Ausbau abkommandierten Soldaten aus dem Schlafzimmer von Zar Alexander I. geholt. Es stand in dem Barockschlafzimmer hinter einem Vorhang… eine spartanische Ruhestatt des soldatischen Zaren.

Bei der Auswahl der Helfer, die Dr. Runnefeldt angefordert hatte, Manner mit Fingerspitzengefuhl, gab es allerdings einige Vorfalle.

So lie? der Hauptfeldwebel, auch Spie? genannt, eine zur Erholung und Auffrischung aus der Front nach Puschkin abgezogene Kompanie antreten, und es entstanden bemerkenswerte Dialoge.

«Alle mal herhoren!«schrie Hauptfeld Max Himmerich und blickte die Reihe seiner Soldaten entlang.»Wer ist Kunstler?«

Keiner meldete sich. Man kannte Himmerich zu gut. Wenn sich jemand meldete, konnte es hei?en:»Was sind Sie? Bildhauer? Ab zur Latrine und die trockene Schei?e von den Wanden hauen!«

«Ja, gibt's das denn?«brullte Himmerich.»Ich habe keinen Kunstler in der Kompanie?! Nur Analphabeten? Alle Kunstler — vortreten!«

Zogernd traten jetzt drei Mann aus den Reihen und bauten sich drei Schritte vor der Kompanie auf. Hauptfeld Himmerich kniff die Augen zusammen. Drei, immerhin etwas.

Er ging zum ersten Freiwilligen und starrte ihn an. Die drei Kerle sahen nicht aus wie Kunstler, auch wenn Himmerich nicht wu?te, wie ein Kunstler auszusehen hatte.

«Was sind Sie?«knarrte er.

«Schutze Eberhard Gneisl, Herr Hauptfeld.«

«Was habe ich gesagt«, brullte Himmerich.»Nicht wer Sie sind!«

«Impressionist«

«Aha!«Himmerich zog die Augenbrauen hoch. Impremist, dachte er. Was ist das? Sicher unbrauchbar…

«Wegtreten!«bellte er. Der zweite Kunstler grinste breit, als Himmerich zu ihm kam.»Und Sie?«

«Topfer, Herr Hauptfeld.«

Himmerich holte tief Atem.»Sie Idiot!«schrie er und wurde hochrot im Gesicht.»Stellt Topfe her und nennt sich Kunstler!«Nummer drei sah mit gemischten Gefuhlen seiner Befragung entgegen und nahm Haltung an, als Himmerich vor ihm stand.»Und Sie? Sind wohl artistischer Kunstschei?er?!«

«Nein, Herr Hauptfeld… Bleiverglaser.«

Himmerich stutzte. Was man darunter verstand, war ihm vollig unbekannt, auf jeden Fall gehorte es nicht zur Kategorie Kunstler, wie Himmerich sie verstand. Kein Pianist, kein Sanger, kein Maler, nicht mal ein Anstreicher. War das eine sauma?ige Kompanie!

«Wegtreten!«brullte Himmerich. Er sah die lange Reihe der Angetretenen an und steckte den Daumen neben das Spie?buch in den aufgeknopften Uniformschlitz.»Ich brauche p-manden mit Fingerspitzengefuhl.«

«Hier, Herr Hauptfeld!«rief es aus der Mitte.

«Vortreten!«

Ein Gefreiter kann nach vorn und baute sich vor Himmerich auf.

«Was sind Sie?«Himmerich war auf alles gefa?t.

«Schneider, Herr Hauptfeld.«

Himmerich atmete horbar auf. Ein Schneider! Wenn ein Schneider kein Gefuhl in den Fingerspitzen hatte, konnte er einpacken! Wozu tragen die Schneider alle einen Fingerhut? Das war der richtige Mann!

«Sie melden sich abmarschbereit in einer halben Stunde bei mir!«sagte Himmerich wohlwollend.»Sie werden nach den Zarenschlossern verlegt. Kompanie weggetreten!«

Zufrieden stiefelte er zuruck n seine Schreibstube. Nur ein Mann, aber immerhin — die Ehre der Kompanie war gerettet. Kunstler sind eben selten, wei? der Teufel, wohin man sie eingezogen hat.

Immerhin — so kamen aus Puschkin zehn Manner mit Fingerspitzengefuhl zusammen und meldeten sich bei Dr. Runnefeldt. Im Vertrauen auf die gute Organisation der Wehrmacht befragte er nicht jeden einzeln, sondern versammelte sie im Bernsteinzimmer. Drei Verschalungen waren bereits abgetragen worden. Die Pracht, die darunter zum Vorschein kam, lie? jeden Betrachter ganz still werden.

«Das Bernsteinzimmer…«sagte einer der zehn leise. Dr. Runnefeldt sah zu ihm hinuber.

«Sie kennen es?«

«Nur von Bildern, aber die konnen nie wiedergeben, wie es wirklich ist. Das erschlagt einen ja.«

«Was sind Sie von Beruf?«

«Bildhauer, Herr Sonderfuhrer.«

«Das ist ja vorzuglich. Wenn Rittmeister Dr. Wollters und ich nicht da sein sollten, ubernehmen Sie das Kommando. Sie hei?en?«

«Ludwig Gronau, Herr Sonderfuhrer.«

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