Willy Schmidt winkte frohlich durch die Scheibe und spitzte die Lippen.

«Ku?chen!«rief er.»Ku?chen! Mach das Fenster auf, Su?e… der scharfe Willy ist da!«

Nur einen Augenblick hatte Jana gezogert, dann kehrte ihre Geistesgegenwart zuruck. Mit verfuhrerischem Lacheln kam sie ans Fenster, aber sie offnete nicht die Flugel. Durch die Scheibe rief sie:»Hau ab, du Kletteraffe.«

Willy Schmidt grinste breit, machte eine eindeutige Handbewegung und klopfte wieder an die Scheibe.

«Mach auf, Schatzchen!«rief er und druckte seine Stirn gegen das Fenster.»Ich sag dir, du verpa?t was! Ich habe drei Atu in der Hose…«

«Da mu? ich erst Stabsarzt Dr. Reiners fragen… meinen Verlobten«, rief Jana zuruck.

«Ach, Schei?e… immer die Offiziere und Arzte!«Willy Schmidt lie? sich an seinem Tau wegpendeln, winkte noch einmal zu Jana hin und verschwand dann vom Fenster in die Tiefe. Mit weichen Beinen ging Jana zum Sofa zuruck. Was nun? dachte sie. Wird er das den anderen erzahlen? Wird jetzt jemand kommen und nachsehen, was eine Rote-Kreuz-Schwester im Schlo? zu suchen hat?

Sie wartete, breitete Verbandsmull, Pflaster, eine Schere und ein Flaschchen mit Desinfektionsflussigkeit auf dem Tisch aus, als ob sie Wachter noch versorgen mu?te, obgleich seine Platzwunde am Kopf langst verheilt war. Aber niemand kam. Willy Schmidt schwieg. Nicht, weil er abgeblitzt war und deswegen nicht von seinen Kameraden verspottet werden wollte, sondern aus der Erfahrung heraus, da? man ein Offiziersliebchen nicht aufrei?en durfte. Einmal hatte er es getan, in Uh-kenntnis der Lage, beim Einmarsch in Polen, im Lazarett von Sokolow, wo er eine Woche lang lag mit einem grandiosen Durchfall und zu seinen Stubenkameraden sagte:»Jungs, ich kann doch nichts dafur… ich schei?e mich tot…«Kurz vor seiner Entlassung aus dem Lazarett hatte er dann Irma kennengelernt, aber mehr als uber ein Streicheln ihrer Brust war er nicht hinausgekommen. Doch das genugte. Oberarzt Dr. Muthesius, Irmas Nachtgefahrte, hatte das Griffekloppen zufallig gesehen, schi? Schmidt grauenhaft zusammen und sorgte dafur, da? er ohne Erholungsurlaub sofort wieder an die Front kam.

So ein Erlebnis machte vorsichtig. Finger weg von Offi-ziershupferchen…

Wachter war sehr betroffen, als Jana Petrowna ihm am Abend von der Begegnung am Fenster erzahlte.»Ab sofort ziehen wir die Vorhange dicht zu«, sagte er.»Besser im Halbdunkel sitzen als in einer Zelle. Wirklich, man kann nie vorsichtig genug sein. Wer denkt denn daran, da? die au?en an der Fassade herumturnen?«

Aber auch am nachsten Tag kontrollierte niemand Wachters Wohnung. Jana und er atmeten auf. Ihr Schicksal hatte sich noch nicht erfullt.

Punktlich am 12. September traf die Kolonne von 18 Lkws der» Transportstaffel Koch «in Puschkin ein. An einem Seiteneingang fuhren sie auf und standen dann auf den Zentimeter ausgerichtet auf dem Kies. Der Transportleiter, ein Oberleutnant, meldete sich in der Armeekorps-Adjutantur und dann bei Dr. Runnefeldt.

«Das klappt ja vorzuglich!«sagte Runnefeldt und gab dem Oberleutnant die Hand.»Das ist eben deutsche Grundlichkeit. Haben Sie Holzwolle bei sich?«

«Aber ja. Gauleiter Koch ahnte schon, da? es damit Schwierigkeiten gibt. Jeder Wagen hat ein paar Sacke Holzwolle bei sich.«

«Phantastisch! Hier ist wirklich einer, der noch denken kann. «In Wahrheit dachte er: Kochs Interesse ist gefahrlich gro?. Was spukt da in seinem Gehirn herum? Was hat er mit dem Bernsteinzimmer vor? Zwar gibt es da den Fuhrerbefehl, den» Fuhrervorbehalt«, und Bormann wird ein waches Auge auf das Bernsteinzimmer haben… aber Koch ist alles zuzutrauen. So harmlos er aussieht, so ein Gauner ist er auch. Ein Gluck, da? es noch einen Dr. Findling gibt -

Wahrend der Oberleutnant ins Kasino gefuhrt wurde, um nach der langen Fahrt wieder etwas Anstandiges zu essen und zu trinken, und die 36 Fahrer, fur jeden Lkw zwei Mann abwechselnd am Steuer, in der Mannschaftskuche zum Koch gingen und sagten:»Nun greif man in dein Versteck, Junge, und bring was Gutes auf die Platte… wir sind vom Fuhrer ausgesucht…«, teilte Dr. Runnefeldt die Neuigkeit im Bernsteinzimmer mit. Hier standen bereits 21 verpackte Kisten, nur die Holzwollaus-kleidung fehlte. Sechs Schreiner klopften die restlichen Kisten zusammen.

«Wir haben Holzwolle, soviel wir wollen!«rief Runnefeldt frohlich.»Die Organisation lauft wie am Schnurchen! Herr Wachter, wischen Sie Ihre Sorgenfalten weg!«

«Nun ist es soweit«, sagte am Abend Wachter zu Jana Petrowna.»Wenn Runnefeldt mich tatsachlich mitnimmt nach Konigsberg, was wird dann aus dir? Wir werden uns trennen mussen… und wo sehen wir uns wieder? Was auch mit mir passiert, du mu?t den Krieg uberleben, Tochterchen.«

Sie nickte, bereitete Wachter das Abendessen und feilte seither an ihren Gedanken, die sie seit vier Tagen beschaftigten.

Sie sprach nicht daruber, es war ihr Plan, und Vaterchen wurde ihn glatt verbieten, wenn er ihn erfahren wurde. Eine gro?e Uberraschung sollte es au?erdem werden, auch wenn er sie hinterher beschimpfte.

Dr. Wollters war voll damit beschaftigt, die anderen Kunstgegenstande zu verpacken. Fur jede der unbezahlbaren alten Ikonen — viele stammten aus der beruhmten Nowgoroder Schule — lie? er ein Futteral aus dickem Packpapier oder Pappe anfertigen. Dann wurden die Kronleuchter zerlegt und in Kisten verstaut. Schwierigkeiten gab es nur mit dem Bett von Katharina II. und den Penisstuhlen… Dr. Runnefeldt hatte Wollters wenig Hoffnung gemacht, hm zwei Lastwagen extra abzugeben. Erst das Bernsteinzimmer… wenn dann noch Platz war, bitteschon. Von Mobeln hatte man im OKW nichts gesagt, und von geschnitzten und vergoldeten Hodensacken schon gar nicht. So etwas fiel nicht unter den» Fuhrervorbehalt«. Das war hochstens eine Kunst fur den Frauenjager Josef Goebbels.

«Auch ungefahr 20 000 Bucher mussen mit«, hatte Wollters gesagt.»Aus den Klostern, von Monchen handgeschrieben. Mit Initialen, gemalt mit Kobalt, Purpur und Gold! Ganze Gemaldeseiten zum biblischen Text. Dr. Runnefeldt, so etwas mu? einfach mit. Dafur mu? Platz vorhanden sein.«

«Erst das Bernsteinzimmer«, wiederholte Runnefeldt geduldig.»Vielleicht haben Sie Gluck, Herr Wollters.«

Am fruhen Morgen des 13. Oktober begann das muhsame Verladen. 27 gro?e Kisten fullte das demontierte Bernsteinzimmer, und Dr. Runnefeldt zeichnete jede auf dem Deckel mit seinem Namen ab, bevor sie in die Lastwagen gehoben wurden. Die Kisten waren so schwer, da? Dr. Runnefeldt bei General von Haldenberge vorsprach und um Hilfe bat. Ein Zug des in Kampfreserve bei Puschkin liegenden PionierBataillons ruckte zum Katharinen-Palast aus und brachte e-nen kleinen fahrbaren Kran und einen Flaschenzug mit.»Vorsicht!«sagte Dr. Runnefeldt zu dem jungen Leutnant, der den Zug fuhrte.»Gro?te Vorsicht. Da ist alles zerbrechlich in den Kisten. Nirgendwo ansto?en, und fallen lassen — das ware eine Katastrophe.«

«Meine Jungs sind Spezialisten. «Der Leutnant blickte zu den Fenstern des abmontierten Saales. Ein dicker Kragbalken aus Vierkantholz wurde gerade durch ein Fenster geschoben und verankert. Man machte es mit soldatischem Improvisationstalent: Die Pioniere schlugen einfach dicke Stahlkrampen in die Fensterbrustungen und innen in die nun kahlen Wande. Der gro?e Flaschenzug konnte in Kurze aufgehangt werden.

Auch Spezialisten haben mal eine schwache Minute. Es passierte nicht beim Herunterlassen der Kisten, sondern beim Einschwenken des Krans auf einen der Lastwagen. Ein Strick ri?, Dr. Runnefeldt griff sich entsetzt an die Stirn, der PionierLeutnant brullte auf… aber verhindern konnte man nichts mehr. Die Kiste Nr. 19 rutschte aus den Stricken und fiel laut krachend mit der Kante auf den Kiesboden.

«Da haben wir's!«rief Dr. Runnefeldt erregt.»Jetzt ist nur noch Bruch in der Kiste.«

«Ich bitte festzustellen«, sagte der Leutnant mit eisiger Miene,»da? die Verschnurung der Kisten nicht von uns gemacht worden ist. Die Verantwortung liegt bei Ihnen.«

«Habe ich Ihnen einen Vorwurf gemacht?«Dr. Runnefeldts Stimme konnte auch drohnend werden, was ihm niemand zugetraut hatte.»Ich stelle nur fest: Eine Kiste ist im Eimer!«»Das werden Sie ja beim Auspacken sehen. Vielleicht haben Sie Gluck. Bei solcher Holzwollenstopfung… und die Fallhohe war auch nicht gro?.«

«Sie wissen ja gar nicht, was Sie da verladen.«

«Ich will es auch gar nicht wissen.«

Der Leutnant ging hinuber zu der Kiste, die gerade mit dem Flaschenzug heruntergelassen wurde, und lie? Dr. Runnefeldt einfach stehen.

Am spaten Nachmittag waren die Lkws beladen. Zehn Fahrzeuge hatte das Bernsteinzimmer gebraucht… Acht Wagen blieben ubrig. Dr. Runnefeldt ging ins Schlo? und traf Wollters im halb abgerissenen Bernsteinsaal an.

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