«Sie haben ein unverschamtes Gluck, Herr Wollters«, sagte er, deutlich verargert.»Acht Lkws sind frei fur Sie… Zufrieden?«

«Hervorragend. «Dr. Wollters uberdachte schnell, was er hatte zurucklassen mussen, wenn es nur zwei Wagen gewesen waren.»Dann kann ich die Ikonen und Gemalde aus der Schlo?kapelle und der Schlo?kirche noch mitnehmen. Haben Sie diese herrliche Ikonostase gesehen? Eine geschnitzte, vergoldete Zwischenwand, uber und uber bedeckt mit edelsteinbesetzten Ikonen der beruhmtesten Schulen.«

«Ja. Ich habe sie gesehen.«

«Wir mussen noch einen Tag dranhangen, Herr Dr. Runnefeldt. Ich lasse die ganze Nacht hindurch die Wand abtragen.«»Morgen fruh fahren wir los: Werden Sie es bis dahin schaffen? Wir konnen den Transportplan ohne Zustimmung des Armeekommandos nicht umsto?en. Das wissen Sie. Generaloberst Kuchler ware stinksauer.«

«Ich schaffe es. «Dr. Wollters spurte, wie seine Nerven vibrierten. Acht Wagen voll… Geschenke fur den Fuhrer… wenn das nicht in der» Wolfsschanze «lobend aufgenommen wurde, gab es keine Gerechtigkeit mehr. Und funf, na, sagen wir zehn Ikonen aus dieser Fulle von Kunst konnte man privat abzweigen, bei rund 700 Ikonen fielen diese zehn gar nicht auf. Schon gar nicht die geschnitzten goldenen Hodensacke… sie tauchten in keiner Liste auf, in keinem» Sicherstellungspapier«, Dr. Wollters hatte sie ubersehen.»Wann sind Sie mit dem Verladen fertig?«

«In drei Stunden, denke ich.«

«Kann ich dann Ihre zehn Spezialisten und die Pioniere haben?«

«Sprechen Sie mit dem Leutnant, Herr Wollters.«

«Herr Runnefeldt, wir ziehen doch beide am gleichen Strang — «

«So ist es… nur jeder am anderen Ende.«

Wollters blickte Runnefeldt mit bosem Blick nach, als dieser zuruck zu den Lastwagen ging. Fatzke, dachte er wutend. Hochnasiges Arschloch. Ich werde alles in einem vertraulichen Bericht niederschreiben und es Ribbentrop zukommen lassen. Auch ein Dr. Runnefeldt ist entbehrlich… da hilft ihm keine

Verbindung zu Bormann und dem Fuhrer. Gerade im Fuhrerhauptquartier wechseln schnell die Stimmungen.

Er verlie? schnell das kahle Zimmer und ging mit weit ausgreifenden Schritten durch die langen Gange des Palastes zur Schlo?kirche.

Michael Wachter sa? auf seinem Hocker mitten im ausgeraumten Saal, als Dr. Runnefeldt zu ihm hinaufkam.»Das hatten wir geschafft«, sagte er mit muder Stimme.»Den schonen Fu?boden nehmen wir nicht mit?«

«Noch nicht… beim nachsten Mal aber bestimmt.«

«Sie wollen noch mal in den Katharinen-Palast, Herr Doktor?«»Wir mussen, Herr Wachter. «Dr. Runnefeldt zeigte nach oben.»Wir mussen uns etwas einfallen lassen, die Deckengemalde unversehrt wegbringen zu konnen. Dann geht auch das Mosaikparkett mit.«

«Wann fahren Sie?«

«Morgen, ganz fruh.«

«Ich werde da sein und Abschied nehmen von meinem Bernsteinzimmer.«

«Ach ja…«Dr. Runnefeldt starrte wieder auf die Deckengemalde, um Wachter nicht in die Augen sehen zu mussen.»Wir werden noch fruher der Kolonne vorausfahren.. Dr. Wollters, ich und — Sie.«

Es traf Wachter wie ein elektrischer Schlag. Er zuckte hoch und pre?te beide Hande flach gegen seine Brust. Nur jetzt nicht umfallen, bettelte er. Herz, halt stand… verkrafte es, bitte, bitte, sei jetzt stark genug. Du darfst mich jetzt nicht verlassen, Herz.»Ich darf tatsachlich mit…? Nach Konigsberg? Sie nehmen mich also mit, Herr Doktor? Ich kann bei meinem Bernsteinzimmer bleiben?«

«Bis Konigsberg sicherlich. Was dann wird, das kann ich nicht bestimmen. Das mussen Dr. Findling und Gauleiter Koch entscheiden. Ich habe es Ihnen schon einmal gesagt. Sind Sie zum Abmarsch bereit?«

«Ja, Herr Doktor. «Wachter holte tief und mit einem Rocheln Atem.»Alles steht gepackt bereit. Drei Koffer, mehr habe ich nicht, was ich mitnehmen kann. Das meiste gehort ja dem

Schlo?.«

«Rechnen Sie damit, da? Sie nie wieder nach Puschkin kommen. Vielleicht nach dem Endsieg, wenn der KatharinenPalast dann noch steht.«

«Es geht mir nicht um das Schlo?, Herr Doktor, auch wenn wir Wachters hier uber 200 Jahre lang gelebt haben.«

«Ich wei?, Sie und das Bernsteinzimmer gehoren zusammen. Ich glaube, das wird auch Dr. Findling einsehen. «Dr. Runnefeldt zog sein Kinn an den Uniformkragen und zwang sich, au?erlich keine Ruhrung zu zeigen. Als er sah, wie Wachters Augen glanzten und dieser Schimmer von verhaltenen Tranen kam, drehte er sich weg und verlie? schnell das leergeplunderte Zimmer.

Die zehn Lastwagen standen aufgereiht langs der Zufahrt zum Katharinen-Palast, die Planen fest verschnurt, die Fahrerkabinen verschlossen. Acht Wagen warteten neben der Schlo?kirche, um mit den Kunstgegenstanden beladen zu werden, die Dr. Wollters noch ausbaute. Die zehn Kunstler mit Fingerspitzengefuhl und der Zug der Pioniere arbeiteten ohne Unterbrechung, nahmen die Ikonostase auseinander, holten die Kronleuchter von den Decken, schleppten gro?e chinesische Vasen und brokatene Barockmobel ins Freie und stapelten die eingehullten Ikonen und Gemalde, Gobelins und Teppiche. Dr. Wollters stand an der Tur und strich jedes herausgetragene Teil penibel auf seinen Listen an.

Ein kurzer Haken. Aus! Es wurde Ru?land nie wiedersehen. Unteroffizier Julius Paschke, geboren in Berlin- Wedding, von Beruf Kaminkehrer, den man als nicht kriegswichtigen Betrieb eingestuft hatte, sa? auf dem Trittbrett von Wagen sieben und hielt Wache. Ohne Bewachung wollte Dr. Runnefeldt seine wertvolle Fracht nicht in der Nacht herumstehen lassen… auch die festeste Kiste war fur einen Landser kein Hindernis, wenn er an etwas herankommen wollte. Im Rhythmus von zwei Stunden losten sich die Wachen ab, nur Julius Paschke mu?te langer aushalten. Er war Kolonnenfuhrer der Wagen sechs bis zehn und au?erdem der vorgesetzte Wachhabende, der UvD, der Unteroffizier vom Dienst.

Er sa? da auf dem Trittbrett, rauchte eine Zigarette nach der anderen, hatte einen Mordsappetit auf eine Flasche Bier, auch wenn es Dunnbier war, das man Urinol oder Pissulin nannte, und hing schweren Gedanken nach. Vor allem beschaftigte ihn seine Frau Johanna, ein hubsches Frauchen mit strammen Titten und einem geilen runden Arsch, und seit Paschke an der Front war — und er war vom ersten Tage des Einmarsches in Polen dabei — fragte er sich immer: Was macht sie jetzt? Liegt sie in dieser Nacht wirklich allein im Bett? Denkt sie immer an den Spruch: Hab Gott vor Augen und die Buxe zu…? Noch genug Manner waren in der Heimat, in den kriegswichtigen Fabriken, bei Siemens zum Beispiel, und diese Kerle sahen es gewisserma?en als Verpflichtung an, die Frauen ihrer kampfenden Kameraden nicht vertrocknen zu lassen. War Johanna auch so eine?

Beim letzten Urlaub hatte Paschke versucht, ihr ein Kind zu machen, aber das war mi?lungen. Wieso, das wu?te Paschke auch nicht. Er hatte sich 14 Tage lang unermudlich bemuht und kam dann durchaus nicht erholt zur Truppe zuruck. Hannas Brief, der in dem Satz gipfelte:»Nix ist, Julius. Die polnischen Weiber haben Dich schlapp gemacht!«, war Anklage und Spott zugleich. Jetzt lag sie vielleicht unter einem dieser als unabkommlich erklarten Kerle und blies ihm ihren Atem ins Gesicht. Himmel, Arsch und Zwirn, hoffentlich ist der Schei?krieg bald zu Ende…

Er schrak zusammen, sein gesenkter Kopf zuckte hoch. Vor ihm stand eine weibliche Gestalt in einer Schwesterntracht. Lautlos war sie gekommen, vollig ohne Gerausch, als sei sie durch die Luft geflogen.

«Det is ja wunderbar!«sagte Julius Paschke, warf seine Zigarette weg und zermalmte sie mit der Stiefelsohle.»Wat is jefallig? Blutdruck, Herzklopfen oder Entlausung? Is alles da, Schwesterchen. Am schlimmsten empfind ick di Spannung in der Hose…«

«Ich mochte Sie um etwas bitten. «Jana Petrowna zogerte einen Moment, dann setzte sie sich neben Paschke auf das

Trittbrett. Ein leichter Parfumgeruch umwehte Paschke und erinnerte ihn an den Puff von Riga.

Jeijeijei… ausgerechnet jetzt! Beim Wacheschieben gibt es kein anderes Schieben. Madchen, ich komme vors Kriegsgericht — einen Teufel werde ich tun!

«Schie? los, Kleene, wat soll's denn sein?«sagte er und musterte Jana von der Seite. Sein Blick blieb auf ihrem Busen haften, und er kratzte sich nervos die Nase. Immer wenn's gemutlich wird, kommt was dazwischen.

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