«Soll Herr Wachter am Daumen lutschen?«

Wollters verschluckte eine Antwort, und das alte Spiel wiederholte sich. Er betrat als erster das Offizierskasino, ihm folgte Wachter und dann erst Dr. Runnefeldt. Die Lkw-Fahrer sa?en in der Kantine der Werkstatt und schaufelten Nudelsuppe mit Rindfleischbrockchen in sich hinein. Paschke gelang es, sein Kochgeschirr in der Kuche noch einmal fullen zu lassen.

Nach Einbruch der Dunkelheit kroch er wieder in seinen Wagen und hielt Jana das Kochgeschirr mit der dampfenden Nudelsuppe hin. Sie hatte den Eimer benutzen mussen, es roch scharf nach Urin.

«Verzeihung — «sagte Jana bedruckt, — »aber es ging nicht anders.«

«Ick sag ja nix. De Natur is starker. Ick bringe den Eimer nachher raus. I? erst mal. So um Mittanacht sind wir in Konigsberg. Dann biste erlost, Madchen.«

«Wie kann ich dir danken, Julius?«

«Ick wu?te schon wat. «Paschkes Blick glitt uber Janas Korper und blieb an der oberen Wolbung ihrer Schwesterntracht hangen.»Aba det jeht nich. Ick komm dir spater im Krankenhaus besuchen. Wo biste denn da?«

«Im Stadtischen Krankenhaus«, sagte sie sofort, ohne nachzudenken.»Da mu? ich mich melden. Wohin sie mich dann stecken, das wei? ich noch nicht.«

«Ick werd dir finden. «Paschke griff nach dem Henkel des Eimers und verlie? mit ihm wieder den Laderaum des Lkws. Drau?en kippte er ihn in einen Gully vor der Werkstatt und spulte ihn unter einem Wasserhahn in der Werkhalle aus. Det is ooch dat erstemal, dat ick Madchenpisse rumtrage, dachte er. Aba wat tut man nich allet for die Liebe. Liebe? Na sajen wir: Sympathie. Zu Hause wartet Hanna. Ooch wennse jetzt fremdjeht… nach'm Krieg is allet wieda normal. Dann is allet wieda vajessen. Ooch det Abenteuer Jana.

Kurz vor der Abfahrt, als Dr. Runnefeldt und Wollters mit Wachter schon im Kubelwagen sa?en, kletterte er noch mal unter die Plane zu Jana und holte sein Kochgeschirr ab. Ein Soldat ohne Kochgeschirr ist nur ein halber Soldat. Zwei Dinge gibt's im Krieg, die wichtiger sind als alles andere: das Gluck zu uberleben, dazu braucht man Gluck, und ein sattes Gefuhl im Bauch, das kann man steuern. Ein Soldat kann vieles verlieren, nur nicht das am Gurtel scheppernde und gegen die Hinterbacke schlagende Kochgeschirr.

«Jetzt jeht's los!«sagte Paschke leise.»In Konigsberg klopp ick jejen de Wand. Dann mu?te ne Fliege machen, vastehste? Dann is et junstig. Madchen, mach's jut! Und ick suche dir in Konigsberg, verla? dir druff.«

Jana nickte. Plotzlich richtete sie sich an der Ruckwand hoch, warf die Arme um Paschke und ku?te den vollig Verblufften auf den Mund. Wie ein Pfahl stand er da und glotzte dumm, als Jana sich wieder von ihm loste. In seinem Kopf, in seinen Schlafen, in seinem Herzen, uberall summte es, als sei er ein Bienenkorb.

«Du wei?t gar nicht, welch eine gro?e Tat du getan hast, Julius!«sagte sie.»Ich werde dich nie vergessen. Gott sei mit dir… und uberlebe den Krieg…«

«Dir… dir ooch allet Jute«, stammelte Paschke, fuhr sich mit beiden Handen uber die Augen und tappte zur hochgeklappten Plane zuruck. Erst auf dem Pflaster schuttelte er sich wie ein Hund, der aus dem Wasser kommt, und stie? einen tiefen Seufzer aus. Es war ihm, als habe Feuer seine Lippen verbrannt.

Is det 'n hei?es Stuck, dachte er, leicht benommen. Julius, wennste die mal ins Bett kriegst, mu?te dir nachher krank melden. Knochenerweichung. Junge, Junge…

Er ging nach vorn, enterte das Fahrerhaus und lie? sich neben den Gefreiten Doll aus Koln fallen. Zur Begru?ung lie? der einen dumpfen Rulpser los.

«Sau!«sagte Paschke knapp.

«Nach Nudelsupp mu? isch immer en Bauerchen maache. Pardon, Monsieur. «Doll lie? den Motor anspringen, der Kubel mit den Offizieren fuhr schon ab.»Widder als letzte?«

«Ja.«

«Worom? Jetzt weed de Stro? doch besser. Isch han jenug Dreck in de Fre? jekriegt. Immer hinte blieven…«

«Quatsch nich… warte. «Paschke lehnte sich weit zuruck. Dieser Ku?, durchrann es ihn. Dieser Druck ihrer Brust jejen meine Brust. Det vaje? ick ooch nich, Madchen. Und wenn mir spata Hanna ku?t, denk ick, du bist's! Ubaleb du ooch den Krieg, Jana, und, na ja, Jott sei ooch bei dir…

Als sie als letzte abfuhren und uber das Pflaster holperten, wu?te Paschke, da? er Jana zum letztenmal gesprochen hatte und nie wiedersehen wurde. Er starrte durch das Fenster in die Nacht und kaute auf seinen Zahnen herum und wunderte sich, da? Abschied so schwer auf dem Herzen lasten konnte. Bei Hanna war das anders gewesen. Da hatte er gelacht und gerufen:»Ick komm wieda, wenn mer die Polen zurechtjeruckt hab'n. «Aber dann kam nach Polen Frankreich dran, und jetzt Ru?land… und was dann noch?

«Woran denkste, Jul?«fragte Doll.

«An 'n Puff in Konigsberg.«

«Isch han da en jut Adress. «Doll lachte in sich hinein.»Du, da kenn ich ne Witz. Tunnes und Schal jehn uber de Bottermarkt und…«

«Halt's Maul!«sagte Paschke grob.

«Hinger uns lauft einer mit nem Blechemmer noch und winkt.«»Mit wat?«

«Blecheimer — «

«Jib Jas!«Julius Paschke zog den Kopf zwischen die Schultern.»Varruckte jibt's uberall.«

Gauleiter Erich Koch ubte sich in Geduld, aber es fiel ihm schwer. Nach dem Anruf von Dr. Runnefeldt aus Kauen hatte er schon in der nachsten Minute Dr. Findling und seinen Vertrauten und Trinkkumpanen Gauamtsleiter Bruno Wellenschlag benachrichtigt und mit Triumph in der Stimme gerufen:»Sofort herkommen! Das Bernsteinzimmer trifft heute Nacht ein!«

Dr. Findling nahm Abschied von seiner Frau, als habe er eine lange Reise vor sich.

«Bestimmt werdet ihr wieder saufen!«sagte sie wenig damenhaft.

«Bestimmt, Martha, bestimmt. Das Bernsteinzimmer bei uns!

Dieses Ereignis mu? Koch begie?en.«

«Und morgen zerplatzt dir wieder der Kopf, und die Magensaure steht dir bis zum Hals!«Sie dachte kurz nach und fugte dann hinzu:»Bevor du zu Koch gehst, trinkst du diesmal erst ein kleines Glas Salatol…«

«Was soll ich trinken, Martha?«fragte Dr. Findling entsetzt.»Ein Glaschen Salatol. Das schmiert die Magenwande aus, wirkt gegen Ubersauerung und neutralisiert den Alkohol.«»Mich ubergeben werde ich!«

«Auch das ist nutzlich. Wilhelm, Ol ist ein altes Hausrezept. Schon mein Gro?vater trank ein Glas, bevor er zu Versam m-lungen des Burgervereins ging. Ich habe Gro?vater nie betrunken erlebt.«

«Kunststuck… der war trainiert. Er konnte saufen wie ein Stier. «Dr. Findling sah mit zusammengepre?ten Lippen zu, wie Martha in die Kuche ging, Salatol in ein kleines Schnapsglas go? und es ihm dann hinhielt.»Ich komme mir 47 Jahre junger vor… da mu?te ich jeden Morgen einen Loffel Lebertran nehmen. Seitdem kann ich keinen Fisch mehr riechen. Martha, mu? das sein?«

«Ja. Du wirst sehen, es hilft.«

Tapfer trank Dr. Findling das Schnapsglas voll Ol, schluckte krampfhaft und wunderte sich, da? er sich nicht gleich darauf erbrach.

«Furchtbar!«sagte er nur.

«Warten wir's ab, Wilhelm. Bist du zum Fruhstuck wieder da?«»Auf keinen Fall.«

«Mittag?«

«Wahrscheinlich auch nicht. Ich will das Bernsteinzimmer sofort auspacken lassen und alles registrieren. Der Einbau in Raum 37 wird Wochen in Anspruch nehmen. Alles soll wieder so hergerichtet werden, wie das Zimmer seit der Zarin Elisabeth in Zarskoje Selo gestanden hat. Hoffentlich haben sie beim Ausbau die Wandtafeln und Wandfriese genau beziffert.«»Dr. Runnefeldt und Dr. Wollters sind doch international bekannte Kunstwissenschaftler.«

«Aber ob sie richtig nummerieren konnen… wir werden sehen. «Er warf noch einen Blick voll Skepsis auf das Schnapsglas, das Martha in der Hand hielt, gab ihr dann einen Ku? auf die Stirn und verlie? seine Wohnung.

Wie erwartet: Bruno Wellenschlag war schon da und hatte mit Koch bereits die ersten zwei Glaser Kognak getrunken. In e-nem Eiskubel stand eine Flasche franzosischer Champagner. Gauleiter Koch wollte das Bernsteinzimmer gebuhrend begru?en.

«Um Mitternacht herum sind sie hier!«begru?te Koch mit einer weiten Armbewegung Dr. Findling.»Mein

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