«Und det jerahmte Foto vom Brautigam?«

«Ich habe keinen.«

«Es jibt wirklich viel Blinde uf d'r Welt. «Er hob die an der Ladeklappe aufgeschnurte Plane hoch und warf die Tasche in den Wagen.»Komm, ick helfe dir klettern. Der Chef fahrt in 'ner halben Stunde ab, uns voraus, will de Laje peilen…«

«Wie hei?t du?«fragte sie und nahm das Du auf, das Paschke angefangen hatte.

«Julius. Julius Paschke. Berlin-Wedding. Schornsteinfeger. Macht mir imma wieda Spa?, det Fegen. «Er verschrankte seine Hande vor dem Bauch wie zu einem Trittbrett und nickte Jana Petrowna zu.»Darf ick Jnadigste in meenen Horch bitten. Wie heest denn du?«

«Jana. Jana Rogowskij. «Sie hob das Bein, zog sich an Paschkes Schulter hoch, gestutzt von seinen Handen, und setzte sich dann auf die Ladeklappe. Ihre schlanken Beine baumelten vor seinem Gesicht. Da kann die Hanna nich mit, dachte er. Und dabei is se so stolz uf ihre Beene. Det hier sind Rehbeenchen…

«Verschwinde nach hinten!«sagte er rauh.»Mach dich kleen, ick hab dir auch nen Eimer hinjestellt.«

«Fur strullen und abprotzen…«

«Kleene, du bist in Ordnung. Du hast'n richtijen Drall. Los, krabble nach hinten. Und meld dir erst, wenn ick in den Wagen flustere: Komm raus. Vastanden?«

Jana Petrowna nickte, schwang die Beine uber die Laderampe und kroch an der Wand entlang zu ihrem Lager. Ihre Augen hatten sich schnell an die Dunkelheit gewohnt, sie erkannte den Eimer in der Ecke, und neben den drei Decken Paschkes eine» eiserne Ration«, die Notverpflegung der Soldaten, die nur im allerhartesten Notfall aufgerissen werden durfte und die man bei jedem Appell vorzeigen mu?te, genauso wie die Praservative. Paschke, als Unteroffizier, kontrollierte man nicht… er selbst kontrollierte die anderen Landser, die Fahrer und Beifahrer.

Sie legte sich hin, konnte sich sogar in dem Hohlraum zwischen den Kisten ausstrecken, schob die Wachstuchtasche als Kissen unter ihren Nacken und schlo? die Augen. Erst jetzt spurte sie das Zittern in ihrem Korper, die Anspannung der Nerven und versuchte, sich zu beruhigen. Alles ist gutgegangen, sagte sie zu sich. Und alles wird auch weiterhin gutgehen. Nur Ruhe, Ruhe, Jana Petrowna, das ist das wichtigste. Einen immer klaren Kopf mu?t du behalten. Nichts kann dir passieren… diese Schwesterntracht macht dich unangreifbar. Irgendwann spater horte sie drau?en Stimmen. Paschke rief laut:»Alles in Ordnung, Herr Rittmeister. «Und dann Dr. Run- nefeldts Stimme:»An kritischen Stellen halten wir und warten auf Sie. Wann mussen Sie tanken?«

«Alle Fahrzeuge sind vollgetankt, Herr Sonderfuhrer. Das mu?te fur 400 Kilometer reichen.«

«Also dann… macht's gut, Jungs.«

«Gute Fahrt, Herr Sonderfuhrer.«

Sie horte das Anlassen eines Motors, der Kies knirschte unter den anfahrenden Reifen, irgendwo quietschte es. Gute Fahrt, Vaterchen… ich bin hinter dir, ich komme dir nach. Sie legte sich wieder zuruck auf Tasche und Decken und druckte das Ohr an die Holzwand zur Fahrerkabine, als der Gefreite Doll hinter das Lenkrad kletterte. Die erste Strecke fuhr er. Er hatte ausschlafen durfen.

Das wollte jetzt auch Paschke machen und kuschelte sich bequem in seinen Sitz.

«Du, isch han vurhin ne dolle Nummer jehort!«sagte Doll.»Kutt die Lehrerin in de Klass, setzt sich ans Pult… und hatt kein Botz an! Franzchen in der eschten Reih kann ihr untern Rock spinxe und fangt an, breit zu grinsen. >Franzchen — < fragt die Lehrerin. >Wat ist denn? Warum laachste su?< Und da Panz antwortet: >Frollein, isch han noch nie 'n Schlupfer aus Maulwurffell jesinn…< Jut, wat?«

«Abfahren!«schrie Paschke.»Du damlicher Hund! La? alle vorbei — wir machen den letzten!«

«Warum dat denn? Bisher…«

«Bisher is nich heute! Ick bin verantwortlich, da? keener verloren jeht. Und det siehste am besten hinten, als letzter. Kapiert?«

Det is der sicherste Platz, dachte Paschke. Da haste keenen hinter dich. Da kann die Kleene ooch mal de Neese ins Freie stecken und keener sieht det. War schon in de Schule so… hinten links, letzte Bank, da konnste imma in Deckung jehen. Intelligent mu?te sein, Jefreiter Doll.

Endlich drohnte der Motor auf, der Aufbau begann zu wackeln, es knackte, als Doll den Gang einlegte, und dann setzte sich der Wagen in Bewegung und druckte unter seinen Radern den Kies weg. Unter dem Bodenblech klang es wie das Trommeln von Schrotkugeln.

Konigsberg, wir kommen, dachte Jana Petrowna. Das Bernsteinzimmer kommt… und wir Wachters.

Irgendwann fielen ihr vom Schwanken des Wagens und dem gleichma?igen Motorengebrumme die Augen zu, und sie schlief fest mit einem Lacheln um die Lippen.

Als sie aufwachte, war heller Tag, aber es regnete. Auf die Dachplane trommelten die Tropfen. Neben Doll schlief Julius Paschke mit offenem Mund und schnarchte furchterlich. Am Mittag war Fahrerwechsel, da sollte es Bohnensuppe geben, aus Dosen, die auf einem Spirituskocher hei? gemacht wurden. Dann wollte sich Doll fur das bestialische Schnarchen rachen.

Jana Petrowna rutschte an die Kabinenwand und schob sich an ihr empor. Durst hatte sie, aber daran hatte Paschke nicht gedacht. Er hatte ihr seine Feldflasche nicht dagelassen.

Auf den Knien untersuchte Jana die vor ihr stehenden Kisten, fand einen abgesplitterten Span, ri? ihn aus dem Holzdeckel und begann, auf ihm herumzukauen. Der Speichel, der sich dabei bildete, verdrangte etwas das Durstgefuhl. Es war eine alte, simple Erfahrung: Kauen, kauen, ganz gleich, was es ist… nur kauen… damit haltst du den Durst aus. Eine Zeitlang wenigstens la?t sich der Korper betrugen.

Im Licht, das durch die Planenritzen schimmerte, las sie, was Dr. Runnefeldt auf die Kistenseiten mit dickem Fettstift geschrieben hatte.

Nr. 23 stand direkt vor ihr und hatte den Span geliefert.

Vier Engel, ein Kriegerkopf und eine gro?e Vasenplastik. Und dann, nachtraglich, weil mit einem anderen Stift geschrieben, hatte Dr. Runnefeldt noch hinzugefugt:

Eine Madonna aus Bernstein, gefunden im Schlafzimmer der Zarin Elisabeth-Petrowna.

Petrowna. Jana beugte sich vor, ku?te die Kiste und den Namen und bekreuzigte sich dann.

Madonna, hilf, da? alles gutgeht.

Und bitte, kummere dich auch um Vaterchen.

Dr. Runnefeldts Auto, ein offener Wagen der Marke Adler, kam gegen den russischen Regen nicht an. Das derbe, feste Segeltuchdach war zwar ein Schutz, aber an den Seiten regnete es durch. Es schlo? nicht dicht genug mit dem Rahmen der Karosserie ab. Au?erdem stand ein ziemlich heftiger Wind auf der rechten Seite und peitschte den Regen durch die Ritzen. Rechts aber, vorn neben dem Fahrer, sa? Rittmeister Dr. Wollters und blickte verbissen in die graue, rauschende Gegend. Er hatte es so gewollt, er hatte es strikt abgelehnt, hinten neben Wachter zu sitzen, den er fur vollig unnutz hielt. Dr. Runnefeldt hatte nichts dagegen, die Platze zu tauschen, und jetzt freute er sich, da? ausgerechnet vorn rechts das Faltdach eine gro?e Lucke zwischen Fensterrahmen und Dachumrandung hatte. Wollters rechte Uniformseite begann durchzunassen. Der Stoff saugte das Wasser wie ein Schwamm auf — eine ma?geschneiderte Uniform aus bestem Aachener Tuch.

«Ein Mistwagen ist das!«sagte Wollters emport und drehte sich zu Dr. Runnefeldt und Wachter um. Auch bei ihnen drang der Regen durch ein paar Ritzen, aber es war noch zu ertragen. In die breiteste Ritze hatte Dr. Runnefeldt sein Taschentuch geklemmt und lachelte Wollters in einer Art von Resignation an.»Wer hat Ihnen denn diese Krucke angedreht?«

«Im Sommer ist ein offener Wagen ideal«, erwiderte Dr. Runnefeldt gelassen.

«Da kann man vor Staub nicht mehr atmen! Und im Winter? Zittern Sie sich warm?«

«Da sitze ich in meinem Buro in Berlin.«

«Im Winter sind Kunstschatze in den eroberten Gebieten fur Sie nicht vorhanden?«

«Richtig. Mein lieber Herr Wollters… Kriege fangen erfahrungsgema? im Sommer oder im Herbst an, wenn das Korn so richtig kraftig steht, die Felder uberquellen, die Stra?en und Wege pulvertrocken und hart sind. Haben Sie schon mal von einem Krieg gehort, der im Winter anfing? Denken Sie mal die Jahrhunderte zuruck. Auch unser Krieg: Polen am 1. September, Frankreich 10. Mai, Ru?land am 22. Juni… immer zur besten Zeit. Und bis zum Winter hatten wir Gelegenheit genug, uns um die Sicherstellung der Kunstwerke zu kummern.«»Aber jetzt kommt der Winter…«

«Das schreckt mich nicht. Wenn wir Moskau in diesem Jahr noch erobern, hat der Abtransport der noch gar nicht abzusehenden Kunstschatze Zeit bis zum Fruhjahr. So lange werden wir sowieso brauchen, um alles zu erfassen. Was allein im Kreml lagert — «

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