Vier Stunden spater tauchte aus dem rauschenden Regen die Lkw-Kolonne auf. Bis zu den Planen mit Dreck bespritzt, pflugten sie tiefe Furchen in die Stra?e und schwankten durch den Schlamm wie klobige betrunkene Riesen. Am schwersten traf es Julius Paschke als letzten der Kolonne… er mu?te alle tiefen Spuren der vor ihm den Stra?engrund zermahlenden Wagen uberwinden.

«Dat is zum Mausemelken!«hatte Doll ein paarmal geschrien.»Dat haste nu davon, mit dingem Fimmel von der Nachhut! Die da vurn rie?en de Stro? op, und ich krieje die janze Schei?e ins Geseech! Nach dem Essen maache mir widder de Spitz…«

«Wir bleiben hinten«, sagte Paschke. Er bedauerte Jana, die hin und her geschleudert wurde. Die zarten Knochelchen, dachte er. Und noch nich mal massieren kann ick se.»Ick wee? det besser als du…«

«Schei?e!«

Nun fuhren die 18 Lkws vor dem Bauernhaus auf, wieder schon ausgerichtet in langer Reihe. Von Wagen eins war die Meldung gekommen:»Das Auto vom Chef parkt vor einer Kate!«, und Paschke hatte den Befehl gegeben, auch dort zu halten. Mittagspause.

Etwas steif kletterten die Fahrer aus ihren Wagen und rannten hinuber zum Haus. Eine graugrune, nasse Woge ergo? sich in das Zimmer, im Nu stank das ganze Haus nach durchweichten Kleidern und anderen Geruchen. Gro?vaterchen, neben Wollters eintrachtig auf der Ofenbank sitzend, beobachtete interessiert die Soldatenflut. Wollters ri? seinen Uniformrock von der Leine und zog ihn schnell an.

«Einsatzkommando >Hamburg< zur Stelle!«meldete Paschke und schlug die Hacken zusammen.»Keine besonderen Vorkommnisse.«

Dr. Runnefeldt nickte. Paschke ruhrte sich. Der Duft der Huhnersuppe, die ein Brei geworden war, zog ihm in die Nase.»Wie ist die Stra?e?«fragte Dr. Runnefeldt.

«Noch jeht's, Herr Sonderfuhrer. Aber wenn det so weiter pi?t… Bis Konigsberg sind's noch gut 600 Kilometer.«

«Im Reich werden die Stra?en besser, Paschke. Ihr habt Hunger, was?«

«Bis unta de Arme, Herr Sonderfuhrer.«

«Dann Kochgeschirr raus und Essen fassen. Es gibt Brei mit Huhneinlage.«

«Wat flutscht, is imma jut, sagte meen zahnloser Gro?vater. «Paschke drehte sich um. Hinter ihm knubbelten sich die 35 Fahrer.»Bereit machen zum Essenfassen!«

Zwanzig Minuten spater hatte jeder Soldat eine volle Kelle Huhnerbrei in seinem Kochgeschirr. Sie standen an den Wanden oder sa?en auf den Dielen, und eine Weile horte man nur das Klappern der auseinandernehmbaren E?bestecke.

Dr. Runnefeldt, Wollters und Wachter sa?en am Tisch und a?en von irdenen Tellern. Stumm sahen ihnen Praskowja, die

Kinder und Gro?vaterchen zu. Er war heute ein glucklicher Mensch — die schonsten Hosentrager der Welt hatte er getragen.

Paschke a? nur ein wenig von seinem Huhnerbrei, sagte dann zu dem schlurfenden Doll, der aufmerksam die Zwiebelstucke herumruhrte, beste Munition fur seine Rache:»Ick jeh mal abprotzen. Irjendwo find ick schon ne trockne Ecke…«und verlie? das Haus.

Geduckt rannte er zu seinem Wagen, sprang auf die Sto?stange und schnellte sich von ihr ab uber die Ladeklappe ins Innere. Die paar Meter waren wie ein Lauf durch einen Wasserfall gewesen.

«Ick bin et, Madchen«, sagte er in das Halbdunkel hinein.»Keene Angst. Allet lauft wie jeschmiert. Haste noch deene Knochen? Ick hab dir wat zum Essen jebracht. Huhnerbrei. Sieht aus wie vorverdaut… aba schmeckt besser als ick gedacht habe.«

Er zwangte sich durch die Kisten und blieb vor Jana stehen. Sie sa? mit dem Rucken an der Kabinenwand und streckte die rechte Hand aus. Paschke reichte ihr sein Kochgeschirr hin.»Du bist ein guter Mensch«, sagte sie.

«Ick hab mit'n Loffel schon jejessen. «Janas Worte machten ihn sehr verlegen.»Kannst aba unbesorcht nehmen. Ick habe keene Syphilis.«

Er lehnte sich an die Kiste von der Jungfrau Maria und den Engelskopfen und sah ihr eine Weile zu, wie sie den Huhnerbrei a?. Sie nahm nicht viel, nur ein paar Loffelchen, und hielt ihm das Kochgeschirr wieder hin.

«Danke, Julius…«

«Kannste allet essen, Jana.«

«Und du?«

«Ick orjanisiere mir schon wat. Det ham wa jelernt. Magste nich?«

«Ich bin satt, Julius.«

«Da fri?t meen Meerschweinchen ja mehr. Ick hab namlich en Meerschweinchen zu Hause, mu?te wissen. Emma hee?t se. Nach meener Schwiejermutta. Zuerst war Hanna — det is mee-ne Frau — tief beleidicht. Dann koofte se sich eenen Kanarienvogel, den nannte se Klara. Wie meene Mutta. Da war'n wer quitt.«

Er nahm das Kochgeschirr zuruck und loffelte den Rest des Breies aus. Jetzt hatte er auch seine Feldflasche mitgebracht, schraubte sie auf und gab sie Jana.

«Tee«, sagte er dabei.»Mit so nem Zitronenpulver drin. Aba es schmeckt.«

Durstig go? sie sich den Mund voll, bis sich ihre Backen blahten, und dann erst schluckte sie es hinunter. Dreimal. Die Feldflasche war halb leer, als Jana sie an Paschke zuruckgab.»Bist 'n dolles Madchen«, sagte er.»Und so wat wird nu im Kriech verheizt.«

«Er ist bald zu Ende, Julius.«

«Det glaubste? Ick wee? nich. Ick la? mir ubaraschen.«

Mit langen Sprungen kehrte er zum Bauernhaus zuruck, triefend vom Regen, und stellte sich wieder neben Doll an die Zimmerwand.

«Dat wor awwer ne nasse Eck zum Drie?en«, sagte Doll. Paschke beugte den Kopf vor und lie? das Wasser aus seinen Haaren laufen.

«Sprich deutsch, sag ick dir imma.«

«Eine nasse Ecke zum Schei?en!«Doll bemuhte sich, hochdeutsch zu sprechen.»Himmlische Spulung, wat?«

«Du kannst mir jreuzweise…«

Dr. Runnefeldt war ein paar Mal ans Fenster getreten und hatte hinaus in den Regen geblickt. Es sah nicht so aus, als ob sich der Himmel bald schlie?en wurde.

«Es hilft alles nichts«, sagte er zu Dr. Wollters.»Wir mussen weiter. Wir konnen hier nicht Wurzeln schlagen. Ab und durch den Regen durch… wir sind ja nicht aus Zucker. Hinter der Duna, in Litauen, wird es besser. Da haben wir vernunftige Stra?en. «Er wandte sich an die Landser und klatschte in die Hande.»Leute, es geht weiter! Wir kapitulieren doch nicht vor russischen Stra?en! In Konigsberg konnt ihr euch dann ausruhen…«

Als letzte verlie?en Wollters und Dr. Runnefeldt das Bauernhaus. Wachter sa? schon hinten im Adler, der Fahrer hatte in die Verdeckritzen Streifen aus zerschnittenen Kartoffelsacken gestopft.

«Wollen wir jetzt tauschen?«fragte Dr. Runnefeldt.»Sie hinten, ich vorn?«

«Nein!«antwortete Wollters stur.

«Dann Wachter nach vorn…«

«Ich bleibe auf meinem Platz!«Wollters zog den Kopf tief zwischen die Schultern und rannte los, ri? die Wagentur auf und lie? sich auf den Sitz fallen. Dr. Runnefeldt gab Trofim die Hand. Der Alte war daruber so verblufft, da? sich seine Hand anfuhlte wie ein schlaffer Lappen.

«Mach's gut, Opa«, sagte Dr. Runnefeldt. Dabei wehrte er Praskowja ab, die unbedingt seine andere Hand kussen wollte. Wie gut war man heute weggekommen! Keine Hausdurchsuchung, keine Beschlagnahmung, nur Lydia hatte dran glauben mussen, ein kleiner Preis fur die Gute der deutschen Offiziere. Und Gro?vaterchen hatte sogar die, Hosentrager anziehen durfen. Welch ein Erlebnis. Mu? man da nicht danken auf die gute, alte Art?» Und pa? auf deine Ikone auf… 16. Jahrhundert, damit kannst du nach dem Krieg ein neues Haus bauen!«

Trofim verstand ihn naturlich nicht, aber am Klang der Stimme ahnte er, da? ihm etwas Gutes gesagt wurde. Er nickte vorsorglich, begleitete Dr. Runnefeldt bis zur Eingangstur und blickte dann lange der Wagenkolonne nach, die sich langsam durch den Regen auf die Stra?en qualte.

An diesem Tag trag der schriftfuhrende Offizier in das Kriegstagebuch des 50. Armeekorps ein:

16.10. Krasnogwardejsk:

Rittmeister Dr. Wollters und Sonderfuhrer Dr. Runnefeldt verlassen nach Abschlu? ihrer

Вы читаете Das Bernsteinzimmer
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату
×