«Also, Gronau… Sie sind mir jetzt verantwortlich. «Er zeigte auf Wachter, der den Bildhauer kritisch musterte.»Und das ist Herr Wachter. Er hat das Bernsteinzimmer bisher gepflegt, er gehort zum Zimmer. Wenn Sie Fragen haben, wenden Sie sich an ihn. Und noch etwas: Wenn Herr Wachter Vorschlage macht, sind sie zu befolgen. Er kennt jedes Steinchen der Wande.«

Dr. Wollters hielt sich jetzt aus allen Anordnungen von Dr. Runnefeldt heraus. Er hatte einen ganzen Tag damit verbracht, die anderen Kunstschatze, die man noch im Katharinen-Palast zuruckgelassen hatte, zu registrieren. Von Stunde zu Stunde wurde er unruhiger. Was in diesem Schlo? noch an Werten vorhanden war, ubertraf selbst die kuhnsten Erwartungen. Immer wieder las er die lange Liste durch und bekam dabei Herzklopfen. Da waren verzeichnet:

Uber 200 Schmuckgegenstande, von denen die in Kunstkreisen beruhmten Fruhlingsstrau?e aus Goldfiligran und Edelsteinen das wertvollste war.

Eine grandiose Sammlung von Mei?ner und franzosischem Porzellan.

Die Sammlung von Katharina II. mit 50 Ikonen, zum Teil eingefa?t mit edelsteinbesetzten Goldrahmen.

Die in der Welt einmalige Sammlung von Peter I, dem Grunder von Petersburg. Sie allein umfa?te 650 Ikonen. Alle Schulen der Ikonenmalerei waren vorhanden, von den Anfangen an. Geschenke der Kirchen und Kloster an den gro?en Zaren.

45 Deckengemalde der italienischen Schule, und unter seinen Fu?en die wertvollen Parkette. In den Prunkraumen hingen die riesigen Kronleuchter mit ihren Verzierungen aus Bergkristall und Edelsteinen. Auch das Schlafzimmer Katharinas II. war noch vorhanden, die Mobel in den Nebengemachern standen herum, aus Holz geschnitzte und vergoldete einmalige Obszonitaten: Stuhle mit Beinen aus erigierten Penissen, Behange aus holzernen Hodensacken, im Holzrahmen eines Diwans eine naturgetreue Nachbildung einer Vagina.

Dr. Wollters war wie betaubt von der Fulle dieser Kunstgegenstande, wie es auch Muller-Gie?en gewesen war, der das alles aufgelistet hatte.

«Kommt alles mit!«sagte Wollters halblaut zu sich selbst.»Alles! So etwas darf der Zerstorung nicht zum Opfer fallen. «Naturlich wird der Fuhrer in seinem Linzer Museum keine holzgeschnitzten Penisse ausstellen, aber Himmler oder Rosenberg oder wer sonst noch — ach ja, Goring — bekommen sie auch nicht, dachte Wollters und hatte vor Begeisterung rote Ohren. Das werde ich fur mich reservieren… irgendwie wird sich das moglich machen lassen. Ich habe ein gro?es Haus. Warum soll ich mir nicht ein Katharinen-Zimmer einrichten? Eine hochkunstlerische Sauerei — das wird fur Stimmung sorgen. Und unbezahlbar ist es auch.

Am Abend sa? er mit Dr. Runnefeldt zusammen im Offizierskasino des Armeekorps-Stabes, a? ein halbes Hahnchen, trank dazu einen leichten Wein und fuhlte sich rundum wohl. Nicht einen Gedanken verschwendete er dafur, an die Soldaten zu denken, die kaum 30 km entfernt in ihren Graben und Lochern verbluteten. Die Sowjets waren zum Entlastungsangriff angetreten… ihre 42. und 52. Armee sturmten gegen den deutschen Einschlie?ungsring. Die 23. Armee versuchte, das Sudufer des Ladoga-Sees zu halten, um uber Stra?e und See einen Versorgungsweg herzustellen. In Leningrad hatte das Hungern begonnen -

«Wann kommen die Lastwagen?«fragte er Dr. Runnefeldt und nagte einen Hahnchenknochen ab. Das widersprach nicht seiner guten Erziehung, gab es doch einen englischen Konig, Heinrich VIII., der auch Huhnerknochen abgenagt und sie dann uber die Schulter gegen die Wand geworfen hatte.

«Am 12.«, antwortete Dr. Runnefeldt kurz.

«Bis dahin sind wir fertig?«

«Mussen wir fertig sein! Die >Transportstaffel Koch< kann uns nur eine beschrankte Zeit zur Verfugung stehen. Sie ist im Nachschub der 18. Armee eingesetzt.«

«Ich habe es Ihnen von Anfang an gesagt: Mir gefallt das nicht. «Dr. Wollters legte den Knochen auf den Teller zuruck und sauberte seine fettigen Hande an einer gro?en Papierserviette.»Wieso hat Koch auch hier seine Finger drin? Was spielt sich da im Hintergrund ab?«»Das Bernsteinzimmer kommt nach Konigsberg ins Schlo?, und da residiert nun einmal Gauleiter Koch. Fuhrerbefehl. Unterstellen Sie dem Fuhrer Dilettantismus?«

«Um Himmels willen — nein!«Dr. Wollters beugte sich etwas uber den Tisch vor.»Ehrlich und unter uns, Dr. Runnefeldt, mogen Sie Erich Koch?«

«Ich kummere mich nur um das Bernsteinzimmer«, sagte Runnefeldt eisig.»Eine Kritik an Gauleiter Koch steht mir nicht zu.«

Dr. Wollters wechselte das Thema. Es war ihm nicht gelungen, Runnefeldt festzunageln.

Der Ausbau des Bernsteinzimmers war muhsam und zeitaufwendig. Die gro?en Wandtafeln mu?ten vorsichtig vom Untergrund gelost werden und wurden an den Nahtstellen zerlegt, die Rosetten, Girlanden, Putten, Kriegerkopfe und Figuren trennte man mit gro?ter Feinfuhligkeit heraus, eine Millimeterarbeit, bei der kein Mosaiksteinchen verlorengehen durfte. An den Wanden war schon in den ersten Tagen der Schlo?besetzung genug gesundigt worden. Die» Andenken «sammelnden Soldaten hatten gro?e Bernsteinstucke aus den Mosaiken gebrochen. Uberall sah man Locher, ein paar Figuren, die den Seitengewehren standgehalten hatten, waren vollig zerkratzt, beschadigt oder durchgebrochen… es war ein Anblick, bei dem sich Wachters Herz verkrampfte.

«Eine Schande!«sagte Ludwig Gronau ein paarmal, wenn er die ha?lichen Lucken sah: Er hatte mit Wachter Freundschaft geschlossen. Unter seinen Kunstlerhanden zerbrach nichts, selbst beim Ausbau schien er das Bernstein zu streicheln.»Ich schame mich fur meine Kameraden.«

«Genau dasselbe hat General von Kortte gesagt. Was soll's…«Wachter hob resignierend die Schulter.»Nach dem Krieg wird man alles restaurieren, wenn es nicht schon Dr. Findling in Konigsberg machen la?t. Der gro?te Teil ist jedenfalls erst mal gerettet.«

«Wenn wir den Krieg gewinnen, Michael.«

«Du glaubst nicht?«»Hast du dir mal die Karte von Ru?land angesehen? Von der Westgrenze bis zum Kap Deschnew im au?ersten Sibirien? Das wollen wir erobern… dieses unendliche Land? Selbst wenn wir Moskau einnehmen, dann ziehen sich die Sowjets hinter den Ural zuruck. Dann in die Sumpfe, in die Taiga, ins sibirische Hochland, in die Tundra und die Steppen, an die Grenze Chinas. Die Generale sollten Hitler nicht nur Ausschnitte zeigen, sondern auch mal die Karte des ganzen Ru?land. Da siegen wir uns zu Tode, schon bis zum Jenisseij, geschweige bis zur Lena. Da kommen wir nie hin!«

«Und was wird dann aus dem Bernsteinzimmer?«fragte Wachter bedruckt.

«Das bekommt ihr wieder. Verla? dich drauf. Was wir hier tun, ist nur eine Verlagerung zum Schutz vor Zerstorung. Uberall steht die Front, der Vormarsch ist gestoppt. Pa? mal auf, wie das jetzt weitergeht… namlich zuruck.«»Wenn das einer hort, bist du dran, Ludwig.«»Ich sag's nur dir, Michael. Denk an meine Worte, wenn das gro?e Muffensausen beginnt.«

Spater sprach Wachter in seiner Wohnung mit Jana Petrowna daruber. Bisher hatte sie sich versteckt gehalten, stand nur des Nachts am offenen Fenster und saugte die frische Luft ein. In der Wohnung war sie sicher, weder Wollters noch Runnefeldt hatten sie bisher betreten — was sollten sie auch dort? Nur General von Haldenberge hatte Wachter einmal besucht, da war Jana auf das Klo gefluchtet, von Haldenberge blieb zum Gluck nur eine knappe Viertelstunde, er war verwundert, wie bescheiden Wachter inmitten des ihn umgebenden Prunkes lebte.

«Bald sind wir soweit«, sagte Wachter und go? sich eine Tasse Tee ein, in die er ein paar harte Kekse tunkte.»Wir sind schon dabei, die Kisten zu zimmern. Eine Schwierigkeit hat Dr. Runnefeldt noch nicht beseitigt: Wo bekommen wir genug Holzwolle zum Transportschutz her? Die beiden Sagewerke von Puschkin liegen still.«

«Vielleicht bringen die Lastwagen Holzwolle mit.«»Das ist unsere gro?e Hoffnung, Tochterchen. «Kurz darauf, am nachsten Morgen, ware es bald zur Katastrophe gekommen.

Auf Befehl des Generals war eine Putzkolonne unterwegs, um von au?en die gro?en Fensterscheiben zu putzen. An dicken Seilen lie? sie sich vom Dach an der Hauswand hinunter, auch um beschadigte Fassadenteile abzuschlagen, die nach dem Bombenangriff vor der Eroberung ubriggeblieben waren. Von Haldenberge blieb keine andere Wahl; ein gro?es Stuck Gesims war heruntergefallen und hatte fast einen Oberst des Stabes erschlagen.

So kam es, da? der Gefreite Willy Schmidt an seinem Tau auch am Fenster von Wachters Wohnung vorbeipendelte und einen schnellen Blick ins Zimmer warf. Jana Petrowna, wie immer in Schwesterntracht, sa? auf dem Sofa und las in einem Buch von Tolstoj. Da? es in russischer Sprache war, konnte man nicht erkennen.

«Ein Mauschen!«sagte Schmidt begeistert.»Junge, Junge, ist die 'ne Wucht. «Er stellte sich drau?en auf die Fensterbrustung und klopfte an die Scheibe. Als hatte man auf sie geschossen, sprang Jana Petrowna auf. Das Buch fiel mit einem dumpfen Laut auf den Boden.

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